Transit
Erzählung zum Thema Reisen
von Mutter
Zwei Stunden später. Der graue Tag ist einem bläulichen Abend gewichen, die regennasse Luft verschmiert die nach und nach angehenden Lichter zu unwirklichen Neon-Halos. Ich beobachte die Regenrinnsale, die sich andauernd neue Bahnen die Scheibe herunter suchen. Denke darüber nach, warum es nicht eine optimale Strecke gibt, warum sich die Verästelungen und Verzweigungen ständig neu definieren müssen.
Wir waren kurz in der Wohnung, haben Anne einen Abriss darüber gegeben, was passiert ist, Sachen gepackt. Mollys – meine haben wir in der Pension auf dem Weg eingesammelt.
Ich sehe rüber, werfe einen Seitenblick auf meine Fahrerin. In dem unwirklichen Licht sieht sie noch attraktiver aus – Schlagschatten und Lichteffekte spielen über ihre Züge. Für einen kurzen Augenblick frage ich mich, ob ich in die Frau verliebt bin.
Meine Gedanken wandern zu der unglaublichen Sal. Habe ich mich in die verguckt? Oder in keine? Wer weiß das schon - Corker nicht.
Molly hatte sich im Appartement auf einen Konflikt eingestellt – darauf, mit mir ausfechten zu müssen, ob sie mitkommt, mitkommen darf. Es gab es keine Diskussion: Ich hatte den Kampf längst eingestellt.
Unwillkürlich muss ich lächeln. Wenn sie versucht hätte, Anne mitzunehmen, hätte ich widersprochen. Ob Molly die kleine Anne in Gedanken genauso als Küken definiert, wie ich das tue?
Ich hatte mich nicht dagegen gewehrt, dass Molly mitkommen würde, weil ich sie brauche. Ein paar alte Kontakte auf der Insel, die Namen, die mir Jill gegeben hatte und meine Erinnerungen an früher – all das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht genug.
Molly ist eine Stadtkatze. Ist im urbanen Belfast zu Hause, hat hier ihre Connections. Allerdings sie ist viel elementarer mit den aktuellen Spielregeln vertraut als ich.
Meine Expertengebiete sind die Müllerstraße im Wedding, Kurdengangs im südlichen Neukölln oder wer zwischen Motzstraße und Nollendorfplatz Koks vertickt.
Aus Irland bin ich zu lange weg.
Und mir ist klargeworden, dass die Insel die Höhle des Löwen ist. Ein Versteck, in das ich reinklettern kann, und in dem ich genauso gut verrecken kann. Es beruhigt mich, Molly an meiner Seite zu haben.
Wir sind im nächsten Level angekommen – jetzt stellt ihr Back-Up kein Cheaten mehr dar, sondern Notwendigkeit. Dieses Level schaffe ich nur mit ihr – sie ist die bessere Rüstung, die geilere Waffe, die ich für den nächsten Bossfight brauche. Mein Buff.
‚Was denkst du?‘, will sie wissen.
Der Wagen frisst gnadenlos die Kilometer nach Norden weg. Eine Weile sind wir die M2 entlang gerauscht, meditativ in ihrer Monotonie, und waren vor kurzem auf die A26 gewechselt. Das kostet uns Geschwindigkeit. Im Gegenzug habe ich nicht mehr das Gefühl, in einen schwindeligen Rausch zu verfallen. Das Blinken der vorbeiziehenden Lichter auf dem Motorway hatte eine Art Katatonie in mir ausgelöst.
Transit.
Früher als Kind habe ich diese Autofahrten geliebt. Nur das Ankommen, das Erwachen aus der Katatonie, mochte ich nicht. Wir sind oft in den Westen gefahren, nach Connacht, in eine der irisch-sprachigen gaeltachta. Mein Bruder hat diese Fahrten gehasst, war mehrere Stunden übellaunig. Konnte nicht verstehen, wie mich diese endlosen Fahrten entspannten – als würde meine Seele in der Bewegung Ruhe finden.
‚Können wir an der nächsten Tanke raus?‘Ich schüttele den Kopf, wie, um wach zu werden. Könnte einen Kaffee vertragen – Koffein ins System direkt-einspritzen.
‚Musst du pissen?‘, will sie mit spöttischem Unterton wissen.
Müde schüttele ich den Kopf. Habe keine Energie mehr für Spielchen, für Alpha-Gehabe.
‚Ich bin nicht sicher, ob ich alle Puzzleteile beisammen habe. Das ergibt hinten und vorne keinen Sinn.‘
‚Wegen Money Monaghan?‘
Ich nehme an, sie registriert mein Nicken aus dem Augenwinkel. Nach einem Moment sage ich weiter: ‚Da passt noch nicht genug zusammen. Hamburg, Collie, Goth-Girl – das alles führt auf keinen Fall direkt zu Money.‘ Vehement schüttele ich erneut den Kopf, fester in meiner Überzeugung, dass ich den Nebel noch nicht durchdringe.
‚Trotzdem hat das Ganze mit Rathlin zu tun, oder?‘
‚Auf jeden Fall.‘
‚Du hast ein mulmiges Gefühl?‘
Ich nicke.
Sie fährt fort: ‚Mister X? Der große Unbekannte?‘
‚Auch.‘ Ich verziehe das Gesicht, rutsche tiefer in den Sitz. Klemme einen Fuß gegen das Handschuhfach, als sei ich ein Teenager. Registriere ihr Lächeln.
‚Seit diese ganze Geschichte angefangen hat, habe ich permanent das Gefühl, manipuliert zu werden. Egal, was ich herausfinde, egal, welche Hinweise ich in die Finger bekomme – das Wasser wird trüber und trüber.‘
‚Verstehe ich. Deine Frustration. Möglicherweise finden wir auf der Insel etwas, dass uns weiterhilft.‘
‚Eventuell laufen wir auch voll ins offene Messer‘, entgegne ich missmutig.
‚Da vorne ist eine Tanke – soll ich raus?‘
‚Ja, ich brauche Koffein.‘ Und meine Blase drückt – den Teil lasse ich unerwähnt.
Mit den Zähnen reiße ich die Hülle des nächsten Schokoriegels auf, beiße die Hälfte ab, kaue.
‚Wird dir nicht schlecht?‘, fragt Molly besorgt.
Ich habe bereits drei oder vier Verpackungen aus dem Autofenster entsorgt. Mit vollem Mund schüttele ich den Kopf. Drücke den zweiten Teil aus Karamell, Erdnüssen und Waffel rein, versuche, der klebrigen Menge in meiner Mundhöhle Herr zu werden.
Gelingt mir beinahe.
‚Ich brauche Zucker!‘, behaupte ich um die zähe Masse herum. Molly verzieht angewidert das Gesicht.
Kurz nach Clough Mills biegt Molly ab, auf eine kleinere Straße runter, die direkt nach Ballycastle führt. Dem Tor zur Insel.
Uns kommt kaum noch Gegenverkehr entgegen, die Lichter der Scheinwerfer, die auf den hügeligen Straßen in den Himmel stechen, sind zu vereinzelten Attraktionen geworden.
‚Kannst du mich mal fahren lassen? Könnte ich mich mal wieder als Kerl fühlen. Der Beifahrersitz ist doch Scheiße‘, maule ich, als mir die Dunkelheit draußen auf den Keks geht. Kann nicht mehr weit sein.
‚Das Letzte, was du brauchst, Corker, ist, dich mehr als Mann zu fühlen. Dein Testosteron-Level ist längst im roten Bereich. Du müsstest mal Kontakt mit deiner weiblichen Seite aufnehmen.‘
‚Wie Jill?‘ Ich lache. ‚Könnte Pumps tragen. Sähe bestimmt super aus.‘
Sie wiegt den Kopf hin und her, als würde sie überlegen. ‚Ja, vermutlich‘, sagt sie nach einem Moment. Und lacht.
‚Diese Geschichte mit Money. Und seiner Maus …‘
Will ich wissen, was sie als nächstes fragt? Herrgott Molly, uralte Geschichten, die keine Sau mehr interessiert. Rede ich mir ein. Wünschte, es wäre so.
‚Was ist mit der?‘, frage ich gedehnt.
Für einen Moment scheint sie nicht zu wissen, wie sie weitermachen soll. Wo den Hebel ansetzen. Ich komme ihr nicht zu Hilfe, lasse sie zappeln.
Schließlich fragt sie: ‚Hattest du was mit ihr, weil du konntest? Weil sie verfügbar war? Oder warst du geil? Hast du sie geliebt?‘ Fügt als Nachsatz hinzu: ‚Wie passiert sowas, Corker?‘
Bekommt ein verächtliches Schnauben für ihre Mühe. Wie war das mit meiner femininen Seite? Da trage ich lieber die Pumps, vielen Dank. Will nicht antworten - geht sie nichts an. Mich auch nicht, will ich sagen.
Stattdessen: ‚Weiß nicht. Jesse war eine von den Guten. Ich mochte sie schon, als Dave mit ihr zusammen kam. Als Freundin, als Kumpel, verstehst du?‘, schiebe ich schnell hinterher. Molly grinst. Nicht verächtlich – sie glaubt mir. Ist belustigt über meine Unbeholfenheit.
Ich fahre fort: ‚Wir haben uns gut verstanden. Aber sie war Daves Kleine – tabu!‘
Sie nickt. Steuert stumm den Wagen durch die Nacht. Gibt mir Raum zum Reden.
‚Für eine kurze Zeit waren wir ein perfektes Dreiergestirn. Da gab es keine Eifersucht, keine Komplikationen.‘
‚Und dann?‘
Ich zucke mit den Schultern, lasse die Landschaft draußen und die Vergangenheit gleichzeitig Revue passieren. ‚Die beiden hatten Ärger miteinander. Keine Ahnung, was für Schwierigkeiten. In ihre Beziehung habe ich mich nicht eingemischt.‘
‚Aha.‘
Ich ignoriere ihren Spott. ‚Sie haben sich immer öfter gestritten, wir haben uns kaum noch gesehen. Nicht zu dritt.‘
‚Nur du und Dave.‘
‚Ja.‘
Sie setzt zum coup dé grace an: ‚Und du und Jesse.‘
‚Ja. Und ich und sie.‘ Meine Stimme klingt seltsam belegt.
Ich sehe zu ihr rüber. Inzwischen ist es dunkel. Nur noch wenig Licht fällt ins Wageninnere - ihr Gesicht liegt im Schatten, ich kann nur die Konturen erkennen. Stelle mir Sal neben ihr vor. Überlege, ob ich eine Wahl treffen könnte - wenn ich müsste. Dürfte.
Als würde sie erahnen, was mir im Kopf herum geht, fragt Molly unvermittelt: ‚Siehst du sie wieder?‘
‚Wen? Die Kleine aus der Bar?‘ Natürlich die Kleine aus der Bar, ich schinde bloß Zeit.
‚Ja.‘
Versuche zu erkennen, warum sie fragt. Echtes Interesse, bloße Konversation? Oder mehr, was ich hinein interpretieren könnte? Vorsicht, Corker – den gleichen Fehler hatte ich schon einmal begangen. Mir zu viel einzubilden.
Ich zucke unverfänglich mit den Schultern, sehe nach draußen. ‚Schätze schon.‘
Ein, zwei Meilen verbringen wir schweigend.
Ich nehme den Faden wieder auf, in dem ich sage: ‚Einmal zumindest noch. Ich habe was bei ihr in der Wohnung vergessen.‘ Fahre nicht fort.
Molly bequemt sich zu fragen: ‚Was denn?‘
Mit einem unverschämten Grinsen sehe ich sie an und antworte: ‚Das weiß ich noch nicht.‘
Daraufhin lächelt sie ebenfalls.
Wir waren kurz in der Wohnung, haben Anne einen Abriss darüber gegeben, was passiert ist, Sachen gepackt. Mollys – meine haben wir in der Pension auf dem Weg eingesammelt.
Ich sehe rüber, werfe einen Seitenblick auf meine Fahrerin. In dem unwirklichen Licht sieht sie noch attraktiver aus – Schlagschatten und Lichteffekte spielen über ihre Züge. Für einen kurzen Augenblick frage ich mich, ob ich in die Frau verliebt bin.
Meine Gedanken wandern zu der unglaublichen Sal. Habe ich mich in die verguckt? Oder in keine? Wer weiß das schon - Corker nicht.
Molly hatte sich im Appartement auf einen Konflikt eingestellt – darauf, mit mir ausfechten zu müssen, ob sie mitkommt, mitkommen darf. Es gab es keine Diskussion: Ich hatte den Kampf längst eingestellt.
Unwillkürlich muss ich lächeln. Wenn sie versucht hätte, Anne mitzunehmen, hätte ich widersprochen. Ob Molly die kleine Anne in Gedanken genauso als Küken definiert, wie ich das tue?
Ich hatte mich nicht dagegen gewehrt, dass Molly mitkommen würde, weil ich sie brauche. Ein paar alte Kontakte auf der Insel, die Namen, die mir Jill gegeben hatte und meine Erinnerungen an früher – all das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht genug.
Molly ist eine Stadtkatze. Ist im urbanen Belfast zu Hause, hat hier ihre Connections. Allerdings sie ist viel elementarer mit den aktuellen Spielregeln vertraut als ich.
Meine Expertengebiete sind die Müllerstraße im Wedding, Kurdengangs im südlichen Neukölln oder wer zwischen Motzstraße und Nollendorfplatz Koks vertickt.
Aus Irland bin ich zu lange weg.
Und mir ist klargeworden, dass die Insel die Höhle des Löwen ist. Ein Versteck, in das ich reinklettern kann, und in dem ich genauso gut verrecken kann. Es beruhigt mich, Molly an meiner Seite zu haben.
Wir sind im nächsten Level angekommen – jetzt stellt ihr Back-Up kein Cheaten mehr dar, sondern Notwendigkeit. Dieses Level schaffe ich nur mit ihr – sie ist die bessere Rüstung, die geilere Waffe, die ich für den nächsten Bossfight brauche. Mein Buff.
‚Was denkst du?‘, will sie wissen.
Der Wagen frisst gnadenlos die Kilometer nach Norden weg. Eine Weile sind wir die M2 entlang gerauscht, meditativ in ihrer Monotonie, und waren vor kurzem auf die A26 gewechselt. Das kostet uns Geschwindigkeit. Im Gegenzug habe ich nicht mehr das Gefühl, in einen schwindeligen Rausch zu verfallen. Das Blinken der vorbeiziehenden Lichter auf dem Motorway hatte eine Art Katatonie in mir ausgelöst.
Transit.
Früher als Kind habe ich diese Autofahrten geliebt. Nur das Ankommen, das Erwachen aus der Katatonie, mochte ich nicht. Wir sind oft in den Westen gefahren, nach Connacht, in eine der irisch-sprachigen gaeltachta. Mein Bruder hat diese Fahrten gehasst, war mehrere Stunden übellaunig. Konnte nicht verstehen, wie mich diese endlosen Fahrten entspannten – als würde meine Seele in der Bewegung Ruhe finden.
‚Können wir an der nächsten Tanke raus?‘Ich schüttele den Kopf, wie, um wach zu werden. Könnte einen Kaffee vertragen – Koffein ins System direkt-einspritzen.
‚Musst du pissen?‘, will sie mit spöttischem Unterton wissen.
Müde schüttele ich den Kopf. Habe keine Energie mehr für Spielchen, für Alpha-Gehabe.
‚Ich bin nicht sicher, ob ich alle Puzzleteile beisammen habe. Das ergibt hinten und vorne keinen Sinn.‘
‚Wegen Money Monaghan?‘
Ich nehme an, sie registriert mein Nicken aus dem Augenwinkel. Nach einem Moment sage ich weiter: ‚Da passt noch nicht genug zusammen. Hamburg, Collie, Goth-Girl – das alles führt auf keinen Fall direkt zu Money.‘ Vehement schüttele ich erneut den Kopf, fester in meiner Überzeugung, dass ich den Nebel noch nicht durchdringe.
‚Trotzdem hat das Ganze mit Rathlin zu tun, oder?‘
‚Auf jeden Fall.‘
‚Du hast ein mulmiges Gefühl?‘
Ich nicke.
Sie fährt fort: ‚Mister X? Der große Unbekannte?‘
‚Auch.‘ Ich verziehe das Gesicht, rutsche tiefer in den Sitz. Klemme einen Fuß gegen das Handschuhfach, als sei ich ein Teenager. Registriere ihr Lächeln.
‚Seit diese ganze Geschichte angefangen hat, habe ich permanent das Gefühl, manipuliert zu werden. Egal, was ich herausfinde, egal, welche Hinweise ich in die Finger bekomme – das Wasser wird trüber und trüber.‘
‚Verstehe ich. Deine Frustration. Möglicherweise finden wir auf der Insel etwas, dass uns weiterhilft.‘
‚Eventuell laufen wir auch voll ins offene Messer‘, entgegne ich missmutig.
‚Da vorne ist eine Tanke – soll ich raus?‘
‚Ja, ich brauche Koffein.‘ Und meine Blase drückt – den Teil lasse ich unerwähnt.
Mit den Zähnen reiße ich die Hülle des nächsten Schokoriegels auf, beiße die Hälfte ab, kaue.
‚Wird dir nicht schlecht?‘, fragt Molly besorgt.
Ich habe bereits drei oder vier Verpackungen aus dem Autofenster entsorgt. Mit vollem Mund schüttele ich den Kopf. Drücke den zweiten Teil aus Karamell, Erdnüssen und Waffel rein, versuche, der klebrigen Menge in meiner Mundhöhle Herr zu werden.
Gelingt mir beinahe.
‚Ich brauche Zucker!‘, behaupte ich um die zähe Masse herum. Molly verzieht angewidert das Gesicht.
Kurz nach Clough Mills biegt Molly ab, auf eine kleinere Straße runter, die direkt nach Ballycastle führt. Dem Tor zur Insel.
Uns kommt kaum noch Gegenverkehr entgegen, die Lichter der Scheinwerfer, die auf den hügeligen Straßen in den Himmel stechen, sind zu vereinzelten Attraktionen geworden.
‚Kannst du mich mal fahren lassen? Könnte ich mich mal wieder als Kerl fühlen. Der Beifahrersitz ist doch Scheiße‘, maule ich, als mir die Dunkelheit draußen auf den Keks geht. Kann nicht mehr weit sein.
‚Das Letzte, was du brauchst, Corker, ist, dich mehr als Mann zu fühlen. Dein Testosteron-Level ist längst im roten Bereich. Du müsstest mal Kontakt mit deiner weiblichen Seite aufnehmen.‘
‚Wie Jill?‘ Ich lache. ‚Könnte Pumps tragen. Sähe bestimmt super aus.‘
Sie wiegt den Kopf hin und her, als würde sie überlegen. ‚Ja, vermutlich‘, sagt sie nach einem Moment. Und lacht.
‚Diese Geschichte mit Money. Und seiner Maus …‘
Will ich wissen, was sie als nächstes fragt? Herrgott Molly, uralte Geschichten, die keine Sau mehr interessiert. Rede ich mir ein. Wünschte, es wäre so.
‚Was ist mit der?‘, frage ich gedehnt.
Für einen Moment scheint sie nicht zu wissen, wie sie weitermachen soll. Wo den Hebel ansetzen. Ich komme ihr nicht zu Hilfe, lasse sie zappeln.
Schließlich fragt sie: ‚Hattest du was mit ihr, weil du konntest? Weil sie verfügbar war? Oder warst du geil? Hast du sie geliebt?‘ Fügt als Nachsatz hinzu: ‚Wie passiert sowas, Corker?‘
Bekommt ein verächtliches Schnauben für ihre Mühe. Wie war das mit meiner femininen Seite? Da trage ich lieber die Pumps, vielen Dank. Will nicht antworten - geht sie nichts an. Mich auch nicht, will ich sagen.
Stattdessen: ‚Weiß nicht. Jesse war eine von den Guten. Ich mochte sie schon, als Dave mit ihr zusammen kam. Als Freundin, als Kumpel, verstehst du?‘, schiebe ich schnell hinterher. Molly grinst. Nicht verächtlich – sie glaubt mir. Ist belustigt über meine Unbeholfenheit.
Ich fahre fort: ‚Wir haben uns gut verstanden. Aber sie war Daves Kleine – tabu!‘
Sie nickt. Steuert stumm den Wagen durch die Nacht. Gibt mir Raum zum Reden.
‚Für eine kurze Zeit waren wir ein perfektes Dreiergestirn. Da gab es keine Eifersucht, keine Komplikationen.‘
‚Und dann?‘
Ich zucke mit den Schultern, lasse die Landschaft draußen und die Vergangenheit gleichzeitig Revue passieren. ‚Die beiden hatten Ärger miteinander. Keine Ahnung, was für Schwierigkeiten. In ihre Beziehung habe ich mich nicht eingemischt.‘
‚Aha.‘
Ich ignoriere ihren Spott. ‚Sie haben sich immer öfter gestritten, wir haben uns kaum noch gesehen. Nicht zu dritt.‘
‚Nur du und Dave.‘
‚Ja.‘
Sie setzt zum coup dé grace an: ‚Und du und Jesse.‘
‚Ja. Und ich und sie.‘ Meine Stimme klingt seltsam belegt.
Ich sehe zu ihr rüber. Inzwischen ist es dunkel. Nur noch wenig Licht fällt ins Wageninnere - ihr Gesicht liegt im Schatten, ich kann nur die Konturen erkennen. Stelle mir Sal neben ihr vor. Überlege, ob ich eine Wahl treffen könnte - wenn ich müsste. Dürfte.
Als würde sie erahnen, was mir im Kopf herum geht, fragt Molly unvermittelt: ‚Siehst du sie wieder?‘
‚Wen? Die Kleine aus der Bar?‘ Natürlich die Kleine aus der Bar, ich schinde bloß Zeit.
‚Ja.‘
Versuche zu erkennen, warum sie fragt. Echtes Interesse, bloße Konversation? Oder mehr, was ich hinein interpretieren könnte? Vorsicht, Corker – den gleichen Fehler hatte ich schon einmal begangen. Mir zu viel einzubilden.
Ich zucke unverfänglich mit den Schultern, sehe nach draußen. ‚Schätze schon.‘
Ein, zwei Meilen verbringen wir schweigend.
Ich nehme den Faden wieder auf, in dem ich sage: ‚Einmal zumindest noch. Ich habe was bei ihr in der Wohnung vergessen.‘ Fahre nicht fort.
Molly bequemt sich zu fragen: ‚Was denn?‘
Mit einem unverschämten Grinsen sehe ich sie an und antworte: ‚Das weiß ich noch nicht.‘
Daraufhin lächelt sie ebenfalls.