Brief 1412

Text zum Thema Abenteuer

von  Iv0ry

Geliebter Mensch in der Ferne,

wieder ist eine unserer Reisen zu Ende gegangen. Wir sind uns begegnet, erneut, in dieser Stadt, die nie Dein Gesicht, aber manchmal deine Stimme für mich tragen wird.

Ich trug Trauer, bevor ich den Boden neben die Wellenkante setzte, in meiner Hand kein Koffer, ich reiste mit leichtem Gepäck und leichtem Herzen zu Dir.



Nun schreibe ich Dir, mit verschorften Fingern und Streifen im Blick aus meinem Café um die Ecke, vor mir eine Kaffeetasse – es ist die vierte, um genau zu sein, und einer der unzähligen kleinen Blöcke, die sich seit Anbeginn unserer Zeit mit grünen Buchstaben an Dich füllen.



Ich werfe den Tauben vor meinen Füssen mordende Blicke zu, aus der leisen Verachtung, die nur jene kennen, in deren Träumen Möwen über den Himmel kreischen und die Luft nach Freiheit und Fisch riecht.



In meinem Postschließfach habe ich einige unserer Briefe gefunden, zusammengebündelt, mit einem roten Absperrband aneinandergeknotet. Unsere Worte lösen sich ebenso schwer voneinander wie unsere Blicke manchmal.

Und wenn sie töten könnten, wäre ich am Wochenende noch unzählige Tode mehr gestorben.

Selbst in meinen Briefen schreibe ich sie Dir nicht, die kleinen Messer, die sich fort weg unter meiner Haut sammeln und mit meinen Blicken Sätze in Deine Gedanken schneiden müssten.

Sie stellen keine der unzähligen Fragen, die sich jetzt im Licht der Sonne langsam verflüchtigen, wie der leise Geschmack von Anis auf der Zunge, der mich immer an Dich erinnert, wenn ich in Dublin bin.

Das ist weder logisch, noch ist es passend.

Hinter einer Fensterscheibe im Nebenhaus dreht ein Goldfisch verzweifelt seine Runden in einem Glas und ich spüre diesen unbestimmten Schmerz, ohne Ziel, ohne Grund. Auch diesen schreibe ich Dir nicht, ebenso wenig wie die kleinen Alltagsmomente, die Amarettini, die letzte Zigarette, das Königsschaukelpferd oder die Kirschen. Besonders die Kirschen verschweige ich Dir.

Ich hätte sie Dir gerne auf deinen Körper gemalt, Samstag Nachmittag, als die Sonne durch die grellen Lichter der Karusselle ersetzt wurde und das Schweigen zwischen uns jene Mattigkeit erlang, die sonst nur guter Sex und durchgemachte Nächte mit sich bringen.

Ich habe auch das nicht getan, mir auf die Finger gebissen und dich beobachtet, wie der Maler, der ich nie sein werde. Meine innere Kamera hat einen Film gedreht, schwarz-weiß, anrüchig und unterlegt mit jenem leisen Pfeifen, dass mir Gänsehaut über den Rücken jagt.

Du weißt welches ich meine…

Und doch, Du hast keine Ahnung wer Du mir bist, und ich sehe davon ab es Dir zu sagen.

Meine Worte verklingen vor den Distanzen auf unserem Globus, auf dem sich immer mehr Fähnchen versammeln, die zeigen wo wir waren. Jeder von uns auf einer Reise, von der wir uns Polaroidbilder ebenso schicken wie leere Worte und sprachlose Gedanken.

Meine verpacke ich zwischen Knäckebrot und einem Glas Apfelgelee, sie sind gut eingelagert für die kalte Zeit, in der die Postboten mich selten finden, neben all den ungeschickten Briefen, den unerwünschten Träumen und jenen Phantasien, deren Inhalte ich dir nur nachts, leise, am Ufer mitteilen kann.

Ich verneine sie nicht, diese Sehnsucht, nach deiner Hand in meinem Nacken, nach deinem prüfenden Blick, nach dieser leisen Verachtung, die sich in unbemerkten Momenten hinter deinen Augen zeigt. Dann flüchte ich in den 7. Stock, schmolle im Treppenhaus um doch zurückzukehren.

Ich verneine es nicht, das Verlangen nach Dir, nach den Bildern, die nur Du auf meine Haut malst und die Art, wie nur Du mir unter die Haut gehen darfst.

Sie ist lang die Leine, an der Du mich hältst, so lang, dass ich sie manchmal kaum spüre. Zu anderen Zeiten raubt mir selbst ihre Existenz den Atem. Ich reise sehr gut dank der Flügel, die Du mir einst mitbrachtest, von einer anderen Reise, zu einer anderen Zeit. Damals weilte ich im Süden, ermüdet von der Hitze auf der Suche nach einem Menschen, der meine Sprache versteht.

Sie ändern ihre Farbe mit jeder meiner Stimmungen, während Frau Huhn langsam genug vom Kaffee hat und einen Spaziergang vorschlägt.

Jeder meiner Schritte bringt mich dabei dem Wasser näher, dass hier die Tendenz hat von oben zu fallen, statt sich konventionell  flach vor mir auszubreiten. Leider war ich schon immer ver.rückt, und die Begleitung durch ein Huhn mag dies zementieren.

Statt dessen breite ich vor Dir das Bild der Scherben und des Abrisschutts um mich herum aus, vor meiner Tür eine Baugrube, in meinem Herzen ein Wespennest.

Während Du schweigst schreibe ich Dir eine Nacht. Eine weitere Nacht schweige ich. In den verbleibenden verheddere ich mich in der Leine und strebe meiner Freiheit entgegen.

Wildgewordenes Herumflattern verbindet mich und Frau Huhn immer wieder.

Wir verschütten ein bisschen Kaffee über diesen Brief und suchen Deine Spuren auf unserer Haut.

Frei und andererseits untrennbar verbunden, auf eine unfassbare Art, verbleibe ich

Die Schreibende.

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Kommentare zu diesem Text


 Sternenpferd (13.04.10)
sehr abenteuerlich das...jaja

"der aus der ferne" findet:
Während Du schweigst schreibe ich Dir eine Nacht. Eine weitere Nacht schweige ich.
ganz besonders :)

klasse geschrieben

kaffeegruß m.
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