Sonne

Text

von  Zeder

Ich möchte niemandem Kälte geben, deshalb verpacke ich meine Hände stets warm. Zwischen dem Gestikulieren ziehe ich sie an mein Herz zurück. Wem kann ich hier erzählen, was Zuneigung heißt. Ich sage: Wenn das Herz sich dehnt und andere erkennt. Ich dehne mich mit jedem Atemzug. Zittern, ja, zitternd, nicht fröstelnd. Ob dort jemand mein Herz lächeln sieht? Jeder tut es. Ich glaube, ja.
Die Sonne wird niemals untergehen, wenn man es richtig macht. Manchmal werde ich nach meiner Odyssee gefragt. Ich erzähle:
Immer gehe ich. Immer finde ich und niemals bleibe ich. Einmal kannte ich noch Nacht: Da trat abends der Himmel ins Blaue hinein. Und immer wussten alle, was kommen wird, nur ich nicht. Sterne, sagten sie. Was sind Sterne? Sonnen. Wie können Sterne Sonnen sein, dachte ich. Und ich schlief darunter ein, das meine Mutter den Vorhang zu zog. Manchmal, wenn ich nachts erwachte, trat ich ans Fenster und zog den dunklen Stoff beiseite. Immer nur Sterne, keine Sonnen, eine Sonne habe ich nur tags gesehen. Und wie ich sie sah. Sie stand groß und feurig am Himmel und blendete jeden, der sie nicht verstand. Ich habe gelernt, wie man mit ihr leben muss: man muss nur manchmal vor der Schönheit die Augen schließen.
Später begann ich mit ihr zu wandern. Warum? Es war etwas, das möglich war. Ich wanderte immer westwärts und atmete im Puls der Stürme. Wer die Sonne kennt: Sie lebt, sie spricht. Ihre Strahlen fliegen und landen auf uns.
Am Anfang des Lebens traf ich auf zwei Gestalten, die mich lachend und weinend begrüßten und ich sah hinter all den seltsamen Dingen und dem starken Licht, dass, was bedingungslose Liebe ist. Wie staunend ich war vor der Freude. Ich habe niemals wieder so viel Freude gesehen. Und wenn ich heute tanze, mich ganz im schwachen Licht gehen lasse, meine Füße dem Puls des Bodens anvertraue, dann habe ich eine Ahnung davon, was es heißt zu verschwinden. Verschwinden heißt Verschmelzen.
Ich traf jemanden namens Marie. Wir rauchten unsere erste Zigarette zusammen, wir brachen Nachts aus unseren Häusern aus und lernten die Straße kennen. Marie – roter Lippenstift, der nicht zu ihren gräulichen Haaren passt, enge Jeans, so, wie ich. Sorglosigkeit? Sorglos war ich früher nicht, ich war eher nicht mutig genug es anders zu machen. Mascara und Parfum aus der Drogerie. Heimliche Liebesbriefe, dabei habe ich Marie geliebt. Bitterer Alkohol und nachts streichelte ich ihr Haar.
Erst viel später, auf Reisen, da habe ich niemanden mehr gebraucht. Ich in meinem eigenen kleinen Raum und wie mich ein Goldschimmer umgab, wenn ich mich bewegte. An Flüssen entlang, durch die Berge und durch Wüste. Nicht mehr ausweichen müssen. Wenn man selber leuchtet, dann kann man den Faden sehen, dann ist jede Entscheidung eine Freude, dann steht an jedem Ende Schönes bereit. Wohin ich kann, ich kann überall hin. (Es ist so: Wir kommen überall zurecht, wenn wir wollen.) Und manchmal wachse ich so groß wie die Sonne.
Was hast du gelebt?, frage ich. Am liebsten Antworten die Resignierten. Was ich von Leid gehört habe und wie viel Schönheit darin war. (Die Menschen, die glücklich sind, die nehmen die Frage nicht ernst.)


Anmerkung von Zeder:

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Kommentare zu diesem Text


 Vessel (14.09.11)
das kommentiere ich wirklich gerne.
wieder einmal wahnsinn, wie du deine geschichte aufbaust, du schlägst deinen bogen vom kindsein zum alter, vom fragen zum verstehen und ich bewundere, dass es dir gelingt dabei so viele wunderbare sätze einzuflechten. toller text, zeder, danke für mitteilen.

 Zeder meinte dazu am 14.09.11:
=))) ich teile gerne mit! danke, vessel, das wämt mein herz!!!
Emmanuel (20)
(17.09.11)
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Fremdkoerper (33)
(25.12.11)
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