Mein Trikot
Ich war acht, ich hatte ein Trikot und es war meine erste WM. Gut, dass Trikot war nicht original, dass Shirt, war ein weißes T-Shirt und die Hose war eine schwarze Turnhose. Aber ich hatte Stutzen und keiner sonst meiner Geschwister hatte richtige Fußballstutzen.
Die Stutzen hatten nur einen Schönheitsfehler, sie waren falschrum : schwarz mit weißer Stulpe. Das sind die österreichischen Stutzen nicht die bundesdeutschen. Da die Weltmeisterschaft von 1978 noch nicht richtig begonnen hatte, kam ich schnell über diesen Schönheitsfehler hinweg. Schwarzweiß war das ganze Ensemble, schwarzweiß waren die richtigen Farben und schwarzweiß war das Bild des Fernsehers. Ich fühlte mich jedenfalls beim Rumgebolze im Sand der Neubausiedlung wie Heinz Flohe oder Hansi Müller.
Das erste Spiel meiner Mannschaft gegen Polen war eine Enttäuschung gewesen, aber das 6:0 gegen Mexiko war phänomenal. Und kurz vor dem Spiel gegen Tunesien – das letzte Spiel der Vorrunde – hatte mein Vater mir mein Trikot geschenkt. Er war es auch, der mich darauf hinwies, dass die Stutzen „falschrum“ seien und die Österreicher solche Stutzen trügen, aber andere hätte es nicht gegeben oder seien zu teuer gewesen. Was scherten mich die Österreicher? Ich war acht. Ich hatte ein Trikot und es war meine erste WM.
Alle meine Geschwister hatten ihre WM schon vor vier Jahren erlebt, wo wir Weltmeister geworden waren mit Beckenbauer, Overath, Breitner und Gerd Müller. Sie alle spielten nicht mehr und ich kannte diese WM nur aus einem Buch meines Bruders : WM 1974. Die dort abgebildeten Bilder des Jubels, des Kampfes und der eingefrorene Moment des Torschusses, sollten endlich laufen lernen und mich mitnehmen und mitjubeln lassen. Das Spiel gegen Mexico war wie eine Verheißung.
Dann kam im letzten Spiel Tunesien, eine weitere Enttäuschung und Nullnummer, die aber das Weiterkommen sicherte. In der nächsten Runde kamen spät übertragene Spiele gegen Holland und Italien, die sich mir kaum eingeprägt haben. Aber eines wusste ich vor dem letzten Spiel der zweiten, der Finalrunde, weil es mein Vater mir gesagt hatte, dass wir die Österreicher – da waren sie wieder – nur hoch schlagen müssten, um doch noch ins Finale zu kommen. Oder wenigstens vier zu null, um wenigstens das Spiel um den dritten Platz zu erreichen. Ich musste ihn sehr fragend angeschaut haben, denn er versicherte mir schnell , dass die Österreicher zu schlagen und auch hoch zu schlagen nicht wirklich ein Problem sei, zumal sie schon ausgeschieden seien. Gut, dachte ich mir und fand die Österreicher nicht unsympathisch.
Als am Tag von Cordoba Rummenigge mein Team nach zwanzig Minuten in Führung gebracht hatte, war ich mir sicher, dass die Österreicher wirklich nicht schwer zu schlagen und irgendwie nett oder ulkig seien. Das dachte ich auch noch, als es auf einmal eins zu eins stand. Denn der Ausgleich fiel durch ein Eigentor sprich: wieder ein von uns erzielter Treffer. Es lief zwar schon die zweite Halbzeit, aber noch glaubte ich an einen leichten Sieg und dann gingen die Österreicher in Führung. Erst traute ich meinen Augen nicht, aber zum Glück fiel der Ausgleich postwendend, spielerisch, mühelos und deshalb hoffte ich, dass meine Mannschaft schnell vier weitere Tore machen werde, gegen die mir jetzt sehr lästig gewordenen Österreicher. Ich hielt die Aufgabe immer noch für machbar.
Stattdessen das dritte Tor der Österreicher: Krankls Auftritt, sein Dribbling und sein Schuß ins Schwarze. Drei zu zwei. Diese Bilder sehe ich immer mit dem Kommentar von Edi Finger. Ursprünglich hat es sicherlich ein Huberty, Rauschenbach, Kürten oder Kramer kommentiert, aber die Bilder aus Cordoba, das dritte Tor gibt es leider nur mit Edi Finger. Die unzähligen Wiederholungen dieses Tores, dieses Kommentars taten mir zunehmend körperlich weh und die Österreicher hingen mir zum Halse raus, weil sie alles kaputt gemacht hatten: meine WM und mein Trikot. Was sollte ich denn jetzt noch mit österreichischen Stutzen?
Vier Jahre, einen Europameistertitel und eine drei zu eins Packung in Wien für die Österreicher während der Qualifikation später, begann die Weltmeisterschaft 1982. Es war ein Treppenwitz, aber ein mir Willkommener: nach der Qualifikation waren wir schon wieder mit Österreich in eine Gruppe gelost worden. Die Siege gegen Österreich während der Qualifikation waren befriedigend, aber nicht so wie sie es hätte sein müssen, denn die Österreicher hatten sich auch qualifiziert und hockten wie dieser Dämon bei Sindbad auf den Schultern meiner Mannschaft. Das nervte.
Noch mehr nervte die Blamage gegen Algerien in unserem Auftaktspiel. Aber sie nervte mich nicht so wie die Edi-Cordoba-narrisch-Blamage. Trotzdem tigerte ich nach dem Spiel etliche male um den Block und versuchte zu verstehen, warum wir mit einer Mannschaft, die mit Paul Breitner vierundsiebziger Glanz, die ungeschlagen die Qualifikation und etliche Freundschaftsspiele überstanden und die einen Littbarski in ihren Reihen hatte, Algerien nicht hatten schlagen können. Ein Unding. Ein Omen?
Nein, kein böses Omen, sondern eine Chance. Denn gegen die Chilenen drehte die Mannschaft auf und sicherte einen ungefährdeten und schönen Sieg. Plötzlich bot die Auftaktniederlage die Gelegenheit fürchterliche Rache an den Krankls, Pezzeys und Schoko Prohaskas zu nehmen und für die Schneckerl aus dem Alpenland das Rückbillet zu lösen. Wir mussten gewinnen, um weiterzukommen – egal wie. Aber wenn wir drei zu null gewännen, flögen die Österreicher nach Hause. Das war eine brillante Gelegenheit, Ehre für mein verschollenes Trikot zu machen.
Anpfiff. Flanke. Hrubesch. Tor. Ganze acht Minuten waren auf dem Platz in Gijon verstrichen und die Manschaft hatte den ersten Schritt getan, und noch eine Ewigkeit von achtzig Minuten Zeit, die Jünger Edi Fingers zu zerlegen und als kleines Paket nach Wien zu schicken. Ich rieb mir die Hände; ich war außer mir vor Glück.
Kurz darauf rieb ich mir die Augen, raufte mir die Haare und fühlte wie die Algerier, die am Zaun standen und wütend, heulend und verzweifelnd mit speckigen Geldscheinen der deutschen und der österreichischen Nationalelf zuwinkten. Die zweiundzwanzig Akteure auf dem Rasen hatten nach dem eins zu null beschlossen, die Arbeit sein zu lassen, sich den Mund abzuputzen und zu verbrüdern. Stanjek, der Reporter des Spiels, wurde nicht narrisch und glänzte einmal in seiner Karriere mit den richtigen Worten: er schämte sich für dieses Schauspiel.
Als dann noch von Wasserbomben, die von deutschen Spielern auf die eigenen Fans geworfen worden seien und dem Zeigen des nackten Arsches am Busfenster beim Vorbeifahren an den Fans die Rede war und beides sich obendrein bestätigte, spielte gegen England, Spanien und Frankreich nur eine Fußballnationalmannschaft aus Deutschland. Mein Trikot war lang verschollen und es interessierte mich nicht mehr. Die Welt und der Fußball ist und war bunt und nicht schwarzweiß.
Zwei Jahre später, 1984, war Platini mein Held und der Portugiesische Spieler Chalana so cool wie Zappa und meilenweit entfernt von diesen Pitralon Paules und Schneckerl Prohaskas. Die deutsche Nationalmannschaft interessiert mich nur noch, wenn sie Fußball mit Leidenschaft und mit Herz, statt mit Angst und der Lust eines Verwaltungsoberrates spielt. Jetzt läuft gerade wieder eine EM – eine EM in Österreich und die Deutschen haben die Österreicher mit einem eins zu null aus dem Turnier geworfen. Das Spiel war zu schlecht, Cordoba und Gijon zu lange her und ein National-Trikot trage ich nicht mehr.