Sie trafen sich im Park.
Ihr Haar stand ihr wild vom Kopf ab, auf ihrer Bluse prangte ein riesiger Kaffeefleck und irgendwann im Laufe des Tages musste sie irgendwelche nicht logisch ersichtlichen Dinge mit einem Kugelschreiber oder einem Füller angestellt haben, ihr Gesicht war hellblau gesprenkelt und ihre Hände standen dieser Farbe in Nichts nach.
Lasche fand sie trotzdem hinreißend.
Als Hera ihn angerufen und ihm angeboten hatte, Fufu mit ihm suchen zu gehen, überlegte er krampfhaft, wo sie am sinnvollsten damit anfangen sollten. Gewissenhaft hatte er während seiner Mittagspause seine selbst gemalten Plakate auf Stromkästen, Litfasssäulen und Bäume verteilt und seither sein Handy keine Sekunde aus den Augen gelassen. Wunder fielen zwar nicht vom Himmel, aber Lasche war tief im Innern überzeugter Optimist. Noch.
„Hallo Hirnstrøm“, sagte Hera, als sie ihm gegenüber stand.
„Lasche“, sagte Lasche, „nenn mich doch einfach Lasche.“
Er hielt ihr das Körbchen samt Ei entgegen. „Berta kennst du ja schon.“
„Ja. Hera. Danke.“ Sie blinzelte.
„Also – wo fangen wir an zu suchen?“, fragte sie schnell, um ihre Verlegenheit zu kaschieren.
„Das hab ich mir auch schon überlegt“ erwiderte Lasche und schwang das Körbchen hin und her, ich kam zu keinem Ergebnis.
„Hm, hat Fufu nicht vielleicht einen Lieblingsplatz oder so, wo sie sich vorher schon mal versteckt hat? Wenn sie beim Spazierengehen abgehauen ist, mein ich“, schlug Hera vor.
Lasche runzelte die Stirn und musterte Hera tadelnd.
„Ihr Lieblingsplatz ist natürlich an meiner Seite. Sie ist bisher auch noch nie weggelaufen. Fufu ist schließlich gut erzogen. Ich glaube auch nicht, dass sie weggelaufen ist. Höchstwahrscheinlich wurde sie entführt!“ Leichte Hysterie schlich sich in seinen Tonfall und schien sich zunehmend wohler zu fühlen.
Hera legte ihm die Hand auf den Arm.
„Geh nicht gleich vom Schlimmsten aus“, sagte sie.
„Wo geht ihr denn normalerweise spazieren?“
Lasche raufte sich die Haare, Heras Worte waren nicht zu ihm vorgedrungen.
„Wovon soll ich denn bloß das Lösegeld bezahlen? Ich hab doch nichts!“, jammerte er hingebungsvoll.
Hera fasste ihm an die Schultern.
„Lasche! Beruhig dich, es bringt nichts, wenn du dich verrückt machst.“
„Und wenn er irgendwelche Gräueltaten mit meiner süßen Fufu anstellt?“, Lasches Augen weiteten sich vor Entsetzen und seine Stimme wurde immer dünner. „Irgendwelche Stricknadeln an ihr ausprobiert? Normal ist der nicht, das ist ein Perverser, schließlich hat er auch meine Unterwäsche geklaut!“
Hera, die ihn inzwischen an den Schultern schüttelte, ließ perplex von ihm ab.
„Deine Unterwäsche?“
„Meine Unterwäsche. UND meinen Prosecco.“
Hera musste sich wegducken, um nicht zufällig ein blaues Auge durch Lasches wildes Herumgefuchtel zu kassieren.
Sie kicherte.
„Lasche, jemand, der Unterwäsche und Prosecco klaut, klingt nicht unbedingt nach einem Hundefolterer. Da er oder sie offensichtlich deinen Geschmack hat, kann er-sie-es ja nicht so schlimm sein, oder? Lass uns das Ganze doch mal logisch angehen.“
„Logisch? Mein Hund ist weg und du kommst mir Mathematik?“, schnappte Lasche.
Hera seufzte. „Schau mal: Ich weiß, dass dir Fufu fehlt. Aber jetzt wie ein kopfloses Huhn durch die Gegend schnattern, bringt auch nichts. Stell dir mal vor, Fufu sitzt in irgendeinem Busch und hat ne Riesenangst, weil der Einbrecher sie total erschreckt hat, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich in irgendwelche Mordphantasien reinzusteigern.“
Lasche zog ein Taschentuch aus seiner Jackentasche und schnäuzte sich kräftig und geräuschvoll.
„Meinst du?“
„Bestimmt!“ Heras Stimme überschlug sich fast, so übertrieben überzeugt klang sie. Sie nickte, wie um sich selbst zu bekräftigen: „Du kennst Fufu doch, wo würde sie hingehen, um auf dich zu warten?“
Lasche zögerte.
„Ich weiß nicht? Nach Hause?“
Er überlegte einen Moment.
„Aber da war sie nicht, da komm ich doch gerade her“, murmelte er schnippisch.
„Hat sie einen Lieblingsplatz?“, versuchte Hera es weiter. „Im Park, eine von den alten Weiden vielleicht? Die Rosenallee? Eine von den Bänken am See?“
Lasche kniff die Augen zusammen. „Du meinst einen Lieblingspinkelplatz? Sie pinkelt für ihr Leben gerne an die Auslage vom Gemüsemeier im Hafen. Der regt sich immer so schön auf, vorausgesetzt, er bekommt es mit.“
„Dann lass uns doch mal zum Hafen gehen“, schlug Hera vor und sie liefen los.
Lasche unterhielt sich leise mit Berta, während Hera ihre Hände in den Taschen zu Fäusten ballte und danach entspannte, um sie wieder zu ballen. Sie waren fast am Hafen angekommen, und die ganze Zeit über hatte sie geschwiegen, hatte verzweifelt ein Thema gesucht, das anzusprechen nicht doof gewesen wäre und war unrühmlich gescheitert. Als sie das Hafenviertel bereits sehen konnte, fiel ihr etwas ein.
„Was ist eigentlich mit eurem Urlaub? Ich mein, wenn das Ganze hier vorbei ist? Lässt Lusa dich dann wieder fahren?“
Lasche hörte auf, Berta weiter mit unverständlichem Kauderwelsch zuzubrabbeln. Er schnaubte.
„Ob sie mich lässt? Ha! Ich geh einfach. Zurück nach Finnland, in die Einöde. Und das vermaledeite Handy vergrab ich dann höchstpersönlich im Schnee hinterm Haus! Und dann leg ich mich auf die Couch unter dem Glasdach und beobachte Sterne“, schwärmte er.
„Das klingt nett. Ich könnte auch mal wieder Urlaub vertragen“, erwiderte Hera.
Sie schwiegen einen Moment.
„ Frod..., äh, Hera. Also, mh, magst du vielleicht,… ich mein, wenn das alles hier vorbei ist, also… nur wenn du möchtest natürlich, also…“, er unterbrach sich, holte tief Luft und sah ihr weiterhin nicht ins Gesicht.
„Möchtest du vielleicht mal mitkommen nach Finnland?“
Hera war stehengeblieben und starrte ihn an. In ihrem Gesicht spiegelten sich Überraschung und Verlegenheit.
Da Lasche ein überaus unbedarfter Mensch war – vor allen Dingen, was Frauen anging, deutete er ihre Mimik natürlich so falsch es nur ging.
„War vielleicht doch keine so gute Idee, entschuldige. Ich dachte halt nur – das Haus hat zwei Ferienwohnungen und wir müssen uns überhaupt nicht sehen, wenn wir nicht wollen, und du schaust halt auch so aus, als könntest du Urlaub vertragen, und… Oh. Tut mir leid, so was sagt man Frauen ja eigentlich nicht. Vergiss es am besten.“
Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht noch mehr zu sagen.
Hera lächelte unsicher.
„Ich fänd’ es sehr schön, wenn du mich mit nach Finnland nehmen würdest. Ich war nur überrascht, ich hätte nie damit gerechnet, dass du mich fragst, ob ich mit möchte. So selten, wie du Urlaub hast.“
Sie fing sich wieder und knuffte ihn in die Seite.
„Ich weiß, wie ich aussehe, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du blöde Witze darüber machen darfst“, grinste sie, dann wurde sie wieder ernst.
„Der Fall macht mich fertig. Keine neuen Erkenntnisse. Wir laufen im Kreis. Wenn wir ne Spur haben, ist sie ein Rätsel oder reiner Unsinn. Weißt du schon von unserer neuesten Spur? Irgendein Sprayer hat uns offenbar vorab eine Warnung vor dem Giftanschlag hinterlassen. Nur zu dämlich chiffriert, als dass man was damit hätte anfangen können.
Und dann ist da noch so ein Pseudodetektiv aufgetaucht, der behauptet, hinter der Mordserie stecke eine Sekte. Eine Weihnachtsmannsekte. Leute, die glauben, der Weihnachtsmann sei eigentlich ein wildes Tier und der Knuddel-Coca-Cola-Rauschebart nur eine kapitalistische Erfindung. Leute, die die Welt erobern wollen, indem sie Weihnachten sabotieren, den Kommerz-Weihnachtsmann stürzen und den wilden Weihnachtsmann an die Macht bringen. Ganz verqueres Zeug.“
Sie schüttelte den Kopf.“
Und ich muss mich auch noch von dem Arschloch auslachen lassen, weil ich nicht von selbst darauf kam“, fügte sie bitter hinzu.
„Ach ja, und die Sektenmitglieder haben natürlich alle Weihnachtsmützen auf und ein Tannenbaumbranding auf dem Bauch. Selbstverständlich. Ist mir selbst völlig schleierhaft, warum ich da nicht selbst eins und eins zusammenzählen konnte“, grummelte sie.
„Äh. Ist der Weihnachtsmann nicht der gemütliche dicke Mann mit der roten Mütze?“, fragte Lasche.
Hera nickte.
„Komische Sekte“, stellte er fest.
Sie schwiegen wieder einen Moment.
„Tannenbaumbrandings, hm? Davon lagen doch neulich erst welche auf Bobs Tisch“, überlegte Lasche laut. „Die beiden Kopfschüsse. Mann, Hera, schau mich nicht an, als sei ich durchgedreht. Ich bin mir ganz sicher.“
Hera räusperte sich, ihr Hals war sehr trocken.
„Verdammt, Lasche, ich dachte, der will mich verarschen. Am Ende haben wir noch einen Sektenkrieg am Hals oder so eine Scheiße.“
„Hast du den Typen schon überprüft? Ich meine: Wieso weiß der von irgendwelchen Brandings über dem Bauchnabel?“
„Nur flüchtig, ich dachte, wir brauchen das alles bestenfalls für ne Anzeige wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen. Oder Beamtenbeleidigung oder so. So eine abgefuckte Scheiße!“ fluchte Hera. Sie rieb sich die Schläfen.
„Sorry Lasche, ich muss aufs Revier. Marns und meinen Arsch retten. Danke. Auch für Finnland.“ Sie lief los.
“Hera!“, rief Lasche ihr hinterher.
Sie blieb stehen und drehte sich um.
„Ja?“
„Ich mag dich!“, rief er, drehte sich um und hüpfte davon.
Hera starrte ihm verblüfft nach.