Delusion

Erzählung zum Thema Achtung/Missachtung

von  Mutter

Geduckt laufe ich um das Haus rum und komme zur Hintertür. Schiebe die beiden Stahlzungen des Kuhfußes in das weiche Holz, stemme das Schloss auf.
Einen Moment später stehe ich in der Küche. Normalerweise würde jetzt der Alarm losgehen – nicht ohne Strom. Ich durchquere die dunkle Küche, stehe im Flur. Die Schlafzimmer sind oben. Wie in jedem irischen Haus dieser Bauweise. Der dichte Teppich auf den Stufen dämpft meine Schritte.
Oben auf dem Absatz sehe ich vier Türen. Eine steht angelehnt – das Bad. Bei den anderen dreien muss ich raten. Kontrolliert und Millimeter für Millimeter drücke ich die erste Klinke runter. Spähe hinein, kann nichts erkennen. Welcher Idiot hat die Straßenlaternen ausgeschaltet?
Ein schneller Griff in die Carryall fördert die kleine Taschenlampe zutage, die ich anschalte und, abgeschirmt durch meine Hand, ein Stück in den Raum halte. Kinderzimmer.
Fußballerposter, Modellflieger, Schreibtisch. Leeres Bett. Bentos Sohn. Auf dem Internat, sagt die Info.
Ich schließe die Tür und wende mich der nächsten zu.
Im sanften Licht der abgedeckten Lampe sehe ich ein Doppelbett, zwei schlafende Körper. Bingo.
Lautlos schlüpfe ich ins Zimmer und trete vor das Bett. Sie liegt auf meiner Seite, ich muss rum. Auch hier dämpft der Teppich jeden Schritt. In Berlin würde ich bei einer derartigen Aktion über knarrende Holzdielen laufen.
Bei ihm angekommen, präge ich mir seine Position ein. Betrachte das entspannte Gesicht – er liegt auf der Seite.
Schalte die Taschenlampe aus, stecke sie weg. Brauche beide Hände. Packe mit der linken Hand sein Gesicht, presse ihm die Handfläche auf Mund und Nase. Kein Laut bringt er mehr raus. Er fängt an zu zappeln, wird panisch wach. Meine Faust drischt auf den Hals, erstickt das Röcheln. Noch zwei kurze Hits direkt auf die Schläfe und er ist raus. Zuckt nicht mehr.
Die Alte schläft weiter.
Wacht nicht mal auf, als das leise Ratschen des Klebebandes verkündet, dass ihr Mann transportfertig gemacht wird. Ich wickele ihn ein wie seinen Bruder. Hebe ihn aus dem Bett, platziere ihn mir auf dem Teppich, schiebe ihn mir zurecht.
Ich wuchte seinen Körper mit einem Grunzen auf die Schulter. Der Penner ist fast so groß wie ich.
Taumelnd finde ich meinen Weg zur Tür, die Linke stützt mich am Türrahmen ab. Auf der Treppe balanciere ich ihn mehr, als dass ich ihn trage. Die Hände habe ich an Wand und Geländer, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Einen Augenblick später sind wir draußen, ich beeile mich, zum Auto zu kommen. Jetzt ist es egal, ob uns jemand sieht.
Hintertür auf, schiebe und stoße seinen leblosen Körper oben auf seinen Bruder drauf. Muss ihm die Beine wegknicken, hinten auf die Hutablage drücken, damit ich die Tür schließen kann. Keine Sorge Jungs, wenn wir aus Belfast raus sind, könnt ihr es euch bequem machen. Versprochen.

Ich halte mein Wort. Auf einem einsamen Rastplatz setze ich die beiden ordentlich hin, nebeneinander. Benny beginnt aufzuwachen. Stöhnt, grunzt. Zuckt mit dem Kopf hin und her. Ist mir zu früh – habe ich noch keinen Bock drauf. Eine kurze Gerade aufs Kinn und sein Kopf hängt brav nach unten.
Nachdem ich die Tür hinten zugeschlagen habe, wende ich mich dem Meer zu. Wir haben die scenic route genommen, nicht die Hauptstraßen. Oben am Meer lang, mit der vollen Wucht des Atlantiks. Ich liebe diese Küste.
Noch ist keine Sonne zu sehen. Die Meeresoberfläche, vollkommen still, spiegelt bereits das kommende Licht. Weiter unten kann man träge Wellen am Ufer hören, nicht sehen. Es geht zu steil runter.
Ich steige zurück ins Auto.
Für eine Weile amüsiere ich mich mit imaginären Dialogen mit den beiden.
‚Sind wir schon da?’
‚Noch nicht, aber bald.’
‚Jetzt?’
‚Bald, habe ich gesagt.’
‚…’
‚Und jetzt? Sind wir jetzt da?’
Ich mache das gut – für einen kurzen Moment verspüre ich das Bedürfnis, kurz anzuhalten und den beiden den Hintern zu versohlen. Damit sie keine dämlichen Fragen mehr stellen. Wie ein guter Dad.
Zwischendurch halte ich, um Sweets und Softdrinks für alle zu kaufen. Die Gefahr, dass jemand die beiden sieht, besteht nicht. Die hinteren Scheiben sind getönt, und ich parke den Wagen so, dass man nur hereingucken könnte, wenn man fast auf den Klippen steht.
Die Fahrt geht weiter. Meine beiden Jungs wollen nichts. Kein Mountain Dew, keine Cola und keine Maltesers.
Ich ärgere mich kurz, dass ich keine passende Musik für unseren Ausflug besorgt habe, suche einen  Radiosender. Lande bei Shine FM - ein christlicher Sender, drehe weiter. Als nächstes irgendwelche Muppets, die irisch reden. Mache aus.
Drei Stunden und ein paar Zerquetschte sind wir unterwegs. Durch Colerane, die Free City Derry und erreichen endlich unser Ziel in der Einöde: Carndonagh.
Das kleine Häuschen liegt noch ein paar Minuten außerhalb des Ortes – hier kommt alle paar Jahre mal ein Schäfer mit seiner Herde vorbei. Beste Voraussetzungen für einen entspannten Urlaub.
Ich parke vor dem Haus und wuchte die beiden in den Kies. Sie sind wach – zucken und stöhnen. Mit ein paar leichten Backpfeifen stelle ich die Ordnung wieder her. Seid geduldig Jungs, geht gleich los.
Nacheinander schleppe ich die beiden ins Haus. Bringe Benny in eines der Schlafzimmer, Donnie in das andere. Das letzte und das Wohnzimmer mit integrierter Küche bleiben mir. In ihren Zimmern hebe ich die beiden auf Stühle, die ich im Wohnzimmer gefunden habe und klebe sie ordentlich mit Gaffer fest. Unterschenkel an die Stuhlbeine, Bauch und Lehne verklebt und dann großzügig die Hände hinten befestigt. Benny wimmert, windet sich. Sein Bruder ist still. Der ist ein Profi. Ahnt, was kommt.
Zufrieden mit meiner Arbeit gehe ich zurück in die Küche, um mir einen Schluck Wasser zu holen. Zögere kurz, gehe noch mal zu den beiden.
Ziehe ihre Ärsche auf den Stühlen bis ran an die Heizkörper und verklebe sie gründlich mit dem Metall. In der Vergangenheit hatte ich es geschafft, mich aus ähnlichen Situationen zu befreien, indem ich die Stühle zerstörte, um die Fesseln zu lockern.
Gaffer ist hartnäckiger als Schnur. Ich will auf Nummer Sicher gehen. Den Brüdern keine Chance lassen.
Es gibt kein Problem im Leben, was man nicht mit genügend Klebeband lösen kann, hatte ein Kumpel von mir mal gesagt.

Als nächstes fahre ich in das Dorf, kaufe ein. Lebensmittel, Torf für den Kamin und ein paar Zeitschriften. Damit mir die Zeit nicht zu lang wird, bis die Brüder auspacken.
Der Wagen rollt auf den Kies vor dem in weißem Kalk getünchten Haus und ich bleibe einen Moment sitzen. Dort drinnen in dem gedrungenen Cottage sind die beiden Wichser. Wenn ich Glück habe, wenn ich meine Arbeit gut gemacht habe, kleben die noch auf ihren Stühlen fest. Wenn ich Scheiße gebaut habe, warten sie da drinnen auf mich.
Das ist der Kitzel in dieser Art Situation. So lange du bei deinen Gefangenen bleibst, hast du die Kontrolle. Kann nichts schiefgehen.
Wenn du gehst, gibst du Kontrolle ab. Können sie ihre Fesseln lösen? Ist jemand gekommen, um sie zu holen?
Jeder Gang zurück ins Haus ist ein besserer Kick als zwei Stunden Achterbahn. Deine Haut prickelt, der Schweiß perlt dir auf der Stirn und dein Herz pumpt Überstunden.
Scheiße, war das lange her, dass ich so was gemacht habe, denke ich mit einem breiten Grinsen und steige aus.
Ich weiß, dass ich alles richtig gemacht habe. Dass die beiden Brüder noch bestens verschnürt sind. Die Angst bleibt. Fuckin’ delusion, nennt Collie das. Wahnvorstellungen, ohne jeden Bezug zur Realität.
Die Angst, die ich verspüre, als ich den Schlüssel im Schloss drehe und das Cottage betrete – ist das eine Wahnvorstellung? Mein Grinsen wird breiter und ich ziehe die Desert Eagle aus dem Hosenbund.
Na los, ihr Pisser. Kommt und holt mich!

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(03.07.09)
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 Mutter meinte dazu am 03.07.09:
Wundern würd's mich nicht ... :)

Danke schön.
michaelkoehn (67)
(03.07.09)
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 Mutter antwortete darauf am 03.07.09:
Cool, danke ... :)
Desdemona (39)
(03.07.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 03.07.09:
Montag ... :)

Danke schön.

 Isaban (03.07.09)
Schau noch mal nach dieser Stelle hier. Zu viel Steno-Style, zu viele "ichs" ausgelassen; besser wäre es, die Satzanfänge umzuschreiben und die Wortwiederholungen (z.B. "kurz") auszubauen.

Ich liebe Maltesers. Kein Problem, Männer, ich schaff die auch alleine.
Ärgere mich kurz, dass ich keine passende Musik für unseren Ausflug besorgt habe, suche dann einen Radiosender. Lande kurz bei Shine FM, einem christlichen Sender, drehe weiter. Irgendwelche Muppets, die irisch reden. Nein, danke. Mache aus.

Ach ja, Namen, auch Ortsnamen/Ortsbezeichnungen wie "Scenic Route" , werden auch im Englischen groß geschrieben.

Warum wurde die Mrs. Bento-Scene eingefügt? So richtig schlüssig und logisch finde ich es nicht, dass jemand, der gerade aktiv bei einem Kidnapping involviert ist, sich die Zeit nimmt, so einen weiblichen Risikofaktor noch mal genauer zu betrachten, sogar die Bettdecke zu lüpfen, auf die Gefahr hin, dass die Lady aufwacht und Ärger macht, nur um drüber nachzusinnen, ob und wieviel es ihm ausmachen würde, der Entführung auch noch eine Vergewaltigung hinzuzufügen. Falls es als reine Charakterdarstellung des Protagonisten gedacht war: Nun, zumindest halten ihn jetzt manche für einen tittenfetischistischen Schwerenöter und für nicht besonders helle. Falls die Scene eingebracht wurde, weil die Frau später noch einmal relevant wird, bzw weil später noch ihre Reaktion auf dieses Deckelüpfen gezeigt werden soll: Sorry, liest sich einfach, wie ein hormongesteuerter Seltendenker, der nicht ausreichend Professionalität besitzt, um solch einen Schmu bei einer derartigen Aktion zu unterlassen.

Ansonsten: Spannend gemacht, klasse, wie das Ende dieses Teils den Leser in den nächsten zieht - gern gelesen.

Liebe Grüße,

Sabine

Edit: Ein q aus der Quote genommen.
(Kommentar korrigiert am 03.07.2009)

 Mutter äußerte darauf am 03.07.09:
Das mit dem abgehackten Stil ist echt schwierig richtig hin zu bekommen - zu wenig, und es passt nicht mehr, nimmt zu viel Fahrt raus, zu viel und es wird Steno. Schaue ich mir noch mal an.
Wiederholungen sind natürlich grunsätzlich doof ... :)

'scenic route' ist kein Ortsname - ein Begriff für die 'malerische Strecke'. Klein geschrieben passt also. In meinem Text sind alle diese Sachen kursiv - da ich aber meistens beim Korrigieren (und das mache ich weiß Gott oft genug ... ;)) immer alle HTML-Tags rausfliegen, lasse ich die inzwischen auf KV einfach raus.

Zur Misses Bento-Szene - tja, ursprünglich hatte ich Pläne, den Aufenthalt im Haus, bzw. die Szene im Schlafzimmer aufzublähen. Habe ich dann gelassen. Die Szene ist noch ein Atavismus davon. Kann raus ... :)

Danke schön.
Alegra (41)
(11.11.09)
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 MadEleine (10.06.20)
Würde mich ja mal interessieren, was der für Zeitschriften als Zeitvertreib so liest. GQ? Für den Gentlemen von heute?

 Mutter ergänzte dazu am 10.06.20:
Corker oder Bento?
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