Mein Freund Stalin

Reportage zum Thema Politik

von  max.sternbauer

Im Jänner 2009 war ich in Berlin auf der Rosa Luxemburg Konferenz. Diese Konferenz dient der Vernetzung innerhalb der Linken Szene und findet seit 1996 jährlich in der Berliner Urania statt. Verschiedene Organisationen nutzen dieses Treffen als Plattform, halten dort Vorträge mit Podiumsdiskussionen, bauen Infostände auf und veranstalten Demonstrationen. Ich reiste mit meinem Freund von der KJÖ (Kommunistische Jugend Österreich), einigen "Trotzkis“ und "Maos“ in einem Reisebus an. Nach vielen endlosen Stunden ohne Schlaf - aber dafür mit umso mehr geöffneten Bieren - kamen wir im Berliner morgengrau an. Der erste Tag verlief damit, dass ich bei den schon erwähnten Vorträgen saß und gegen die Müdigkeit ankämpfte. Ich möchte euch Details ersparen und wer sich für die Luxemburg-Konferenz wirklich interessiert, der geht am Besten auf die Homepage der Zeitung "Junge Welt“.

Am zweiten Tag stand zum Gedenken zweier wichtiger Politiker, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die in den Novemberunruhen 1919 ermorden wurden, eine große Demonstration auf dem Plan. Sie führte durch die Karl-Marx Allee (vormals Stalinallee) in Berlin-Ost zu den Ehrengräbern, die noch zu DDR-Zeiten angelegt worden waren. Bevor wir durch ein breites Eisentor das Friedhofsgelände betraten, packten wir unsere Flaggen ein. Ein Kiesweg war wie ein Ring um das Grab von Liebknecht und Luxemburg angelegt worden. Wir umrundeten es einmal und hielten dann vor dem Grabstein eine Schweigeminute ab. Vor dem Tor standen tausende, die auch den Friedhof betreten wollten. Ich stellte mich auf einen Betonsockel und sah nach Westen die Straße hinunter. Ein Meer aus Fahnen. Ich hüpfte von dem Sockel wieder herab und wollte mich wieder meinen Leuten anschließen - bis eine neue Gruppierung aufgetauchte. Vor dem Tor spannten sie ein gewaltiges blutrotes Transparent. Mein alter Freund lächelte mich an:

Stalin...

Doch halt: Wieso zeigt eine politische Organisation, die sich als Links bezeichnet, auf ihren Fahnen und Transparenten einen der größten Massenmörder und Tyrannen der Menschheitsgeschichte? Und das auf einer demokratischen Kundgebung? Damit fing ich zu grübeln an und zurück in Wien beschäftigte mich mit dem Thema: Wieso vertritt jemand heutzutage noch die Theorien von Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili alias Stalin und Mao Tze Dong? Ich erinnerte mich: In Berlin hatte ich mit einem von der Organisation gesprochen. Auf die Frage hin, was er von den Lagern (Gulag) wusste und dachte, die unter Stalin errichtet worden waren, fiel ein Satz, der viel über die Thematik aussagt: "Schau dir an, wer über die Lager geschrieben hat, nämlich bürgerliche Historiker."

Das bringt es ziemlich gut auf den Punkt. Denn viele Menschen, die sich als Links und Sozialisten bezeichnen, argumentieren, dass einige Publikationen über die Stalin-Ära "antikommunistische Propaganda" sei. Oder auch anders gesagt: "Fakten wurden verdreht oder es wurde gelogen, nur um den Sozialismus schlecht zu machen". Ein beliebtes Argument ist auch - und das ist wirklich mein Lieblingssatz geworden: "Das musst du vom historischen Kontext aus betrachten."

Jene, die so reden, versuchen sich gegen einen bestimmten Vorwurf zu wehren: Dass Stalin ein Produkt des Sozialismus war. Oft gibt es nur ein Bild von Linken Vereinen: zurück zu Planwirtschaft; alle wollen ein Politbüro, das wie in dem Roman 1984 über die Menschen herrscht. Ein finsteres, marxistisches Reich des Bösen.

Was ein kompletter Blödsinn ist. Genau gegen diese Vorwürfe müssen sich viele Kommunisten wehren. Nur leider übersehen sie auch, dass noch immer ein immenser Berg von verklärten Bildern in ihren eigenen Reihen herumspukt. So ist Kuba kein sozialistisches Paradies unter der Sonne und die Berliner Mauer war kein "Anti-Faschistischer Schutzwall". Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es viele Intellektuelle, die in die Sowjetunion ihre utopischen Hoffnungen hinein projizierten. Hitler war geschlagen und in der UdSSR kämpfte eine sozialistische Revolution "für die Menschen" - so dachten nicht wenige. Sie sahen die Lager nicht, die Repressionen gegen Künstler und Denker und nicht die Geheimpolizei - gar nichts.

Man sprach darüber, aber nur diffus - als wären es Schatten in einem Nebel. Irgendwann tauchte dann die Frage auf: Was war an Workuta (einem Gulag in Sibirien) anders als an Dachau? Man begann Hitler mit Stalin zu vergleichen, um sich diese Phänomene zu erklären. Und etwas Wichtiges geschah: Stalin wurde aus einer historischen Nische rausgeholt. Gleichzeitig wurde aber ein gewaltiger Fehler gemacht: In der Debatte kam der Gedanke auf, dass das logische Ende des Sozialismus nur bei Stalin sein konnte. Das stimmt so nicht. Als Stalin die Macht an sich riss, war ein gewaltiger Teil der internationalen Linken anti-stalinistisch eingestellt. Der NKWD (Vorläufer des KGB) brachte viele Oppositionelle um - wie zum Beispiel Leo Trotzki. Es gab weltweite Proteste gegen Stalin. Vor allem von Sozialisten.

Und genau hier liegt der Nerv: Nur ganz wenige einsame Gestalten glauben noch, dass Stalin oder Mao ernstzunehmende Theoretiker sind. Aber es werden oft gewisse Tatbestände verklärt oder abgeschwächt. Die Zahlen der Opfer des Stalinterrors werden nach unten revidiert. Nach dem Motto: "Sicher sind bei der Industrialisierung Fehler gemacht worden. Aber die Sowjetunion wurde zu der führenden Industrienation und das über Nacht!"

Es geht also nicht darum, dass Stalin verteidigt wird - das tun die Wenigsten. Aber Stalin wird weggerückt aus dem Scheinwerferlicht und kleiner gemacht, als er war. Denn alles, was über ihn gesagt wurde, sei "kapitalistischen Propaganda entsprungen". Aber wenn über einem Konzentrationslager Hammer und Sichel hängen, ist es dann keines mehr? Letztendlich ist es doch egal, wer dir den Lauf einer Pistole in den Nacken drückt.

Fakt ist, dass es Unterdrückung und Leid unter Stalin gab. Selbst wenn nicht Millionen gestorben wären, sondern nur ein einziger Mensch, dann genügt das, um diesen Mörder - und etwas anderes war er nicht - zu verdammen. Und für die meisten (eingeschlossen mir selbst), die in marxistischen Kreisen arbeiten, war Stalin ein Diktator, Menschenschlächter und Despot. Es gibt viele - selbstverständlich auch widersprechende - Meinungen in der Linken Szene, wie mit dem Erbe Stalins umgegangen werden muss. Aber eines muss klar sein: Wenn Stalin nicht aus den Köpfen heraus zu Grabe getragen wird, dann haben die, die sich in unseren Tagen "Sozialisten" nennen, keine Zukunft.


Anmerkung von max.sternbauer:

1953 starb Josef Stalin. aber bis heute wird seine Geschichte nur sehr wiedersprüchlich in der Linken Szene
behandelt.

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Kommentare zu diesem Text

Mitternachtslöwe (27)
(30.09.09)
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 Dieter_Rotmund (16.02.20)
Nicht schlecht, aber wenn du den Genrebegriff Reportage halbwegs konsequent verfolgen willst (was eine gute Entscheidung ist) müsstest Du diesen Text einfach reportagehafter gestalten. und hier und ein paar Fehlerchen korrigieren (z.B. das substantivierte "morgengrau").

 max.sternbauer meinte dazu am 17.02.20:
:)
Danke
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