Großstadtschatten

Kurzgeschichte zum Thema Seele

von  Erdbeerkeks

Er saß oft bloß so da auf dem Bordstein, wirkte ein bisschen verloren. So als hätte ihn jemand dort hin gesetzt und danach ganz allein gelassen.
Seine langen Beine in der dunkelgrauen Jeans hatte er stets ein wenig angewinkelt, den rechten Arm mit den vielen Armbändern daraufgelegt und so, still verharrend, wirkte er fast ein wenig wie ein exzentrischer Künstler in einem abstrusen Atelier, gebaut aus monochromen Gebäuden und geplatzten Straßen.
Die Zigarette in seinen schlanken Fingern qualmte stetig und nur selten nahm er einen Zug und stieß den Rauch dann durch seine zierlichen Lippen in die kalte Nachtluft wieder aus. Der größte Teil zerknisterte ungebraucht zu hellgrauer Asche, die vor seinen Füßen auf den Beton rieselte.
Der Musikerhut hing immer ein bisschen zu tief in seinem Gesicht, schützte ihn vor verwirrten, neugierigen, spöttischen, jedoch zugleich auch allzu seltenen Blicken der hektischen Großstadtmenschen.
Und doch war es meistens verlassen hier.
Wenn er dann bei ruhiger Menschenleere durch seine tiefblauen Augen beobachtete, wie sich der Nebel wieder verzog, schweifte sein Blick immer wieder suchend umher, langsam und vielleicht müde, aber nieermüdet. Vom sternengesprenkelten Nachthimmel über den glühenden Horizont, schleppend durch das künstliche Laternengelb der Straßenlichter, verirrend in den verwinkelten Gassen und brüchigen Engstellen der Häuser.
Seine traurigen Augen erzählten lange Geschichten auf ihren Wanderungen. Von gescheiterten Versuchen, ziellosen Träumen, flüsterten von Verlust und Bitterkeit und ich wusste nicht, woher sie kam oder warum sie immer noch anhielt, aber ich wusste, dass sie zerstörte.
Wenn er einmal, so selten, dass es fast schon ein „niemals“ ist, den letzten Rest der verbrannten Hoffnung zusammenkehrte, kam es schon mal vor, dass er den Kopf hob, den Mund öffnete…
Und doch lösten sich seine mühsam gesammelten Worte, sobald sie ihn verließen, auf. Zerstoben zu einem nichtigen weißen Schweigen gen Himmel, weit weggetragen und bald schon vergessen. Teilnahmslos, stumpf geworden durch Gewohnheit verfolgte er sie noch ein Stück.
Wenn er seinen Blick schlussendlich senkte, schwieg er wieder. Nicht betroffen, nur bestätigt, denn manchmal ist Bestätigung so ein gemeines Wort. Nur das sachte Zittern seiner Zigarette und das unmerkliche Beben seiner Lippen, kleinste Anzeichen für leises Zerbrechen, Stück für Stück für Stück für Stück.
Er war noch jung, ja. Viel zu jung. Viel zu jung um zu wissen, um zu lieben, um zu erfahren, sagten sie.
Viel zu jung, um andere zu belehren, um zu verstehen.

Doch als der Mann regungslos dasaß, seine feuchten Augen ganz glasig und trüb, und er sich nicht mehr bewegte, ging ich ein paar Schritte auf ihn zu. Ich berührte seine Hand; sie war ganz kalt und die Zigarette war erloschen. Sie fiel ihm aus der Hand, so langsam, dass ich dachte, sie müsse tonnenschwer sein und einen kleinen Krater in der Straße hinterlassen, doch sie verschwand nur in einer Ritze eines Abflussgitters.
Ich saß vor dem Mann, hielt seine schlanke Hand betroffen fest und wartete darauf, dass er sich wieder bewegte. Dass er mich verwirrt ansah, dann in seine tiefe Hosentasche griff und sich eine neue Zigarette anzündete, dass sein Blick mir sagte, dass ich jetzt gehen sollte und er dann anderen Dingen nachhing, dass er verzweifelt versuchte, seine unsichtbaren Worte zu formen…
Aber nichts von dem passierte.
Nichts.
Einfach Garnichts.
Ich stand auf und ich weinte. Für mich und für ihn, weil er es nie konnte.
Verdammt, er war jung. Er war für so vieles zu jung, sagten sie.
Aber fürs Sterben gibt es keine Altersgrenze.


Anmerkung von Erdbeerkeks:

Kommt drauf an, welches Sterben wir meinen, hm?

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Kommentare zu diesem Text

Träumerveve95 (17)
(08.03.10)
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 Dieter Wal (14.03.10)
Den letzten Satz "Aber fürs Sterben gibt es keine Altersgrenze." würde ich weglassen. Der vorige Satz als Schlusssatz gefiele mir viel besser.

Bei zwei mit "wie" eingeleiteten Vergleichen im Einstieg (Super übrigens) überleg ich noch. Die Wiederholung wirkt ein bisschen unschön. Jetzt stehen sie so da:

"Er saß oft bloß so da auf dem Bordstein, wirkte ein bisschen verloren, wie ein ausgesetzter Hund. So als hätte ihn jemand dort hin gesetzt und danach ganz allein gelassen.
Seine langen Beine in der dunkelgrauen Jeans hatte er stets ein wenig angewinkelt, den rechten Arm mit den vielen Armbändern daraufgelegt und so, still verharrend, wirkte er fast ein wenig wie ein exzentrischer Künstler in einem abstrusen Atelier, gebaut aus monochromen Gebäuden und geplatzten Straßen."

Vielleicht machst du es so:

Er saß oft bloß so da auf dem Bordstein, wirkte ein bisschen verloren. So als hätte ihn jemand dorthin gesetzt und danach ganz allein gelassen.
Seine langen Beine in der dunkelgrauen Jeans hatte er stets ein wenig angewinkelt, den rechten Arm mit den vielen Armbändern daraufgelegt und so, still verharrend, wirkte er fast ein wenig wie ein exzentrischer Künstler in einem abstrusen Atelier, gebaut aus monochromen Gebäuden und geplatzten Straßen.

Allein schon die Sprache deiner Erzählung find ich fesselnd. Und das Thema passt auch in Hinblick deines momentanen Lebensalters. :)

 Erdbeerkeks meinte dazu am 14.03.10:
Vielen Dank für die Kritik, ich freu mich immer sehr darüber (:
Ja. Als Schlusssatz wäre der davor vielleicht besser... mag sein.
Aber ich KANN den letzten Satz nicht weglassen, es würd was fehlen, wenn ich den streichen würde. Es ist ja nicht nur ein Schlusssatz.
Aber das mit dem "wie" hab ich korrigiert. Danke, hört sich wirklich besser so an.

Liebste Grüße

Keks

 Dieter Wal antwortete darauf am 14.03.10:
Bitte, gern geschehen. Beim Schlusssatz hätte ich noch eine Idee. Der Gedanke des Schlussatzes gehört eigentlich in den Titel. Daher fragt sich, wie man daraus einen leserlockenden Titel macht. Hmmm.

Vorschlag:

Zu jung, um tot zu sein?
(Antwort korrigiert am 14.03.2010)

 Erdbeerkeks schrieb daraufhin am 14.03.10:
Haha. (: Über das mit dem Titel hab ich auch grad nachgedacht.
Aber, neben der Sache mit nicht-leserlockend, verrät mir das 'n bisschen zuviel und sagt viel vorweg.
Ach. Es passt vorne und hinten nicht... Ich glaub, ich lass es so.
Mhm.

Obwohl ich deinen Vorschlag eigentlich gut finde. Ich werd mir da noch Gedanken machen.
(Antwort korrigiert am 14.03.2010)
FrauGeheimrätin (23) äußerte darauf am 15.03.10:
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 Jorge (21.04.10)
Ein unglaublich aussagestarker Text, der diesen Mann am Straßenrand sehr fassbar macht. Da hat uns Erdbeerkeks eine schöne Geschichte erzählt. LG Jorge
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