Bei Bedarf

Skizze

von  beneelim

Wenn ich könnte, wäre ich tot. Wenn ich wollte, würde ich glauben, es gäbe Worte, die wirklich sind. Dies ist der dritte Abend, und ich sitze, der dritte Abend, ich streife mir den frisch gefallenen Schnee von den Händen, während ich sitze. Die vergangenen Stunden seziere und erkenne, hier, heute, am dritten Abend des tausendsten Tages, dass er Recht hat. Er trägt ein Wort, ein dreifach vergoldetes, einen Namen, wie es so heißt, und er spricht gerne mit mir, einmal, alle vierzehn Tage, für eine ganze Stunde und es kümmert mich nicht, dass ich ihn bezahle. Er ist professionell. Ich mache zehn Kreuze in mein Stimmungsbuch, Büchlein, es wünscht mir in lavendelfarbenen Lettern baldige Genesung. Lieb. Hier sind meine Vorschläge, meine mir ganz persönlich unterbreiteten, eröffneten Möglichkeiten zur genesungsbegleitenden Aktivität. Lieb. Kreuzchen. Kreuzchen. Häkchen. Kreuzchen. Häkchen. Blasspinkes Sehr gut, seit zwei Wochen nicht mehr. Damals, um 9 Uhr. Ich hatte mich geirrt und schummeln gilt nicht. Dies ist der dritte Abend, und ich saß, so wie ich nun gehe, wasche mir die Hände, das Gesicht, gehe, sitze, lege mich hin und sitze. Tausendster Tag, falte deine Arme über mein Grab.

Ich bin sehr neckisch, sagt er. Er mit dem dreifach vergoldeten Namen, ich bin neckisch, er ist professionell. Ich war einst überzeugt, der Unterschied, der sich breit macht zwischen ihm und mir, zwischen mir und ihnen, breit macht wie ein albernes Froschmaul, das mit klebriger Zunge die Sätze verschluckt, breit, breiter, eine winzige Differenz, sphärisches, dimensionales Zittern, einfach: der Unterschied. Er liegt darin, so meinte ich, dass er nicht gefickt wurde, als er zwei war. Oder drei. Wir arbeiten daran, er ist Analytiker. So was macht schon etwas aus, ich schwitze, er nickt. Er hat ein legeres, hellblaues Jackett an und schickt seinen Blick knapp über meine Schulter, stets bereit, ihn flugs zurück zu befehligen und zu murmeln: Da schwingt etwas Trauer mit, in Ihren Worten.

Ich schweife ab. Dissoziiere. Man hat ja sonst keine Freuden. Entsüchtigt schlage ich meine Zähne in mein eigenes Fleisch, am dritten Abend. Was langt für Gut, frage ich in das Büchlein hinein, und das Büchlein spricht in lavendelfarbenen Lettern, wie gesagt, freundlich, zielstrebig, lieb, und bestimmt: es gibt mir fünf Wochen Zeit; Fünf Wochen und ich mach dich gesund. Ich sitze nicht mehr, gehe, im Kreis, über Flur und Teppich, zum Kasten im Schlafzimmer und zum Alibert im Bad, und ich keuche leicht, schwitze, wie meistens, ich lächle, ich schneide mir ein neues Muster knapp unter die Ellenbeuge, ich bin ein dummes kleines Schulmädchen, ich springe am Stand, eins, zwei, eins, zwei, hoch. An die Decke. Ich bin ein Riese, ein Schulmädchen, ein entwöhnter Junkie und ich habe noch fünf Wochen Zeit. Mir steigt Lavendelduft in die Nase, mein Blut tropft ins Waschbecken. Wenn ich könnte, was würde ich können?

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (42)
(09.08.11)
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 Vaga (20.08.11)
Wenn ich könnte, würde ich mich von den Toten lösen, die immer noch an mir kleben und an mir zerren und mich zu gängeln versuchen. Wenn ich könnte, würde ich mich in mich verlieben und stolz darauf sein, dass ich das kann. Doch es fällt mir schwer, wegen der Toten, die mir einzubläuen versuch(t)en, dass Stolz und Eitelkeit mit Dummheit einhergehen und auf dem gleichen Holz wachsen. Wenn ich könnte, wäre ich mein eigenes Fleisch (und Blut) und nicht aus dem Holz, aus dem mich einst die Toten geschnitzt haben. Doch ich denke, ich kann (immer mehr), wenn ich wirklich will .
Verzeih - beneelim - meine (aus- und abschweifenden) dissoziierenden Assoziationen. Aber nimm bitte auch meinen herzlichen Dank für die Inspiration.
Ganz liebe Grüße dir - Vaga.
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