Zacharias Bretzelburgs wundersame Antenne
Text zum Thema Weihnachten
von Lala
IV.
„Was ist das?“ Bretzelburg stand in Silbersteins Wohnzimmer und schaute abwechselnd zu Natascha und zu dem Ding, dass er in die Hände gedrückt bekommen hatte. Eigentlich hatte er es sich bei ihr wieder gemütlich machen wollen, aber Natascha hatte an diesem Abend andere Pläne und das, was sie ihm gerade in die Hände gedrückt hatte, war wohl ein wesentlicher Bestandteil ihres Planes. Es war schwer. Es sah aus, wie eine halbe Seemine und es roch komisch.
„Das ist eine Antenne von Großonkelchen Fock, Zacharias. Es ist die beste Antenne, die jemals gebaut worden ist. Mit dieser Antenne hat mein Onkel in Petersburg alles empfangen. BBC? Sportschau? Was Du willst. Eben alles. Damit reparieren wir Deinen Fernseher, mein Lieber.“ Als sie ihre Rede beendet hatte, stand sie kerzengerade vor ihm und strahlte ihn mit großen Augen an. Zacharias stand immer noch da wie bestellt und nicht abgeholt.
„Und die Kekse?“, stammelte er.
„Essen wir später.“ befahl Natascha ärgerlich, wegen seiner Begriffstutzigkeit, zog ihn aus ihrer Wohnung raus und schob ihn in seine hinein.
Es war ein Glück. Auf jeden Fall war es Eines für Andrej. Denn Andrejs unglücklicher Zusammenprall mit dem Regal und dem Durcheinanderfallen der alten Fotos, hatte ihn Eines aus längst vergessenen Tagen wiederentdecken lassen. Es war ein altes schwarz-weiß Foto und es zeigte seinen Onkel Fock, wie er glücklich strahlend auf ein merkwürdiges Gerät zeigte, das auf einem Fernseher stand. Das Bild im Fernseher erkannte Andrej nicht, aber er erinnerte sich, dass sein Vater ihm und Natascha gerne erzählt hatte, was er bei Onkel Fock gesehen hatte, wenn er zu Besuch bei ihm gewesen war. Denn Onkel Fock empfing alle Programme, die weltweit ausgestrahlt wurden. Die Amis, die Briten, die Deutschen? Egal. Was ihr wollt. Eben alles und alle. Den ganzen Tag Mickey Maus. Leider konnte Onkelchen keine Kinder leiden und so hörten sie nur von Papa die Geschichten von Focks Wunderapparat, ohne ihn selbst je gesehen zu haben.
Aber am Ende war der Apparat doch noch in ihren Besitz gekommen. Vorher allerdings hatte Onkel Alexej Papa den Keller mit seinen Apparaturen vollgemüllt. Nicht ohne ihn anzuflehen, diese Dinge ja nicht in die falschen Hände kommen zu lassen oder gar weg zu schmeißen. Er werde wiederkommen und alles werde gut werden. Kurz danach buchte das KGB für Onkelchen Ferien in Sibirien.
Da Vater große Angst hatte, dass es genau diese verrückten Apparate waren, die Alexej ins Gulag und Unheil über die Familie gebracht hatten, durfte keiner ohne Begleitung in den Keller und die Gerätschaften auch nur ansehen.
„Warum hat er auch den ganzen Tag Mickey Maus geschaut? Warum, Kinder? Nebbich.“ fluchte er manchmal unvermittelt am Mittagstisch, erwartete aber keine Antwort, verfiel danach in minutenlanges Schweigen und keiner wagte es, weiter zu essen, bis Vater endlich die Achseln zuckte, so als hätte er es aufgegeben ein sinnloses Rätsel mit sechs Unbekannten zu lösen und daraufhin wortlos weiter aß. Erst als Papa und dann die KPDSU gestorben waren, hatten es Andrej und Natascha gewagt, den Keller zu entrümpeln und auf Flohmärkten damit ein paar Rubel zu machen, um das Ticket gen Westen zu lösen. Das Ticket in die goldene Zukunft war nach dem Zusammenbruch das Ziel der Geschwister. Um zu wissen, wie toll es im Westen war, hatten sie die Antenne von Onkelchen nicht mehr gebraucht. Angesichts der Fähigkeiten des großen Wissenschaftlers Fock, war es ein grausamer Treppenwitz der neueren Wissenschaftsgeschichte, dass die außergewöhnlichen Erfindungen Alexej Focks als Samowar oder wohlmöglich Technomatroschka endeten. Aber Andrej und Natascha hatten es ja nicht gewusst oder für möglich gehalten, dass diese Apparaturen mehr darstellten als Spinnereien. Sie waren keine Kinder mehr und hielten die Erzählungen ihres Vaters im Nachhinein für großen Schmu, um sie vom Keller fernzuhalten, beim Essen ruhig zu halten oder ihnen schlicht, einen Bären aufzubinden.
Dennoch, die legendäre Focksche Antenne überlebte den großen Ausverkauf der Nachgeborenen. Vielleicht weil Natascha und Andrej ihr Ticket bei Zeiten zusammenhatten? Vielleicht aber auch aus Sentimentalität? Aber das ist auch eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten. Andrej jedenfalls hatte die Antenne im Gepäck mit in den Westen geschleppt, trug sie von Wohnung zu Wohnung, hob sie immer auf und fand sie da, wo er glaubte, sie beim letzten Mal gesehen zu haben: in seinem Kellerverschlag seiner Wohnung. Er hob sie aus der mit Holzwolle ausgeschlagenen Kiste heraus, sah sie sich von allen Seiten an und stellte fest, dass sie stank. Sie war obendrein hässlich.
Als er sich die Kiste, in deren Dunkelheit die Antenne die schnelllebigen und irrlichternden Zeiten der friedlichen Revolutionen durchgemacht hatte, genauer ansah, fand er sogar eine Bedienungsanleitung. Onkel Fock schien, so meinte Andrej erkennen zu können, eine Erfindung gemacht zu haben, die er für patentier- und vermarktbar gehalten hatte. Andrej fand auch noch ein Schreiben, welches an ein Schweizer Patentamt adressiert, aber offensichtlich nicht abgeschickt worden war. Wichtig erschien Andrej die Anleitung und das Gerät selbst. Beides schickte er per Kurier zu seiner Schwester, den Rest schmiss er weg und hoffte, dass Onkels Genie ausreichen würde, den Bildschirm und das Leben von diesem Bretzelburg wieder zu erhellen. Vor allem hoffte er, dass die Anrufe seiner Schwester sich wieder auf ein erträgliches Minimum reduzierten. Er wollte seine Ruhe, sein walartiges Schweben im großen Meer des Lebens fortsetzen und – wenigstens mit einer Gehirnhälfte – weiterschlafen.
„Was ist das?“ Bretzelburg stand in Silbersteins Wohnzimmer und schaute abwechselnd zu Natascha und zu dem Ding, dass er in die Hände gedrückt bekommen hatte. Eigentlich hatte er es sich bei ihr wieder gemütlich machen wollen, aber Natascha hatte an diesem Abend andere Pläne und das, was sie ihm gerade in die Hände gedrückt hatte, war wohl ein wesentlicher Bestandteil ihres Planes. Es war schwer. Es sah aus, wie eine halbe Seemine und es roch komisch.
„Das ist eine Antenne von Großonkelchen Fock, Zacharias. Es ist die beste Antenne, die jemals gebaut worden ist. Mit dieser Antenne hat mein Onkel in Petersburg alles empfangen. BBC? Sportschau? Was Du willst. Eben alles. Damit reparieren wir Deinen Fernseher, mein Lieber.“ Als sie ihre Rede beendet hatte, stand sie kerzengerade vor ihm und strahlte ihn mit großen Augen an. Zacharias stand immer noch da wie bestellt und nicht abgeholt.
„Und die Kekse?“, stammelte er.
„Essen wir später.“ befahl Natascha ärgerlich, wegen seiner Begriffstutzigkeit, zog ihn aus ihrer Wohnung raus und schob ihn in seine hinein.
Es war ein Glück. Auf jeden Fall war es Eines für Andrej. Denn Andrejs unglücklicher Zusammenprall mit dem Regal und dem Durcheinanderfallen der alten Fotos, hatte ihn Eines aus längst vergessenen Tagen wiederentdecken lassen. Es war ein altes schwarz-weiß Foto und es zeigte seinen Onkel Fock, wie er glücklich strahlend auf ein merkwürdiges Gerät zeigte, das auf einem Fernseher stand. Das Bild im Fernseher erkannte Andrej nicht, aber er erinnerte sich, dass sein Vater ihm und Natascha gerne erzählt hatte, was er bei Onkel Fock gesehen hatte, wenn er zu Besuch bei ihm gewesen war. Denn Onkel Fock empfing alle Programme, die weltweit ausgestrahlt wurden. Die Amis, die Briten, die Deutschen? Egal. Was ihr wollt. Eben alles und alle. Den ganzen Tag Mickey Maus. Leider konnte Onkelchen keine Kinder leiden und so hörten sie nur von Papa die Geschichten von Focks Wunderapparat, ohne ihn selbst je gesehen zu haben.
Aber am Ende war der Apparat doch noch in ihren Besitz gekommen. Vorher allerdings hatte Onkel Alexej Papa den Keller mit seinen Apparaturen vollgemüllt. Nicht ohne ihn anzuflehen, diese Dinge ja nicht in die falschen Hände kommen zu lassen oder gar weg zu schmeißen. Er werde wiederkommen und alles werde gut werden. Kurz danach buchte das KGB für Onkelchen Ferien in Sibirien.
Da Vater große Angst hatte, dass es genau diese verrückten Apparate waren, die Alexej ins Gulag und Unheil über die Familie gebracht hatten, durfte keiner ohne Begleitung in den Keller und die Gerätschaften auch nur ansehen.
„Warum hat er auch den ganzen Tag Mickey Maus geschaut? Warum, Kinder? Nebbich.“ fluchte er manchmal unvermittelt am Mittagstisch, erwartete aber keine Antwort, verfiel danach in minutenlanges Schweigen und keiner wagte es, weiter zu essen, bis Vater endlich die Achseln zuckte, so als hätte er es aufgegeben ein sinnloses Rätsel mit sechs Unbekannten zu lösen und daraufhin wortlos weiter aß. Erst als Papa und dann die KPDSU gestorben waren, hatten es Andrej und Natascha gewagt, den Keller zu entrümpeln und auf Flohmärkten damit ein paar Rubel zu machen, um das Ticket gen Westen zu lösen. Das Ticket in die goldene Zukunft war nach dem Zusammenbruch das Ziel der Geschwister. Um zu wissen, wie toll es im Westen war, hatten sie die Antenne von Onkelchen nicht mehr gebraucht. Angesichts der Fähigkeiten des großen Wissenschaftlers Fock, war es ein grausamer Treppenwitz der neueren Wissenschaftsgeschichte, dass die außergewöhnlichen Erfindungen Alexej Focks als Samowar oder wohlmöglich Technomatroschka endeten. Aber Andrej und Natascha hatten es ja nicht gewusst oder für möglich gehalten, dass diese Apparaturen mehr darstellten als Spinnereien. Sie waren keine Kinder mehr und hielten die Erzählungen ihres Vaters im Nachhinein für großen Schmu, um sie vom Keller fernzuhalten, beim Essen ruhig zu halten oder ihnen schlicht, einen Bären aufzubinden.
Dennoch, die legendäre Focksche Antenne überlebte den großen Ausverkauf der Nachgeborenen. Vielleicht weil Natascha und Andrej ihr Ticket bei Zeiten zusammenhatten? Vielleicht aber auch aus Sentimentalität? Aber das ist auch eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten. Andrej jedenfalls hatte die Antenne im Gepäck mit in den Westen geschleppt, trug sie von Wohnung zu Wohnung, hob sie immer auf und fand sie da, wo er glaubte, sie beim letzten Mal gesehen zu haben: in seinem Kellerverschlag seiner Wohnung. Er hob sie aus der mit Holzwolle ausgeschlagenen Kiste heraus, sah sie sich von allen Seiten an und stellte fest, dass sie stank. Sie war obendrein hässlich.
Als er sich die Kiste, in deren Dunkelheit die Antenne die schnelllebigen und irrlichternden Zeiten der friedlichen Revolutionen durchgemacht hatte, genauer ansah, fand er sogar eine Bedienungsanleitung. Onkel Fock schien, so meinte Andrej erkennen zu können, eine Erfindung gemacht zu haben, die er für patentier- und vermarktbar gehalten hatte. Andrej fand auch noch ein Schreiben, welches an ein Schweizer Patentamt adressiert, aber offensichtlich nicht abgeschickt worden war. Wichtig erschien Andrej die Anleitung und das Gerät selbst. Beides schickte er per Kurier zu seiner Schwester, den Rest schmiss er weg und hoffte, dass Onkels Genie ausreichen würde, den Bildschirm und das Leben von diesem Bretzelburg wieder zu erhellen. Vor allem hoffte er, dass die Anrufe seiner Schwester sich wieder auf ein erträgliches Minimum reduzierten. Er wollte seine Ruhe, sein walartiges Schweben im großen Meer des Lebens fortsetzen und – wenigstens mit einer Gehirnhälfte – weiterschlafen.