Warum hat sie gelogen?

Brief zum Thema Angst

von  Seelenfresserin

Wie es ist eine Mutter zu verlieren? Ich glaube, selbst wenn ich es möchte, könnte ich es nicht beschreiben. Warum auch? Ich gönn es keinem. Doch ich stelle mir dann nur eine Frage:

Warum hat sie gelogen?

Warum hat sie mir gesagt, das sie mich besuchen fährt, sobald die Chemo fertig ist? Ich glaube, sie wusste nur zu gut was ich getan hätte, wenn sie gesagt hätte das sie es nicht schafft. Die Schmerzen wären die gleichen. Denn so oder so, hätte ich mich nicht damit abgefunden, sie gehen zu lassen. Aber ich glaube die Tatsache, das sie gelogen hat, macht ihren Tod noch schlimmer. Vielleicht wäre sie traurig, wenn sie als eine Art Geist ihrer eigenen Beerdigung beigewohnt hätte. Die eine Tochter, die apathisch mit einem kleinen Strauß Blumen neben ihrer Schwester, die Rotz und Wasser heult, sitzt. Man merkt das der Blumenstrauß zu groß für die kleinen Hände ist. Aber was würde sie sagen? Sie würde wahrscheinlich weinen. So wie ich. Die grade mehr als nur irgendwelche scheiss Probleme hat. Welchen Weg hatte meine Mutter also für mich gedacht? So, wie ich jetzt lebe? Der Verlust frisst mein Innerstes auf. Und hinterlässt nicht einmal mehr das nötige, um richtig leben zu können. Warum denkst du, laufe ich schon so ungern durch unsere Straßen? Ich schaue immer auf den Boden, weil ich niemandem mehr in die Augen sehen will. Ich hab die Beleidsbekundungen satt. Wenn sie mich mit ihren scheiss Mitleidigen Augen ansehen. Ich würde sie am liebsten anschreien:

Ich brauche euer Mitleid nicht! Ihr habt keine Ahnung, wie es sich anfühlt!

Klar. Jeder verliert mal einen geliebten Menschen. Also denken die Arschgeigen, das ich nur eine verdammte Dramaqueen bin. Mitnichten. Ich bin regelrecht erkaltet. Manchmal habe ich sogar das perverse Vergnügen, meinen Mitmenchen weh zu tun. Warum? Weil sich, jedes verdammte mal, wenn sich diese scheiss Krankheit meldet, die Gefühle in mir so aufstauen, das ich sogar dazu bereit wäre, würde mein Gewissen sich nicht melden, meiner eigenen Freundin die Faust ins Gesicht zu schlagen. Das letzte mal war leider die Wand das Opfer. Meine Hand noch mehr. Sie schmerzte ziemlich. Doch geil: Der Schmerz hatte mir noch gezeigt, das ich wenigstens etwas anderes als diese scheiss Trauer spüren konnte. Ich weiß, jetzt würdest du mir sagen: Hey! Es gibt tausende Menschen in Deutschland, die genauso sind wie du! NEIN VERDAMMT! Gibt es nicht! Zeig mir einen beschissenen Menschen, der als Kind mitbekommen hat, wie vor der eigenen Türe die Schwester des besten Freundes von ihrem Scheiss Freund abgestochen wurde. Zeig mir ein Mädchen, das so emotionslos vom Vater behandelt wurde, das dieser nicht mal merkte wie sie sich Nadeln durch die Hand trieb. Zeig mir verdammt nochmal eine Junge Frau... die am Grab der Mutter einen Nervenzusammenbruch hatte und deren 10-Jährige Schwester erwachsener ist als sie mit ihren 22 Jahren. Was ich mache, um den Schmerz zu verarbeiten? Ich schmeiss jede Nacht Antidepressiva ein, um ruhig schlafen zu können und schreibe Gedichte. Was mich am Leben hält? Meine Lebenspartnerin, meine Schwester, eine Handvoll Freunde und die paar Menschen, die auf der Autorenplattform rumgeistern. Doch das sind Menschen, die selbst Probleme haben. Also belaste ich sie nicht mit kranken Gedanken. Kranke Gedanken? Ja. Besonders delikate Gedanken, die ich vor dem Spiegel habe, wenn ich mir mein Gesicht am liebsten in Scheiben schneiden würde. Aber ich lebe. Ist doch die Hauptsache. Aber bildet euch nicht ein, ich würde für mich selbst leben. Könnt ihr knicken. Ich fliehe lieber in schöne Momente. Begleitet von viel zu schlechter Musik. Was ich meiner Mutter sagen würde, wenn ich es nocht könnte?

"Danke, für das Leben, in denen du, die kleine und meine Süße eine große Rolle gespielt haben..."

Doch davor hatte ich zu viel Angst... ich blieb von ihrem Totenbett fern. Und soll ich ehrlich sein?
Ich würd es immer wieder so machen, weil ich zu viel Angst vor der Wahrheit habe und weil ich innerlich die Antwort wusste. Die Antwort, warum sie mich angelogen hatte war:

Weil sie wusste, das ich Angst gehabt habe.


Anmerkung von Seelenfresserin:

Jede einzelne Träne war es wert vergossen zu werden als ich den Brief geschrieben habe.

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Kommentare zu diesem Text

Manu (56)
(24.11.10)
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 Seelenfresserin meinte dazu am 25.11.10:
Danke Manu. Deine Worte sind mir wirklich was wert.

Seele
Alegra (41)
(24.11.10)
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 Seelenfresserin antwortete darauf am 25.11.10:
Ich wünsche dir, euch, auch noch viel Kraft und wünsche euch, das ihr das, was ich mitgemacht habe, nicht auch mitmachen müsst
SigrunAl-Badri (52)
(24.11.10)
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 Seelenfresserin schrieb daraufhin am 25.11.10:
Danke Sigrun, einfach nur Danke!

 Seelenfresserin äußerte darauf am 25.11.10:
Danke Sigrun, einfach nur Danke!
grenzakt (55)
(09.08.12)
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