νεολογισμός

Text

von  Akzidenz

[..] Musik für Millionen, doch dieses Selbstmisstrauen in der Musik, man erkennt es am vetellhaften Schweigen der Gesichter im Parterre. Finster, als ob der Genuss nur ein Gerücht wäre, und als gäbe es die Ohren dafür nur hier: sie ertragen das Mitleid der Musik, als ob keine Selbstliebe darin wäre . . aber hier zeigt mir die Musik die Brust und scheut zurück wie eine amöne Muse: die Musik scheint so entrüstet, wenn man ihr applaudiert. Und es kommt den Leuten fast so vor, als ob die Akklamation immer schon den letzten Ton hatte, nur lag zwischen allen Händen noch ein Unterschied, den die Stille zu ertragen machte, zwischen dem Ablegen der Instrumente, zwischen dem Knall der kahlen Häute.
 

Man wollte meinen, die Sozialmusik hätte kein Ohr für den großen Widerhall frankophoner Schädel, ihrer auditiven, ja gänzlich fassbaren Musik, die in Frankreich während der Feiertage von der konzertanten Unterhaltunsmusik, und der Theatermusik abgelöst wurde. Denn die concerts spirituels wurden statt dieser im Rahmen ekklesiogener Feierlichkeiten abgehalten, die von jenen Salbadern und Konzettisten, den Philotechnikern und Liebhabern reichlich besucht wurden, weil ihre Konzertsäle geschlossen waren, und weil Musik stattdessen selbst gemacht werden musste, wozu das Mäzenatentum sich während dieser Zeit noch nicht hat durchringen können.  Man hat nicht sagen wollen - und man hat es nicht gesagt - dass eine ganz und gar volkstümliche Erscheinung der musikalischen Technik, einem Land selbst unter der Befürchtung auf Tradition auch nicht weniger gefährlich vorkommen würde, als in Hinblick ihres Zweckes; jenes Zweckes auch, die Bewegung größerer Heerscharen in Balance zu halten, sie zu taktieren, ihnen mit affigem Charivari Willkommensgrüße in die Luft zu jagen, die ein Land oder ein Kaiserreich verträgt. Denn dass uns die Charakterschwäche einer solchen Musik eine eigene bescheret hat, das ist erstmal festzustellen! Dieser Opal, diese Unschärfe, dies lichterlohe Eigentum, das das Säulenjoch erhellet hat; man hat es ausgegraben, wo es seiner Natur gemäß angelegt war; und da am besten die Musik zu hören, die man sich antat, der größte Hayde der Nation war, eine laizistische Nation, die die paganen Ungetüme nicht recht heiligen zu unterscheiden wusste, war das recht so, wie es kam. Man hat in einem Almanach des Jahres 1851 über Wien und deren Kaiserliche Societät verlautbaren lassen, wie sehr die Volksmusik doch daran ertrübe, dass ihre verehrten Komponisten den jahrelangen Eindruck von Echomatismus nicht sehr zu scheuen vermöchten, und dass sie nicht toll genug gewesen seien, etwas Erhebliches zu wagen. Denn wenn man etwas wagte, so war es unerheblich für den Nachlass, den wir hier betrachten können. Alles, was vergangen ist, ersetzt sich selbst mit einer eigentümlichen Logizität, einer Reihenfolge, die passiert ist, i.e. eine Tatsache, dass die Wiener Klassik so hat kommen müssen, wie sie gekomme ist, und dass wir mit leichten Augen schon hineinsehen, was geschah, dies ist immer Überfall in der Geschichte. Mit der Wiener Klassik emergierte der Musikbegriff in Europa zur Votivgabe einer ganzen Wahrheit von Musik; wenn sie eine Lüge hervorgerufen hat, sodann, dass sie Spätlinge wie Diabelli und Bayer einer ideolektalen Tonsprache bereicherte, und sie die Volksmusik erstickt haben. Wennzwar nicht in Abrede zu stellen ist, dass die Komponisten ihre Kompositionen lieben, denn alle sind sie sehr schön und bemüht, dasselbe Anregen zu teilen, dann aber, dass sie das zeitgenössische Fidential dazu ausersehen hat, dieselbe Sprache wie die Vorwelt zu sprechen, oder aus zu viel Einfluss Purismus zu betreiben, oder aus Purismus wieder Reinigkeit zur Wahrheit machten. Überhaupt setzt diese Kolportage von Musik, von Komponisten, nicht dringend voraus, dass sie ihre Musik anfassen, sondern sie den Musikanten geben, die sie auch zu spielen vermögen. Es scheint auch niemanden verärgert zu haben, das nachhinein dieser Musik ad populum nicht haben erahnen zu können: und was ärgert uns das auch nicht! dass die Musik lebt, wie ein bewegter Körper, der seine Spuren hinterlässt, so hätte auch niemand wissen wollen, was mit besserem Hinblick auf die Zeit, wie auf einem Tumulus oder unter einer Esche stehend, in der Gegenwart viel Missverständnis und Phantasie in uns erregt hat. Denn wie die Häufigkeit der Andenken und Huldigungen, erpressen wir uns noch die Zähre dafür, etwas Häufiges an uns zu haben, etwas, das nicht das Eigentum der Gegenwart so los an uns gebunden sieht, wie den Verfall, wie ein brüchiger Fels in dem Hange, woanders zu enden, als wo er nun ist. Zumal die Kunst ist, was sich selbst erreicht, setzen wir Stützen und Gebälk hinzu, in der Höhenangst, dass es hält, jedoch nicht in dem Bewusstsein, seinen Abfall mit zu erleiden. Weil sich etwas bewegt, ist es gleichgültig, bis es uns schädigt; doch weil man nicht zu sagen wagt, welche Musik ansich guttut und gesund ist - es ist dasselbe mit der Kunst, vor allem mit der freien - erkennen wir ihren Schaden nicht, sondern nur ihre Leibeigenschaft, und nur die Selbstliebhaber dieser Eigenschaft, aber nicht das Schicksal ihrer Knechte.

Wie käme Ich herum, es nicht Sozialmusik zu nennen; denn solange Ich eine Musik nicht hören möchte, wird sie anderwärts Beachtung finden, wennauch nur von ihren Machern, wenn es sie doch in der Art gäbe! Und alleine, und selbstgerecht, wie es gereicht. Nie wieder hörte Ich so Bedauernswertes aus den scharfen Obertönen des Horns erklingen, als dass ein Waidmann mit ihm Waldtier aufscheucht, und dass, man sich wundern, überhaupt alles Laute noch dazu gereicht, Tier und Menschen aufzutreiben. Es diente den Jägern aber gleich der Fußartillerie zum Felde, zum Signale und zum Auftakt, recht gleich, was man gewählt hätte, solange die Ohren noch tangiert wurden. Nichts hat das Instrument auch nur so sehr zum Signal gemacht, wie jene niedere Funktion der Katakustik, einfach Tonmusik zu machen: ihre Paradenzunickerei, ihr wütendes Geschirr, ihr Hin- und Her, wie dass der aufschwimmt, der ins Wasser stürzt, dies war immer schon der Takt des Marsches. Man traut dieser Beherzigenswerten, denn sie hat viel Soldatenkegel und Kriegsfelder benebelt: noch heute düstert es darin von musikalischen Angriffen, von Handstreichen, von Speeren und Heroldenkunst. Ihr größtes Schade als Musik, ihr incitāmentum, ihr Reizmittel aus Ungeduld, ihre Übertönung und Gefährlichkeit aus Mangel an musikalischer Purität, ist auch das größere Übel jeder europäischen Auslegung von bürgerlicher Musik geworden; denn es hat das Volk verzaubert, was es da hörte, wie es das Volk auch verzaubert, wo es geboren ist, und danach sehnte sich das Aufgebot, das Arrangement, die Optophonie gieriger Königshäuser, eine Musik aus Zufall zu treiben. Aus fürstlichen Märschen und donnerhaften Defilees, aus Spielmannszügen und Fanfaren, aus nationalem, emulativem Grunde, ist ebenjene Lustbarkeit bis heute - ein Vorrecht der Zeit - sich nicht über die Gefahren ihrer Gestellung gewahr geworden; noch weniger, als über die Physiologie - denn man erkrankt an ihrer Anonymität - noch über die glänzenden und überhöhten Augen, noch über die adeligen Qualitäten, noch über Trinkkultur, die Zecher, die Dipsomanie und die Berauschung an der Möglichkeit. Denn die Wahrheit ist fast tautologisch, es steht nur nichts still, was uns bewegt. Doch sieht man tief ins Innere einer anderen Öffentlichkeit der Musik, so stellt es sich heraus, dass, den Exotismus wohlweislich berücksichtigt, es von Jawa bis Marajó nichts annähernd so Faules gibt, wie in einem Stück Europa; von der Virga über die Leibeigenschaft, bis in die letzten Reihen der Entourage, kein Zug hat das Volk so erhitzt, wie die vielen Trommeln und Memambranophone, die gespannten Tierhäute mitsammen des Ansehens militärischer Kragen und Quasten im Silber der Sonne. Mit der Deutschen Marschmusik sind vor allem die Ideen aus der Öffentlichkeit verschwunden, denn sie sagt nichts mehr über sich, was Unschuld abgibt, und sie hat es sich in Ermangelung von musikalischen Schatten, für eine hohe Fackel in die Luft gehalten, um viel zu sehen und zu lachen, und um hohe Besucher zu empfangen: niemals im Zweifel, man würde bemerken, was sich in Wahrheit selbst begrüßt - hielt sie sich doch immer selbst für das beste Komitee-, sondern aus Furcht vor natürlicher Stimmung, vor der wahren Antiphonie.

Man gab den Glauben an die Selbstbewegung, die Selbstbesichtigung der Musik auf; sie wurde zur Heroldenkunst und großen Sache. Man findet es als dies an ihrem Melisma vereinigt, was Walzer, Polka und Staccato mit dem Blut anrichtet: es gibt keinen ansatzweise so evasorischen charaktér aus der Musik vorzuführen wie den sittlichen Takt, der mit ihr geht, die eigentliche Eilbedürftigkeit, der Fußmarsch im Körper, dem transeamus kybelischer Wut als Bürgertum der Ohren zu folgen. Ihre Antipodie war immer die Ekstase. Jetzt rieselt es von den Kanonen her aus Vergügen und aus Festspiel etwas Hohes in die Masse nieder. Als ob diese Musik nie eine täuschende Musik gewesen wäre, hat man sie freilich nie im Stillen gesucht- sondern ihren Muskeln in das Ohr verleibt, und die Mitbewegungen verfolgt.

Es lässt sich über die Geschichte mehr als ein Mal etwas sagen, das über dieselbe den Verdacht erhärtet, die schaffende Phantasie habe sich ihrer bei Zeiten befleißigt, Insignien und neue Farben, Hörensagen und Geschreie verbreitet, in Hinblick derer alles so geschehen ist, dass es aufbaut. Und wie foutieren sich  unsere Ohren darüber, dass hier zu öffentlich phantasiert wurde, hier die Geilheit vigiliert, und hier noch übrig ist, was man gemacht hat. Ein jeder Blick in unsere Vorwelt zeigt das Mächtigste von ihr, und man hat Plaisier-Geschmack daran zu schmecken gelernt. Die geistige Mensur, die die Militärmusik zur Last hat, scheint aber keinen geringeren Spruch der Bequemlichkeit an sich zu haben, die die Menschen beschwätzt, gewarnt, ja bloß nicht aufgegeben hat: aus Mangel an Geduld, vorauszulaufen, aus Mangel, was da komme . .

[..] Etwas Schönsprecherhaftes an der Musik;
dass sie es vermag, die Leute zum Schweigen zu bringen.

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Kommentare zu diesem Text

fragilfluegelig (49)
(20.01.12)
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