I'm selfish, Honey.

Kurzgeschichte zum Thema Leere

von  Erdbeerkeks

„Wow… So hab ich das noch nie gesehen.“, sagt er fasziniert.
Sie, am anderen Ende der Leitung schweigt. Sie lächelt verächtlich und kritzelt bunte Kreisel auf das Papier, gelangweilt sitzt sie da und hört nicht zu.
„Die Oberflächlichkeit macht mich ganz krank.“, sagt sie leise und brüchig und er weiß nicht, dass auch er gemeint ist. Er verharrt noch einen Moment, wartend auf die Worte, die sie ihm vorwirft und die er hungrig verschlingt.
„Ich…“, fängt er an. „Können wir uns sehen?..“
„Warum?“, unterbricht sie ihn kühl.
Denn als ob.
Als ob jemand wie sie so etwas ernst nahm.
Als ob sie jemals Interesse hätte.
So blind vor Bewunderung. So ignorant für all die Schattenseiten ihrer selbst wie er ist, empfand sie Mitleid schon lange nicht mehr.
Ihr Gegenüber, der so davon überzeugt ist, das große Los gezogen zu haben.
„Ich hab ewig auf so jemanden wie dich gewartet… Du bist klug, du denkst nach. Du bist … anders.“
Ein angewidertes Gelächter steigt ihre Kehle empor.
Wie oft hat sie das nun schon gehört? Wie oft vorgegeben, geschmeichelt zu sein und wie oft schon angewidert diesen tiefschwarzen Hass für die Blindheit dieser Menschen hinuntergeschluckt?
Sie braucht Abwechslung, sagt sie sich, und was er braucht, ist Fairness.
„Man kommt nicht mit mir aus.“, die Wahrheit sitzt tief.
„Aber ich bestimmt“, beeilt er sich zu sagen, so prall gefüllt von Hoffnung, bis zum Platzen gestopft mit zartrosa Schwärmerei und dem Wunsch, gefunden zu haben.
„Und es wird viele Dinge geben, die du an mir nicht magst.“ Zwischen all den dunklen Wellen merkt sie dieses winzige Boot der Hoffnung auf Einsicht, auf dem ihre Selbstbeherrschung nach Hilfe ruft.
Denn sie hofft doch auf Verständnis.
„Aber was redest du denn da? Ich weiß doch wie du bist, wir werden gut miteinander auskommen und es wird wun –“
„Du weißt?“, unterbricht sie ihn mit dieser düsteren Bitterkeit, die ihn schlagartig verstummen lässt. Wie dumm, wie töricht, wie…
„Du weißt? Das sagten die vor dir auch.“, die Wellen schlagen höher, höher, dieser dunkle Druck, denn da ist kein Verständnis.
„Aber ich bin anders…“, wagt er zu jammern und das Boot kippt um.
Da war nur noch dieses seltsame Gefühl, als ob sie gleichzeitig lachen und weinen müsse und dieses geifernde Maul des blanken Hasses.
„Du glaubst, du seist ANDERS?“, grollt sie bedrohlicher Lautstärke, während das Boot an den Felsen zerschellt. Sie steht abrupt auf, der Stuhl hinter ihr fällt krachend zu Boden, polternd schlägt sie mit der Faust auf den Schreibtisch. Um sie herum erzittert es und erbost schreit sie ins Telefon:
VERDAMMT, ihr seid ja alle so anders! Genau wie der vor dir, der vor dem und der davor, stell dir vor! Ihr seid alle solche Lügner, ich WEISS doch genau, dass ihr im Grunde alle so scheißlangweilig seid, wie der erbärmliche Rest da draußen! Wenn ich für dich DIE bin, warum zum Teufel bist du mir dann immer noch so vollkommen egal? WARUM?
Sie knallt den Hörer hin, Augen tellergroß und tränend starrt sie es an, das Telefon.
Ihre Brust hebt und senkt sich schwer, ihr Atem zieht pfeifend durch ihre Lungen.
Das… war ein Ausrutscher.
Das passiert nie wieder, versprochen.
Gefühle haben hier keinen Zutritt, denn du weißt doch, nur Langeweile, mein Hübscher, nur du und ich nur wir zu zweit allein unter uns und den irren und all den lügen die wir uns verbieten und unser kleines geheimnis unser kleines kleines
Das Telefon klingelt und reißt sie aus den Gedanken der gehässigen Stimme.
Sie fasst sich, konfus und doch sicher wischt sie sich das Nass von den Wangen, hebt umgefallenes Mobiliar wieder auf und nimmt ab.
„Hallo?"
Es ist ja in Ordnung.
„Ja… Ach so."
So irgendwie.
„… Danke, deine Stimme klingt auch nett."
Denn es ist doch alles nur ein Spiel, Honey.

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Kommentare zu diesem Text


 MagunSimurgh (07.03.10)
Ich finde "sie" bedenklich.

Sie ist voller unglaublichem Selbsthass, so scheint es und der Haken an ihrem Denken ist, dass sie auf ihrer Weise genau so oberflächlich ist, wie sie den anderen Menschen vorwirft.

Aber ich finde dennoch, die Geschichte trifft einen Nerv, nämlich den, dass sich jeder gerne für anders hält, für besonders, anstatt es einfach zu sein.

Eine Geschichte, die die Identitätsfrage stellt und die "Was bedeuten mir andere? Was dürfen sie mir bedeuten?"

Insgesamt eindringlich. Und insofern gut, denke ich.

Liebe Grüße,
Magun

 Dieter_Rotmund (10.06.18)
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