Capsicum

Erzählung zum Thema Arroganz

von  Mutter

Langsam ziehe ich die Gartentür hinter mir zu und orientiere mich in der engen Gasse. Nehme nicht den Weg zurück, den wir gekommen sind, sondern gehe nach rechts runter, auf einen Park zu.
Der runde Platz, grasbewachsen, liegt fast vollkommen verlassen da. Noch zu früh für die Kinder und Jugendlichen, die sich hier vor allem die Nachmittage vertreiben – Fußball, Fangen, Toben. Nur ein halbes Dutzend junger Männer hängt um eine Parkbank rum. Halbstarke. Mustern mich argwöhnisch.
Mit einem kleinen Lächeln überquere ich die Straße, betrete das durch einen eisernen Zaun abgetrennte Rund und gehe den geharkten Weg auf die Bank zu. Ich weiß nicht, warum ich mich mit ihnen anlege. Es gibt keinen Grund.
Keinen ersichtlichen.
Aggressionsverhalten, würden sie das im Knast oder in der Army nennen. Ich suche Streit. Der ist nicht besonders schwer zu finden. Ich schüttele den Kopf, verdränge die Gedanken. Zwei von den Jugendlichen, die auf der Lehne gesessen haben, stehen auf. Flucht oder Aggression – beides braucht Beweglichkeit. Einer von den Jungs, das Alphatier, bleibt sitzen. Betrachtet mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Vorfreude. Wäre er ein Wolf, würde er sich bereits die Lefzen lecken.
Ich erreiche das Rudel. Zögernd, widerwillig, öffnen sie ihren Kreis, lassen mich rein. Stehen halb in meinem Rücken. Gewaltsam unterdrücke ich den Reflex, die Schultern zu lockern.
Muss grinsen. Mit einer Umzingelung schüchtern sich die Kids auf dem Schulhof gegenseitig ein.
Nicht mit mir, ihr kleinen Pisser. Ich bin der Weiße Mann: John Wayne und die verfickte Siebente Kavallerie. Von euch reitet keiner mehr in den Sonnenuntergang.

Das Alphatier, in seinem weißen Feinripp-Unterhemd für das kühle Wetter zu leicht bekleidet, nickt mir auffordernd zu. Soll ihm sagen, was ich will. Mich danach verpissen. Oder umgeboxt werden.
‚Seid ihr aus der Gegend?’
Keine Reaktion. Ich habe keine erwartet. War eine Scheiß-blöde Frage, zum Aufwärmen. Lippen dehnen.
‚Kennt ihr Drummond? Dale Drummond?’
Jetzt bekomme ich eine Reaktion – die Jungs wirken sichtlich verspannt. Der Anführer schiebt seinen Arsch von der Bank und auf mich zu. ‚Wer will das wissen?’
Ich grinse. Wie viele Millionen Halbstarke auf dieser Welt haben den Satz vor ihm gesagt?
Und viele Millionen Halbstarke haben sich eine kaputte Fresse für diesen Spruch eingehandelt?
‚Meine Mutter will das wissen.’ Ohne ihn aus den Augen zu lassen, schiebe ich mich dicht an ihn heran. So nah, dass man ein Blatt Papier zwischen uns einklemmen könnte. Sich unsere Gesichter wie die zweier Liebender umkreisen.
Mir ist klar, wie dämlich das ist. Gleich wird sein Kopf nach vorne schießen - irische Begrüßung nennen sie das unten in Dublin.
Wenn ich Pech habe, zertrümmert er mir die Nase. Ich sehe nichts mehr, das Blut sticht in den Augen, der Schmerz im Kopf und ich gehe zu Boden. Über mir ein Rudel räudiger Hyänen.
Habe ich oft genug erlebt. Diese Kämpfe werden schnell entschieden.

Ich kann’s nicht lassen. Mein verfickter Stolz, der arg gelitten hat in letzter Zeit, lässt mich nicht. Bin zu lange Opfer gewesen, zu lange einem Phantom hinterher gejagt. Hier ist alles fremd.
Wo jedes bisschen vertraut sein sollte. Hier ist meine zweite Heimat – das ist meine Insel.
Alles hat sich verändert. Der Boden, auf dem ich stehe, ist nicht mehr der gleiche. ‚It’s like fuckin’ tectonics’, hatte Collie mal gesagt, als er nach Jahren zurück gekehrt war. Tektonische Veränderungen.
Meine Orientierung stimmt nicht mehr, ich kenne mich nicht aus. Die Landschaft scheint fremd.
Die Peace Lines seien nicht mehr sichtbar, hatte Drummond gesagt. Scheiße. Was will ich hier?
Ich sehe das Zucken, bevor er den Kopf richtig bewegt. Reiße meinen Schädel zurück, zur Seite. Er erwischt mich auf dem Jochbein. Seine Stirn prallt dort auf, ein zuckender Stich fährt mir durch die Rübe.
Ohne zu zögern ramme ich meine Faust von unten mit einem hammerharten Haken an sein vorgestrecktes Kinn. Hat halt Nachteile, den eigenen Kopf als Waffe zu benutzen.
Er sackt in sich zusammen, ich schieße ohne Übergang den Ellenbogen nach hinten raus. Erwische einen von ihnen am Brustkorb - dem bleibt der Atem weg.
Geschmeidig fahre ich auf dem Ballen meiner Füße herum, bereit für die anderen Aasfresser. Wer von euch ist der nächste?

Dort auf dem Kies liegen zwei von ihnen, mit scheinbarer Leichtigkeit gefällt.
Was ist die bessere Option? Die Butterflys und Springmesser zu ziehen oder auf dem Absatz kehrt zu machen? Mit raubtierhaftem Grinsen mache ich einen Satz nach vorne, der Kerl stolpert zurück. Reißt hilflos die Arme vors Gesicht, fällt. Bevor ich ihn finishen, ihm im Fallen die Lichter ausmachen kann, fährt mir ein brutaler Schmerz durchs Knie.
Durch meinen Schwung stolpere ich, schlage fast hin. Gekrümmt, um das linke Knie nicht zu belasten, drehe ich mich zur Seite, die Fäuste erhoben. Will mich wehren.
Aber die kleine Tunte, die mich da erwischt hat, tänzelt wie eine Kreuzung aus Ballerina und Kickboxer von mir weg. Grinst mich über den Kies an.
Ungelenk mache ich ihm einen Schritt hinterher, als ich aus den Augenwinkeln noch eine Bewegung sehe. Zucke zurück, decke meinen Oberkörper mit den Armen ab. Nicht das andere Bein, bitte, fährt es mir durchs Hirn. Nicht runter in den Kies.
Ich sehe, wie ein Typ mit Liam Gallagher-Haarschnitt den Arm nach mir ausstreckt. Blocke den Arm mit den Fäusten weg, aber es ist zu spät.
Ich registriere das Zischen und den beißenden Schmerz zur selben Zeit. Meine Sicht verschwimmt und es fühlt sich an, als würde mir jemand die Augen aus dem Kopf krallen. Mit frisch geschnittenen Fingernägeln.
Tränenschleier ziehen vor meine Augen. Ich presse sie zusammen, um den Schmerz zu kontrollieren. Nützt nichts, reiner Reflex.
Blind taumele ich nach hinten, stoße gegen die Bank. 
Pfefferspray.
Hilflos versuche ich, etwas zu erkennen. Bewegungen, Schatten, Geräusche. Er hat vor allem das rechte Auge erwischt, das ist komplett zu. Links sehe ich noch Schemen.
Von der Seite nähert sich jemand, vielleicht die Tunte. Krümme mich noch mehr zusammen, drehe den Kopf. Als wäre ich hilflos.
Der Schmerz kreischt und singt, versucht so unbarmherzig zu sein, wie er nur kann. Fuck off.
Ich schaffe es, die Pein in grimmige Befriedigung zu verwandeln. Wer bin ich? Fuckin’ Zatoichi – ich kann auch blind kämpfen. Der Klang der fallenden Würfel hat sich verändert, ihr Pissnelken!
Mit zusammen gebissenen Zähnen versuche ich zu erkennen, wann er nah genug dran ist. Werfe mich zur Seite, erwische ihn nicht ganz, aber meine ausgestreckten Finger fassen Stoff. Ich packe zu, die Augen gegen den Schmerz erneut geschlossen. Reiße ihn mit mir zu Boden, ziehe ihn halb unter mich.
Nehme befriedigt das Grunzen war, als ihm mein Gewicht schmerzhaft die Luft aus den Lungen treibt. Hämmere ihm den rechten Ellenbogen irgendwo in die Nähe seines Gesichtes. Hals, Brustbein. Mir egal.
Irgendwas erwische ich, er kreischt auf. Noch mal, und noch mal.
Dann rolle ich mich seitlich von ihm runter, komme hoch. Versuche, das angeschlagene Bein nicht unnötig zu belasten.
Kampfbereit, mit ausgestreckten Fingern und offenen Armen. Wer ist der nächste?
Kann nichts hören, keine Bewegung auf dem Kies. Zögern.
Ich zwinge mich, erst das linke, dann auch das rechte Auge zu öffnen. Blinzle Tränen und Schmerz weg. Mein Gesicht fühlt sich an, als wäre es eine einzige, offene Wunde.
Die Jungs warten ab, sind unschlüssig. Three down, three to go.

Einer von ihnen haut ab. Die anderen folgen seinem Beispiel. Schade. Ich hätte mich gerne mit der Kanaille mit dem Spray unterhalten. Ihm das Ding tief in den Arsch gerammt.
Der Alpha ist noch weggetreten. Mit einem Grunzen gehe ich auf ein Knie neben dem Kerl runter, den ich als zweites erwischt habe.
‚Hey’, sage ich, weich. Als täte mir leid, was gerade passiert ist. Er röchelt, nickt.
‚Drummond. Ihr kennt Drummond?’
Nickt noch mal.
‚Ist der noch im Business?’
Der Kerl schüttelt langsam den Kopf, schließt die Augen, verzieht das Gesicht. Versucht, die Schmerzen in seinem Solar plexus wegzublenden.
‚Für wen arbeitet ihr?’
Diesmal bekomme ich keine Antwort. Ich gebe ihm noch eine Sekunde, lehne mich leicht auf seinen Brustkorb. Er hustet.
Ich verstärke den Druck, das Husten fällt ihm schwerer. Endlich nickt er.
Als ich mich zurücklehne, ihn freigebe, holt er ausgiebig Luft. Presst dann hervor: ‚Izzy Lomax.’
Der kleine Izzy Lomax. An den kann ich mich noch erinnern. ‚Izzy Bizzy Spider’ nannten wir ihn – ein absoluter Poser. Izzy kannte jeden und niemanden, er hatte nichts und konnte noch weniger. Hat trotzdem davon geträumt, eines Tages einer von den Bigshots zu werden. Offenbar war er auf einem guten Weg dahin.
Das reicht mir als Info. Von den Pennern werde ich kaum mehr erfahren. Nichts, was mir weiterhilft. Ich lasse die drei da liegen.
Gehe mir einen Brunnen suchen, um die Scheiße aus den Augen zu waschen.


Anmerkung von Mutter:

BÄMM! :D

Musste mich im Übrigen sehr zusammen reißen, mit dem Titel nicht irgendwelche Kalauer zu reißen ... :)
'Scum', 'cum', 'capricorn' - da fiele mir schon einiges ein. :D

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Kommentare zu diesem Text

AnnaKarenina (31)
(20.06.09)
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 Mutter meinte dazu am 20.06.09:
Du hast Recht - die Stelle ist sogar hgochgradig unnötig ... :)

Danke, fliegt raus.
Und: Danke. :)

 RainerMScholz (03.11.09)
Ein Favorit! Finishen ist ... irisch.
Zatoichi?
Und: der Klang der fallenden Würfel, womit das Bild perfekt wäre.
Als wäre man dabei, auf welcher Seite auch immer. Das Schlachtenglück ist eine wechselhafte Braut.
Grüße,
R.

 Mutter antwortete darauf am 04.11.09:
Danke ...

Und der Zatoichi-Hinweis, richtig, hab ich korrigiert. Danke. :)
Alegra (41)
(05.11.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 05.11.09:
Klar - alles, was der Corker erleiden muss, habe ich zu Recherchezwecken am eigenen Leibe ausprobiert ... ;)

Danke schön ... :)
Alegra (41) äußerte darauf am 06.11.09:
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 Mutter ergänzte dazu am 07.11.09:
O.o
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