Ich würde mir alle Wimpern ausreißen, nur um mir zu wünschen, Wünsche zu haben.
Eine Kiste voll mit bunten „Ich möchte gern“s und „Wäre toll, wenn“s. Ich hätte mindestens hundert zur Verfügung, und ich würde sie alle dort aufbewahren und hüten, wie meinen Augapfel.
Mein erster Wunsch wäre spontan, ohne großartig nachzudenken. Schön sein, unbeschreiblich atemberaubend, flawless. Das wäre aufsehenerregend, verbunden mit unglaublicher Befriedigung, die mir jedes Mal ein tückisches Lächeln auf’s Gesicht zaubern würde. Tja, da glotzt du.
Klar, natürlich lange nicht alles. Wäre ja dumm, mein Kistchen ungenutzt zu lassen, wenn alles noch so viel grandioser, fantastischer werden könnte. Naja, und schön sein; das ist nicht das Gelbe vom Ei. Zumindest nicht das ganze.
Also würde ich mir wünschen, geliebt zu werden. Geliebt und bewundert und umschwärmt und... Hach. Ich würde viel zu viele Lippen küssen, zu viele Gläser leeren, zu viele Hände spüren. Genau das, ja, wäre das nicht ganz ideal? Aufregende Jugend, will das nicht jeder? Spaß, Beschäftigung, rosarote Brillen. Ziemlicher Verschleiß, ja. Aber man muss doch Prioritäten setzen und umsonst gibt’s halt nichts.
Nur für den Fall, dass ich den Hals immer noch nicht vollkriegen könnte… Zur Sicherheit würde ich mir noch Reichtum wünschen (denn das kann man doch immer brauchen) und dann das ganze Geld ordentlich auf den Kopf hauen. So viele Bücher kaufen, wie die Buchhandlungen hergeben, bis sie sich bis unter meine Zimmerdecke stapeln. Versinken in fragilen Wortgebilden und schleimstrotzenden Happy Ends. Würde Leute engagieren, die mir andere Leute vom Hals hielten, weil ich soerschöpft wäre vom Lächeln und von smarten Typen in schicken Shirts. Meine Güte, es wäre so ermüdend gewesen.
Danach würden mir noch Jahre nur aus Herbst und Winter fehlen, die mir mit ihrer Kälte das Herz kühlen und nicht schmelzen ließen. Es würde Ruhe vom Himmel schneien und Eis meine Bekanntschaften überziehen, sodass sie in Vergessenheit gerieten und ich mir keine Sorgen machen müsste. Könnte in Laubhaufen sitzen und welken wie die Blätter zu meinen Füßen, weil ich alles gekriegt hätte, was ich wollte und doch nichts davon behalten mochte. Umsonst, umsonst, würde ich denken. Jedoch nichts, was man nicht beheben könnte. Ich hätte ja noch mehr Wünsche.
Ich würde sitzen, welken und Blei verlangen. Blei um mir den Brustkorb auszugießen und dieses leichte Gefühl von Unvollkommenheit zu vergiften. Ich wäre dann so bodenständig und unerschütterlich wie die Freiheitsstatue. Nichts und niemand könnte mich umreißen, nichts und niemand könnte mich stürzen. Ich wäre eine wandelnde Festung – so stark und groß. All das, was ich immer sein wollte.
Damit dies nicht verfiel würde Zeitlosigkeit folgen. Stillstand aller Uhren und Arbeitslosigkeit aller dämlichen Uhrmacher. Zeit würde sterben, verdammt, um dieses Gefühl trotziger Zufriedenheit und genutzter Versuche komplett auskosten zu können. Stur und dickköpfig meinen Willen gehabt zu haben. Verbitterten Triumph. Und HA! Ich würde so Zeitalter überstehen, Jahrhunderte, aber all das wäre nicht zu messen, denn Zeit gäbe es nicht mehr und ich wäre schön, erhaben, unantastbar, unzerbrechlich
und doch würde ich mit vergehenden Momenten zweifeln.
Nur leicht, würde Schönheit überdenken und ihren Preis.
Stärker, Küsse und Notwendigkeit aller schwer atmenden Nächte.
Erdrückend, alleingelassene Lieben, einsame Jahre und Stille.
Unverzeihlich, Kälte, nicht nur außen, doch auch innen, völlige Isolation, undurchdringlicher Kokon.
Und das Blei würde mich nicht stehen lassen, sondern nach vorne kippen, mich brechen lassen unter dem Gewicht und ich würde Fehler einsehen und alle Wünsche mit einer Ausnahme verpuffen lassen. Sie würden in einer Supernova zerbersten wie explodierendes Glas um dem großen Finale Platz zu schaffen.
Denken, Atmen, Schlucken.
Es hieße ein bisschen weniger Angst, bitte. Ganz kleinlaut und still. Nicht mal Mut oder Tapferkeit oder Risikofreude – einfach ein wenig weniger Angst davor, Dinge selbst in die Hand zu nehmen, es aus eigener Kraft zu schaffen.
Mein Bleiherz würde Tonnen leichter, alles würde sich ändern und Zweifel würden im Nichts zerfallen. Ich könnte fast platzen vor Optimismus und dem Willen und der Kraft, alles besser zu machen. Und trotz alldem käme meine Einsicht nicht mehr rechtzeitig. Merken, wie viel zu spät es wirklich für diesen Wunsch war und wünschen, es wäre mein erster gewesen. Vor der Schönheit, der vermeintlichen Liebe, dem Geld, der Ruhe, der Beständig- und Ewigkeit.
Doch mein Kistchen wäre leer.