Impotent
Essay
von Dieter_Rotmund
Die Idole meiner Jugend verbrennen auf den Scheiterhaufen der heiligen Inquisition der Pressekonferenz. Bekenntnisweise brechen meine alten Vorbilder weg und in Tränen aus.
Ich sitze vor dem Fernseher und muß miterleben, wie die Helden meiner Adoleszenz ausgeschlossen werden und sich hinter armseligen Ausreden verstecken. Mitunter gibt es nicht einmal eine Pressekonferenz mehr. Die Protagonisten meiner juvenilen Träume fallen schneller, als die Medien nachkommen.
Mein geliebter Radsport gerät immer weiter in Verruf, während zunehmend mehr Leute den Profi-Fussball für eine knuffige Freizeitbeschäftigung halten, in dem alles sauber und mit rechten Dingen zu geht. Als würde es in einem Bereich, in dem es um derart viel Geld geht, keine Korruption und kein Betrug geben. Mit dem Jahresgehalt nur eines Spielers kann man im Radsport ein ganzes Team mit allem Drum und Dran bezahlen. Aber auf dem Fußballplatz und den Rängen kann man noch ungeniert seinen Aggressionen freien Lauf lassen, wenn mal wieder Stau auf der Autobahn ist und die Ehegattin schon im Frauenhaus. Schmiergeld nehmende Schiedsrichter werden vergessen und verdrängt. Der Ephedrin-Konsum von Diego Maradonna und die Norephedrin-Einahme von Roland Wolfarth sind ebensowenig ein Stammtischthema wie das Nadrolon beim 1.FC Nürnberg und Tennis Borussia Berlin.
Ich weiß das, denn ich besuche einen solchen Stammtisch. Es sind überwiegend ältere Studenten und junge Akademiker, mit denen ich mich einmal in der Woche treffe. Wir reden meistens über Kunst und Kultur, aber auch gerne über Klatsch und Tratsch und manchmal ist eben auch der Sport ein Thema. Als ich kürzlich die Verhältnismäßigkeit anzweifelte, ob man denn die halbe Innenstadt absperren musste, weil einer der örtlichen Fußballvereine den Wechsel von einer Liga in die nächsthöhere geschafft habe, dann wurde ich sofort belehrt, man („wir“ sagte glücklicherweise keiner) sei schließlich „Meister“ geworden. Es ging zwar immer noch um eine rein nationale Sache ohne irgendeine internationale Bedeutung, aber „Deutscher Meister“, nun gut, dachte ich, da sei noch zu akzeptieren, daß man ein wenig Musik mache und feiere. Zufällig überblätterte ich jedoch einige Tage später in der F.A.Z. nicht schnell genug die unzähligen Sportseiten, die sich ausschließlich mit dem sog. „runden Leder“ beschäftigen und las, daß ein Club aus Wolfsheim (oder so) deutscher Meister im Fußballspielen geworden sei. Das Problem war: ich wohne gar nicht in Wolfenheim und wunderte mich nun erst recht über die meisterlichen Feierlichkeiten. Kurz vertiefte ich mich in diese Ligatabellen. Bei „Liga“ denke ich eigentlich immer zuerst an Superhelden-Gemeinschaften aus den Comics meiner Kindheit. Offenbar denkt man auch beim Fußball, man habe übernatürliche Kräfte...
Dort, in diesen Tabellen, musste ich erkennen, daß die örtlichen Fußballfreunde mitnichten „Meister“ geworden waren: Sie führten tatsächlich lediglich die so genannte zweite Liga an; in der ersten Gruppe waren 18 Mannschaften versammelt, der heimische Fußballverein war also de facto nur 19. geworden. So wie man beim Schwimmen 9. und eben nicht „Meister“ geworden ist, wenn man das B-Finale gewonnen hat. Drei Mannschaften sollten in der nächsten Saison in die sekundäre Liga herabgestuft werden. Man könnte also etwas gefälliger rechnen und ihnen den 16. Platz zugestehen, aber sehr viel glanzvoller ist das auch nicht. Ich sprach das auf dem nächsten Stammtisch an und prompt wurde mir entgegnet, bei „meiner“ Sportart würde ja sowieso nur geschummelt und unlautere Mittel eingesetzt und es sei ja alles Betrug und man legte mir nahe, ich könne „ja nur gewinnen, wenn ich alle Fakten auf den Tisch“ lege und den „Bann des Schweigens breche“. „Hä?“ fragte ich in die Runde und überlegte mir, ob man tatsächlich meine wenigen Teilnahmen an ein paar Jedermannrennen meinte. Als ich vor Jahren erzählte, daß ich auf der deutschen Hochschulmeisterschaft in der Hobbyfahrerklasse 24. geworden war, hatte das noch keinen interessiert. Nun hielt man mir vor, „diesen Typen“, wie man sich nebulös ausdrückte, denen sei ich doch schon viele Male begegnet. Ja, bekannte ich, auch ich stand schon am Straßenrand, als die Pelotons von Deutschland-Tour und Giro d‘Italia vorbeirauschten und bei einem Tour de France - Prolog in Lüttich sei ich sogar schon mal durchs Fahrerlager geschlendert. Ha! fiel man mir ins Wort, Die Belgier! Da seien doch die Allerschlimmsten und in diesen Fahrerlagern, da seien doch diese ganze Dopingdealer gewesen, diese Pfleger und Teamchefs und man sei gerne „im gegenseitigen Einvernehmen“ bereit, meine Entscheidung anzunehmen, wenn ich nicht mehr am Stammtisch teilnehmen wolle. Außerdem äußerte man den Verdacht, ich habe sie während einiger Nicht-Teilnahmen am Stammtisch über meinen wahren Aufenthaltsort belogen. Man mutmaße, ich sei während dieser Zeit gar nicht im Kino, sondern mit anderen Leuten im Biergarten gewesen.
Ich dachte dann eigentlich daran, noch einen draufsetzen, zu sagen, daß ich sogar mal eine sportmedizinsiche Untersuchung an der Uniklinik Freiburg gemacht habe und außerdem wegen meines allergisch bedingten Asthmas hin und wieder etwas Salbutamol nehme, aber das ließ ich do
ch lieber. Jedenfalls waren und sind meine gesamten gesammelten Wettkampfergebnisse so schlecht, daß ich so frei von allen Verdächtigungen sein sollte, daß man eigentlich MICH sofort zum Chef eines Profi-Radsportteam machen kann. Ich werde jetzt trotzdem eine Weile nicht am Stammtisch teilnehmen und warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.
Gestern abend beim Radtraining kamen mir in einer Engstelle zwei Autos entgegen. Sie hatten die Baustelle auf ihrer Seite, also ausdrücklich und nachweislich keine Vorfahrt. Es war Ihnen egal. Sie drängten mich ohne mit der Wimper zu zucken ganz nach rechts ab, so daß mir kaum eine schmale Gasse zwischen Fahrzeug und Bordstein blieb. Ein Radsportfreund hat mir kürzlich erzählt, er sei im Schritttempo ein steilen Anstieg hochgefahren; dabei hat ihn ein abseits Brombeeren sammelnder Rentner „Doping-Depp“ genannt. Manche Autofahrer setzen sich und ihre Wagen gemütlich vor mich und bedienen dann die Fensterwaschanllge. Auf den letzten Kilometer meiner Trainingsfahrt überholte mich ein Kastenwagen, der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und pöbelte mich an. ArschlochPennerStinkefinger.
Sollen die ganzen Hobbyradfahrer für die Verfehlungen der Profis büßen? Ich fühle mich auch verarscht, wenn ich sehe, wie viele ihre Sperren einfach nur absitzen und dann zurückkommen und so tun, als sei nichts gwesen.
Genervt und erschöpft kehrte ich heim und klagte der Freundin mein Leid, dass nun offenbar alle Rennradfahrer vogelfrei seien und dass die Autofahrer noch schlimmer als bisher sie nach Belieben abdrängen, beleidigen und über den Haufen fahren würden.Ich erwartete, daß sie mich in ihre Arme schloß und tröstete. Statt dessen fragte sie nur, ob das Zeug eigentlich impotent machen würde.
Ich sitze vor dem Fernseher und muß miterleben, wie die Helden meiner Adoleszenz ausgeschlossen werden und sich hinter armseligen Ausreden verstecken. Mitunter gibt es nicht einmal eine Pressekonferenz mehr. Die Protagonisten meiner juvenilen Träume fallen schneller, als die Medien nachkommen.
Mein geliebter Radsport gerät immer weiter in Verruf, während zunehmend mehr Leute den Profi-Fussball für eine knuffige Freizeitbeschäftigung halten, in dem alles sauber und mit rechten Dingen zu geht. Als würde es in einem Bereich, in dem es um derart viel Geld geht, keine Korruption und kein Betrug geben. Mit dem Jahresgehalt nur eines Spielers kann man im Radsport ein ganzes Team mit allem Drum und Dran bezahlen. Aber auf dem Fußballplatz und den Rängen kann man noch ungeniert seinen Aggressionen freien Lauf lassen, wenn mal wieder Stau auf der Autobahn ist und die Ehegattin schon im Frauenhaus. Schmiergeld nehmende Schiedsrichter werden vergessen und verdrängt. Der Ephedrin-Konsum von Diego Maradonna und die Norephedrin-Einahme von Roland Wolfarth sind ebensowenig ein Stammtischthema wie das Nadrolon beim 1.FC Nürnberg und Tennis Borussia Berlin.
Ich weiß das, denn ich besuche einen solchen Stammtisch. Es sind überwiegend ältere Studenten und junge Akademiker, mit denen ich mich einmal in der Woche treffe. Wir reden meistens über Kunst und Kultur, aber auch gerne über Klatsch und Tratsch und manchmal ist eben auch der Sport ein Thema. Als ich kürzlich die Verhältnismäßigkeit anzweifelte, ob man denn die halbe Innenstadt absperren musste, weil einer der örtlichen Fußballvereine den Wechsel von einer Liga in die nächsthöhere geschafft habe, dann wurde ich sofort belehrt, man („wir“ sagte glücklicherweise keiner) sei schließlich „Meister“ geworden. Es ging zwar immer noch um eine rein nationale Sache ohne irgendeine internationale Bedeutung, aber „Deutscher Meister“, nun gut, dachte ich, da sei noch zu akzeptieren, daß man ein wenig Musik mache und feiere. Zufällig überblätterte ich jedoch einige Tage später in der F.A.Z. nicht schnell genug die unzähligen Sportseiten, die sich ausschließlich mit dem sog. „runden Leder“ beschäftigen und las, daß ein Club aus Wolfsheim (oder so) deutscher Meister im Fußballspielen geworden sei. Das Problem war: ich wohne gar nicht in Wolfenheim und wunderte mich nun erst recht über die meisterlichen Feierlichkeiten. Kurz vertiefte ich mich in diese Ligatabellen. Bei „Liga“ denke ich eigentlich immer zuerst an Superhelden-Gemeinschaften aus den Comics meiner Kindheit. Offenbar denkt man auch beim Fußball, man habe übernatürliche Kräfte...
Dort, in diesen Tabellen, musste ich erkennen, daß die örtlichen Fußballfreunde mitnichten „Meister“ geworden waren: Sie führten tatsächlich lediglich die so genannte zweite Liga an; in der ersten Gruppe waren 18 Mannschaften versammelt, der heimische Fußballverein war also de facto nur 19. geworden. So wie man beim Schwimmen 9. und eben nicht „Meister“ geworden ist, wenn man das B-Finale gewonnen hat. Drei Mannschaften sollten in der nächsten Saison in die sekundäre Liga herabgestuft werden. Man könnte also etwas gefälliger rechnen und ihnen den 16. Platz zugestehen, aber sehr viel glanzvoller ist das auch nicht. Ich sprach das auf dem nächsten Stammtisch an und prompt wurde mir entgegnet, bei „meiner“ Sportart würde ja sowieso nur geschummelt und unlautere Mittel eingesetzt und es sei ja alles Betrug und man legte mir nahe, ich könne „ja nur gewinnen, wenn ich alle Fakten auf den Tisch“ lege und den „Bann des Schweigens breche“. „Hä?“ fragte ich in die Runde und überlegte mir, ob man tatsächlich meine wenigen Teilnahmen an ein paar Jedermannrennen meinte. Als ich vor Jahren erzählte, daß ich auf der deutschen Hochschulmeisterschaft in der Hobbyfahrerklasse 24. geworden war, hatte das noch keinen interessiert. Nun hielt man mir vor, „diesen Typen“, wie man sich nebulös ausdrückte, denen sei ich doch schon viele Male begegnet. Ja, bekannte ich, auch ich stand schon am Straßenrand, als die Pelotons von Deutschland-Tour und Giro d‘Italia vorbeirauschten und bei einem Tour de France - Prolog in Lüttich sei ich sogar schon mal durchs Fahrerlager geschlendert. Ha! fiel man mir ins Wort, Die Belgier! Da seien doch die Allerschlimmsten und in diesen Fahrerlagern, da seien doch diese ganze Dopingdealer gewesen, diese Pfleger und Teamchefs und man sei gerne „im gegenseitigen Einvernehmen“ bereit, meine Entscheidung anzunehmen, wenn ich nicht mehr am Stammtisch teilnehmen wolle. Außerdem äußerte man den Verdacht, ich habe sie während einiger Nicht-Teilnahmen am Stammtisch über meinen wahren Aufenthaltsort belogen. Man mutmaße, ich sei während dieser Zeit gar nicht im Kino, sondern mit anderen Leuten im Biergarten gewesen.
Ich dachte dann eigentlich daran, noch einen draufsetzen, zu sagen, daß ich sogar mal eine sportmedizinsiche Untersuchung an der Uniklinik Freiburg gemacht habe und außerdem wegen meines allergisch bedingten Asthmas hin und wieder etwas Salbutamol nehme, aber das ließ ich do
ch lieber. Jedenfalls waren und sind meine gesamten gesammelten Wettkampfergebnisse so schlecht, daß ich so frei von allen Verdächtigungen sein sollte, daß man eigentlich MICH sofort zum Chef eines Profi-Radsportteam machen kann. Ich werde jetzt trotzdem eine Weile nicht am Stammtisch teilnehmen und warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.
Gestern abend beim Radtraining kamen mir in einer Engstelle zwei Autos entgegen. Sie hatten die Baustelle auf ihrer Seite, also ausdrücklich und nachweislich keine Vorfahrt. Es war Ihnen egal. Sie drängten mich ohne mit der Wimper zu zucken ganz nach rechts ab, so daß mir kaum eine schmale Gasse zwischen Fahrzeug und Bordstein blieb. Ein Radsportfreund hat mir kürzlich erzählt, er sei im Schritttempo ein steilen Anstieg hochgefahren; dabei hat ihn ein abseits Brombeeren sammelnder Rentner „Doping-Depp“ genannt. Manche Autofahrer setzen sich und ihre Wagen gemütlich vor mich und bedienen dann die Fensterwaschanllge. Auf den letzten Kilometer meiner Trainingsfahrt überholte mich ein Kastenwagen, der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und pöbelte mich an. ArschlochPennerStinkefinger.
Sollen die ganzen Hobbyradfahrer für die Verfehlungen der Profis büßen? Ich fühle mich auch verarscht, wenn ich sehe, wie viele ihre Sperren einfach nur absitzen und dann zurückkommen und so tun, als sei nichts gwesen.
Genervt und erschöpft kehrte ich heim und klagte der Freundin mein Leid, dass nun offenbar alle Rennradfahrer vogelfrei seien und dass die Autofahrer noch schlimmer als bisher sie nach Belieben abdrängen, beleidigen und über den Haufen fahren würden.Ich erwartete, daß sie mich in ihre Arme schloß und tröstete. Statt dessen fragte sie nur, ob das Zeug eigentlich impotent machen würde.