Ein kleiner See (verworfen)

Kurzgeschichte

von  Rollsen

Marie mochte den See. Sie ging gerne dorthin, wenn sie alleine sein wollte, denn nur dort fühlte sie sich unbeobachtet genug, um Abstand von der Welt zu erlangen, auch wenn dieser Augenblick jedesmal nur kurze Zeit andauerte. Marie fühlte sich hier frei und im Spätsommer hatte der kleine See eine ganz besondere Atmosphäre der Ungestörtheit und Ruhe. Sie ging oft und sehr gerne hierhin und das schon seit sehr langer Zeit. Seit wann genau, wusste sie nicht mehr, denn er war schon ihr Leben lang ein stiller Teil von ihr, gewissermaßen ihr Anker der Ruhe in dieser hektischen Zeit, doch konnte sie sich erinnern, dass sie schon als kleines Mädchen oft hierhergekommen ist. Immer wenn sie zuhause oder in der Schule Ärger oder Probleme hatte. Der See war wie ein alter Freund. Er war ihr persönlicher Fluchtpunkt, allerdings nicht die gesamte Zeit über, denn es hat eine Unterbrechung gegeben, damals vor ein paar Jahren, als das Areal weiträumig mit Bauzäunen umstellt gewesen war. Marie erinnerte sich an diese seltsame Zeit... -

"Was soll das heißen, die Taucher haben nichts gefunden?!", brüllte der leitende Ingenieur.
"Was das heißen soll?! Nichts, nada, rein - gar - nichts. Das soll es heißen!", schrie ihm sein Vorarbeiter entgegen. "Die Tauchfirma hatte den Auftrag, den Boden zu erkunden und zwar besonders an den Stellen, die uns bekannt waren. An allen Stellen, an denen wir bisher etwas gefunden haben, doch Fehlanzeige!"

Der Ingenieur sagte nichts dazu und blickte seinen Vorarbeiter fassungslos an. Dieser ging wütend aus dem Baucontainer und ließ den Ingenieur allein mit seinen Gedanken. Er war stiller geworden in letzter Zeit.  Der Ingenieur ging im provisorischen Baucontainer auf und ab und hing ganz seinen Gedanken nach. Seinen Gedanken und seinen Sorgen. Die Zeit lief gegen ihn und seine Auftraggeber hingen ihm im Nacken, denn an dieser Baustelle an der sich jetzt befand, sollte bald ein neuer Autobahnabschnitt durch die Landschaft gelegt werden. Für diesen Teilabschnitt hatte er die Verantwortung und eigentlich klappte auch alles reibungslos, wenn nur, ja wenn dieser seltsame kleine See nicht gewesen wäre. Groß war er nicht, der See, fast noch ein Teich oder ein Weiher und eine der Aufgaben des Ingenieurs und seiner Leute war es gewesen, ihn leerzupumpen, den Boden zu verfestigen und diese verdammte Autobahn darüberzulegen. Eigentlich nichts, woran man mit genügend ordentlicher Planungsarbeit und ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet, verzweifeln sollte, doch genau das tat der Ingenieur. Er verzweifelte. Er HATTE die Vorarbeit geleistet. Er HATTE den kleinen See abgesperrt und er HATTE die Pumpenanlagen vorbereiten lassen. Er HATTE den See trockenlegen- und das Wasser einem nahegelegenem Fluss zuführen lassen. Er HATTE den Seegrund inspizieren und räumen lassen. Alles, was man dort fand, waren ein paar Autoreifen, zwei abmontierte Zigarettenautomaten und drei Einkaufswagen. Er HATTE sich gefreut, dass die Arbeit an dieser Stelle bald abgeschlossen sein würde und in die nächste Phase übergehen konnte. Und er HATTE sich fürchterlich erschrocken, als er am Morgen danach wieder einen komplett gefüllten kleinen See wiedergefunden hatte, ganz so, als wäre nichts geschehen. Der Ingenieur ging weiter auf und ab, dachte nach und kaute auf seiner Unterlippe herum. Er verstand nicht, wieso seine Pumpenanlagen eine volle Woche benötigten, um diesen Scheiß-See leerzupumpen, nur um dann hilflos mit ansehen zu müssen, wie er - mir nichts, dir nichts - einfach über Nacht wieder vollief. Und überhaupt? Woher kam eigentlich das Wasser? Geregnet hatte es nicht und unterirdische Zuflüsse gab es auch keine..., - doch nicht nur deswegen war ihm der kleine See mittlerweile unheimlich geworden. Er hatte den See bereits ganze dreimal auspumpen lassen und nachdem er jedesmal leer war und er ihn inspizieren ließ, wurden auch immer die gleichen Gegenstände und zwar an immer den gleichen Stellen auf dem Grund gefunden: einige Autoreifen, zwei alte Zigarettenautomaten und drei Einkaufswagen. Was daran besonders gruselig war: es waren haargenau dieselben Gegenstände wie zuvor, ohne aber dass die anderen, zuerst geborgenen von ihrem Lagerort verschwunden gewesen wären. Sie hatten alles dieselben Rostflecken, dieselben Schlammverkrustungen, Schrammen und Kratzer und das an jeweils genau denselben Stellen! Sie waren vollständig identisch! Dreimal hatte er ihn auspumpen lassen, dreimal wurde der Grund geräumt und auf dem Lagerplatz hinter dem Baucontainer lagerten jetzt dreimal die gleichen Gegenstände: exakt 18 Reifen, sechs alte Zigarettenautomaten und neun verrostete Einkaufswagen. Und jetzt wurde ihm gesagt, dass die Tauchfirma nichts finden konnte! Die neu hinzugezogenen Taucher hatten den kompletten Seegrund kontrolliert und dabei lediglich Steine, Schlamm und Algen gefunden, sonst nichts. Der Ingenieur war sich seiner Sache schon lange nicht mehr sicher, musste sich aber zu einer Entscheidung durchringen. Nach einer Weile nahm er einen kleinen Schnaps zu sich ("für die Nerven") und rief dann seinen Vorarbeiter  zu sich. Er hatte sich entschieden: die Pumpen mussten wieder laufen!

Eine Woche, einige Zigarettenautomaten und eine Nacht später musste er sich erneut entscheiden. Er entschied sich für eine schriftliche Kündigung.

- ...Marie erinnerte sich auch an die Männer mit den Geschäftsanzügen, die ratlos am Seeufer gestanden haben. An noch mehr Pumpen und an noch mehr Taucher. Und dass die Bauzäune irgendwann verschwunden waren. Sie erinnerte sich, dass es wieder still um diesen kleinen See geworden ist; ebenso erinnerte sie sich an die neue Autobahntrasse, die man in einigen hundert Metern Entfernung zum See bauen ließ. Und sie erinnerte sich auch an einen Mann, der genau wie sie ab und zu erschienen ist, um nachdenklich am Ufer zu sitzen und dem Konzert der Frösche zuzuhören. Seltsam fand sie nur, dass dieser Mann jedesmal Zigaretten in den See warf. Immer nur eine und immer wenn er ging. Sie schüttelte den Kopf.
Marie jedenfalls genoss den Abend am See. "Bald wird es wieder dunkel", dachte sie sich, "bald muss ich gehen". Und: "Vielleicht sollte ich ihm endlich einen Namen geben..."


Anmerkung von Rollsen:

Eine erster Entwurf ins Unreine geschrieben. Ich lasse den erstmal so stehen und wenn ich ihn irgendwann überarbeiten sollte, dann wird eine Finale Version eigens hochgestellt, als "Writer's Cut", sozusagen.

Nachtrag vom 25.07.2011: dat Dingen ordne ich für mich selber als Schreibübung ein. Ich wollte sie komplett neu schreiben, doch das ruht jetzt erstmal, wegen keinen Bock. Irgendwann später. Ich mache dafür erstmal andere Dinge.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (21.06.11)
"Abstand von der Welt zu erlangen" .... "Anker der Ruhe"; nunja, stellenweise mir etwas zu maniriert. Die Idee ist aber ganz gut, finde ich, nur könntest Du dem Leser ruhig etwas zutrauen und ihn selbst beobachten lassen, stattdessen kaust Du doch ziemlich viel vor...

 Rollsen meinte dazu am 21.06.11:
Hallo, Dieter! An der Geschichte klebt (noch) nicht viel Herzblut, da ich sie gestern erst in einem Rutsch (mit abtippen) in etwa anderthalb Stunden durchgeschrieben habe. Also, ich habe nicht wochenlang darüber gegrübelt und daran herumgeschliffen und deshalb bin ich für Kritik jeder Art dankbar. Das mit den manierierten Stellen und dem Vorkauen nehme ich mit, wenn ich mich bald daran mache, sie neu zu schreiben. Schönen Gruß! Rollsen (Antwort korrigiert am 21.06.2011)
(Antwort korrigiert am 21.06.2011)
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