Ich fahre weit über das Limit. Weiß, wie dämlich das ist. Wir haben es nicht eilig - es gibt keinen Grund, jetzt ein Ticket zu kassieren, angehalten zu werden. Aber die Geschwindigkeit, das Drängeln auf der linken Spur ist mein einziges Ventil für den aufgestauten Ärger. Jedes Mal, wenn ich schalte, prügele ich den Gang ins Getriebe und lasse den Wagen spüren, wie sehr er mir zuwider ist.
Auf ihre Provokation antworte ich nicht. Fehlt mir gerade noch: Mit der Lady irgendwo im Osten, Lichtenberg oder so, an einer Kreuzung ein Stechen zu fahren.
Fällt aus wegen iss nich.
Der Verkehr verdichtet sich, und ich muss meine Geschwindigkeit anpassen, lasse uns mitfließen.
Nach einer halben Stunde fahre ich ab, Richtung Innenstadt. Zu dem Hotel, das Collie für uns gebucht hat. Für den irischen Killer und seinen Passmann.
‚Molly wie Molly Malone?’ will ich wissen, als mir das Schweigen zu anstrengend wird.
Aus den Augenwinkeln kann ich sehen wie sie lächelt und kurz den Kopf schüttelt. Ihre Haare schwingen leicht nach, fallen weich. Ich würde sie gerne näher betrachten, begutachten, aber ich will nicht, dass sie mich dabei sieht. Verzichte darauf und packe das Steuer fester. Werfe überflüssige Blicke in den Rückspiegel.
‚Das wäre etwas billig, findest du nicht?’ bequemt sie sich nach einer Weile endlich zu antworten.
The tart with the cart, schießt es mir durch den Kopf, und ich muss grinsen. Es ist Jahre her, dass ich die Statue auf der O’Connell-Street in Dublin gesehen hatte. Malone war Fischhändlerin, glaube ich. Weiß nicht, ob sich ein Mädchen so einen Namen freiwillig zulegen würde.
Sie hat mir das Gesicht zugewandt und ich frage mich, ob sie mein Grinsen belustigt oder ärgert.
‚Neuromancer, von Gibson?’ fällt mir dann noch ein. Ich erwarte nicht, dass sie darauf antwortet. Würde sich vermutlich ertappt fühlen, wenn es stimmen würde.
‚Möglich’, sagt sie tonlos, sieht raus auf den Verkehr.
Wahrscheinlich heißt sie in Wirklichkeit Sabdh oder Siobhan oder hat einen ähnlich bekloppten irischen Name, den keiner außerhalb einer gaeltachta korrekt aussprechen kann. Ich habe den Irischunterricht schon als Kind gehasst.
Mit einem letzten Blick in den Rückspiegel beende ich meinen Versuch, Smalltalk zu betreiben.
Der Bellboy hält uns die Tür des Hotels auf und folgt dann mit ihrem Koffer. Meine kleine Sporttasche habe ich selber in der Hand. Zahnbürste, ein paar Wechselsachen, mehr nicht. Ich bin ja nicht aus der Welt – kann mein Zeug von Zuhause holen.
Sie durchquert die Lounge, wirft einen prüfenden Blick auf die Einrichtung, während ich dem Jungen das Trinkgeld gebe. Als er die Tür von außen geschlossen hat, baue ich mich im Türrahmen auf, prüfe Molly auf die gleiche Weise wie sie die Suite.
Mit einem milden Lächeln dreht sie sich um, krümmt die Augenbrauen, bis ich wegsehe. Die Spielchen nerven mich, ich will das nicht. Habe keinen Bock auf ihre überhebliche Art, ihren Spott und ihre scharfe Zunge. Ich erinnere mich, warum ich von der Insel weg bin. Die irischen Weiber waren mir immer zu kompliziert. Zu clever, zu komplex und zu scharfsinnig.
‚Was jetzt?’ will ich wissen.
Sie antwortet nicht. Öffnet stattdessen die Tür zum zweiten Zimmer, da wo sie schlafen wird, und geht hinein. Lässt mich stehen. Zwingt mich, ihr entweder zu folgen, in ihr Zimmer, oder auf sie zu warten.
Ich atme tief durch und gehe an die großen bodentiefen Fenster. Draußen liegt der Alex, sprühregenverhangen, als wäre das die passende Begrüßung für einen Gast aus Belfast. Keine Ahnung, warum uns Collie gerade hier einquartiert hat – er weiß, dass ich lieber drüben bin, im Westen.
Über die Schulter werfe ich einen kurzen Blick auf die Couch. Da werde ich schlafen, mit Blick auf die Tür. Als Rottweiler für die kleine Molly, der Gatekeeper, der voreilige Helden von ihrer Schwelle abhält. Aus ihrem Schlafgemach.
Chu Chulainn - der Hund, der Buße tut.
Die ganze Scheiße nervt mich – als hätte ich nichts Besseres zu tun. Nach diesem elenden Trip nach Hamburg - Rekonvaleszenz inklusive - musste ich mich dringend um Welshie kümmern. Die kleine Ratte hatte mich an die Klebe verkauft, mich verraten – viel wichtiger: Er hatte mich überhaupt erst nach Hamburg geschickt. Mir weisgemacht, ich würde einer wichtigen Spur folgen, Hinweisen nachgehen, die den mysteriösen Tod von Goth-Girl aufklären könnten.
Stattdessen war ich in eine Sackgasse eingebogen, mit hundertachtzig Sachen gegen eine Ziegelmauer geprallt. Und Welsh war mein Navi gewesen, hatte mich da rein gelotst, in diese Gasse.
Darüber wollte ich nach meiner Rückkehr von der Alster dringend mit ihm reden, auf eine mir eigene Weise.
Durch diesen Gefallen für Collie komme ich nicht dazu. Muss stattdessen Babysitter für eine Tante aus Belfast mimen, die glaubt, sie könne Spielchen mit mir spielen. Und gewinnen.
Sie kommt aus dem Zimmer, energisch, als hätte sie drinnen kurz an was genippt – einem Jungbrunnen? Dass sie Zeug nimmt glaube ich nicht. Dafür unterstelle ich ihr zu viel Professionalität.
‚Wollen wir los?’ fragt sie mit einem Kopfnicken, als hätte sie schon ein paar Mal in der Tür gestanden und ich würde meinen faulen Arsch nicht vom Sofa hoch bekommen.
Ich nicke mürrisch. Gehe im Geiste noch mal alle Optionen durch, wie ich aus dem verschissenen Job rauskommen könnte. Dauert nicht lange - die Liste ist kurz. Nicht existent.
‚Wohin?’ will ich wissen.
‚Treptow, Nähe der Towers. Weißt du, wo das ist?’
Ich bestätige.
‚Na dann los, Tiger. Zeit für ein bisschen Action in deinem öden Leben.’
Richtig.
Zehn Minuten später ziehe ich aus der geschwungenen Ausfahrt der Tiefgarage hoch zum Alex. Diesmal hat sie sich eine Bemerkung über den Wagen gespart. Würde bald alt werden, der Gag, wenn wir noch ein paar Tage zusammen zu tun haben. Und ein Camaro oder eine Viper ist eher nicht in Sicht, nicht bei Collies Budget.
Wir fahren direkt durch Kreuzberg durch. Während wir den Wrangelkiez passieren, will ich von ihr wissen, wohin es geht.
‚Noch übers Wasser, dann muss es da Hallen geben, mit einem Flohmarkt. Richtig?’
Ich nicke. Der Hallen-Trödelmarkt. Treptows einzige Attraktion - jedenfalls für Kreuzberger.
Wir parken neben einer Grünanlage und laufen die paar hundert Meter bis zu den Hallen. Haufenweise Leute, die Zeug und Krempel da rausschleppen, armeweise. Erinnert mich an diese Schrottdealer aus Star Wars, die Jawa. Genauso sinnlos kommt es mir vor, in Treptow, Friedrichshain oder Kreuzberg Scheiß aufm Trödelmarkt einzukaufen, um ihn dann in Treptow, Friedrichshain oder Kreuzberg einzulagern. Neben anderem Scheiß, genauso wertlos.
Wir gehen an einem Stand vorbei, wo auf über dreißig Quadratmetern circa eine Million Wasserhähne verkauft werden. Alte und neue.
Falls ich je in meinem Leben einen speziellen Wasserhahn brauche, komme ich hierher - versprochen.