„Was nützt mein Herz aus Holz wenn deins nicht mitschlägt?“

Erzählung zum Thema Vergangenheit und Zukunft

von  SunnySchwanbeck

„Ich weiß wie es ist.“ Er sieht sie mit schmerzerfüllten Augen an, legt einen Arm um ihre bebenden Schultern. Küsst ihr lockiges Haar und flüstert ihr tröstende Worte ins Ohr. Du musst glücklich sein, sagt er, weil keine es so sehr verdient hat wie du. Weil es das schönste ist dich lächeln zu sehen.
Angewidert wendet sie sich ab, starrt auf den geschundenen Holzboden und fragt sich ob sie schon ihren Abdruck auf dem dunklen Holz hinterlassen hat, vielleicht ist das der einzige Weg nicht in Vergessenheit zu geraten, flüstert sie, man muss Spuren hinterlassen.

Ich fasse mir ein Herz, mein Herz. Das früher mal für ihn schlug, das zerbrach und dessen Scherben meine Arme küsste. Doch du weißt nicht wie es ist zu sterben, wie es ist zu fallen und zu zusehen wie man Erde auf schwarzes Holz wirft, Holz das ihm den einzigen Schutz bietet. Du bleibst stumm sitzen, ich winde mich aus deiner Umarmung und krame in der gut verstauten Holzkiste.
Das schwarze Tonband wiegt schwer in meiner Hand und das rot blinkende Licht wirkt schon lange nicht mehr beruhigend. Ich hab seine Stimme vergessen, die mich sooft anschrie, mir Trost spendete wenn ich weinend vor dem großen Mann stand mit den leuchtend blauen Augen, dieselben Augen die mich jeden Tag aus dem Spiegel anstarren.
Ich hab ein Stück von ihm vergessen.
Schwer atmend ziehe ich meine Knie näher an meinen Oberkörper, vergrabe mein Gesicht in dem weinroten Hemd dass noch nach ihm riecht und meine Hände umklammern das kleine, schwarze Gerät noch mehr. Still weinend drücke ich den Knopf und wage es nicht zu atmen, während die altbekannte, tiefe, Bassstimme mich umgibt als wäre sie nie fort gewesen.
„Nun zu dir, mein Engel. Meine geliebte Tochter, meine Sonne. Du hattest am wenigsten von mir, doch ich liebe dich, so sehr wie ein Vater sein Kind lieben kann. Ich wünschte du würdest das alles verstehen, mich verstehen. Wenn ich könnte würde ich dich jetzt in den Arm nehmen, denn ich weiß wie es ist ohne Vater zu leben, und ich habe mir das nie für dich gewünscht, für keinen von euch. Ihr seid doch meine Schätze. Ich bin so stolz auf dich, meine kleinste. Jedes Lachen von dir macht mich so glücklich und lindert die Schmerzen. Hör nie auf nach den Sternen zu greifen, du kannst alles schaffen. Eines Tages wirst du all das verstehen meine Süße, irgendwann wirst du in einem wunderschönen, weißen Kleid vor Jemanden stehen der dich ebenso liebt wie ich, und auch wenn ich dich nicht an diesem Tag begleiten kann. Auch wenn ich deinen Kindern kein guter Opa sein kann, ich liebe dich. Von ganzem Herzen, ich weiß dass du die Liebe erträgst, dass du Freundschaft gibst und du deinen Weg gehen wirst, wenn auch ohne mich.
Du bist ein Teil von mir, wenn nicht sogar der Beste.
Vergiss nie dass ich dich liebe, verzeih mir.“
Meine Augen sind gerötet und geschwollen, die plötzliche Stille in meinem Zimmer ist erdrückend und seine Stimme hallt in meinem schmerzenden Kopf.
„Ich weiß dass du die Liebe erträgst.“ Hass umspült mein Herz und ich werfe den Kopf in den Nacken, lache. „Verzeih mir.“ Wie? Wie könnte ich, nach alldem. Nach den schlaflosen Nächten, den verächtlichen Blicken der anderen, die mitleidigen Worte. Wir sind mit dir gestorben, unser Lachen klingt viel zu hysterisch und kalt.
„Hör nie auf nach den Sternen zu greifen.“ Verbrannt hab ich mich an ihnen, geschnitten habe ich mich daran. Wollte das Funkeln einfangen und in die leeren Augen meiner Familie pusten. Doch sie hören nicht wie ich schreie, sie fragen nicht wie es ist. Sie leben, weiter.

Er fragt sie ob sie sich sicher sei, sie lacht ängstlich und nickt.
„Ich werde dich immer unterstützen, ich bin immer da. Ich weiß dass du anders bist, du bist etwas Besonderes. Dass liebe ich so an dir.“ Sie senkt den Blick, ballt die Fäuste und blendet seine Honigstimme aus.
„Red keinen Scheiß, du warst nie für mich da. Und ich bin genauso verfickt normal wie ihr alle. Ich hab mehr gesehen, mehr gefühlt und mehr gelitten. Vielleicht. Wer weiß das schon? Als ob irgend einer von euch nicht schon mal geliebt hat. Aber eben nicht so. Du willst nicht da sein, weil du all das sowieso nicht verstehen würdest.“
Zitternd steht sie auf, lehnt sich mit dem weinroten Hemd gegen die weiße, kalte Wand und dreht ihm den Rücken zu.
„Ich werde ihn besuchen, werde dem Weg meine Spuren aufdrücken, ich werde den Weg alleine gehen, ohne ihn.“ Und vielleicht erklär ich dir das alles, denkt sie, wenn alles vorbei ist und ich sein Bild lächelnd und stolz ansehen kann, ohne Tränen in den Augen. Mit dir an meiner Seite.


Anmerkung von SunnySchwanbeck:

Originaltext seiner Tonbandaufnahme.
7.8.2004, ich vermisse dich.

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Kommentare zu diesem Text


 Unbegabt (17.06.10)
Ich fasse mir ein Herz, mein Herz. Das früher mal für ihn schlug, das zerbrach und dessen Scherben meine Arme küsste. Doch du weißt nicht wie es ist zu sterben, wie es ist zu fallen und zu zusehen wie man Erde auf schwarzes Holz wirft, Holz das ihm den einzigen Schutz bietet.

das trifft ganz tief drinnen. einer der emotionalsten texte überhaupt. wie ich finde.

ich liebe dich.

 SunnySchwanbeck meinte dazu am 17.06.10:
Danke, du weißt wie viel mir das bedeutet. Wie gut es tut darüber zu schreiben und zu wissen dass du da bist. Ich liebe dich auch, besteste.
Nemoria (19)
(17.06.10)
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 SunnySchwanbeck antwortete darauf am 17.06.10:
Ist das nun gut oder schlecht?
Charles (47)
(28.09.10)
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