Grenzgänger - Teil 4

Kurzgeschichte zum Thema Welten

von  MrDurden

Nichts als tiefes Schwarz. Verzerrt erreichen mich Geräusche. Hinter mir heulende Sirenen und vor mir der Motor eines roten 67er Camaro mit auffälligen Rostflecken. Er muss meinen bewusstlosen Körper in den Wagen geschafft haben. Kann mich nicht bewegen und fühle mich wie nach einer durchzechten Nacht. Meine Hände sind hinter meinen Rücken gebunden. Verschwommene Bilder brennen in meinen Augen wie entflammtes Benzin. Der Wagen schert heftig aus, windet sich durch den Verkehr des Jeffries Freeway. Panisch ringe ich auf der Rücksitzbank nach Luft und erkenne etwas auf dem Beifahrersitz. Pass, Führerschein und mein Lieblingsfoto von Grace. Und langsam wird mir klar, dass wir in Richtung Core City unterwegs sind.

„Keine Sorge, Jake. Ich werd dich schon sicher nach Hause schaffen. Bin mittlerweile ein richtig guter Fahrer. Muss ich auch sein, wenn man bedenkt, was ich in letzter Zeit so alles angestellt hab. Geht’s dir gut dort hinten oder würde dem Officer etwas frische Luft gut tun?“

Mein Schädel dröhnt, als sei er in einen Schraubstock gespannt. Noch immer keine Nervosität in Coulters Stimme. Warmes Blut fließt mir den Nacken hinunter. Und wieder bin ich kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren.

„Weißt du, Jake, mit deiner kleinen Freundin hast du nen richtigen Glückstreffer gelandet. Ich hatte auch mal ein Mädchen und sie war ne Wucht, das kannst du mir glauben. Eine, die dich nur mit ihren Blicken weichkocht. Eine, mit der man alt werden will.“

Ohrenbetäubender Lärm über unseren Köpfen. Scheinwerferlicht blendet mich und fegt über den Highway. Es muss ein Hubschrauber sein. Lange kann es nicht dauern, bis sie dieser Höllenfahrt ein Ende bereiten werden. Doch was hat dieser Wahnsinnige nur vor?

„Jedenfalls fehlt es ihr ein wenig an Charakter und eines Tages verlässt sie mich für einen anderen. Du weißt schon, eine schöne Frau hat man niemals für sich allein. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass es vorbei ist. Doch es dauert nicht annähernd so lange, seine Adresse herauszufinden. Eines Abends verlassen sie seine Wohnung, gehen in ein Restaurant. Ich folge ihnen in meinem Wagen, parke am Straßenrand und beobachte die beiden. Ich sehe seine Blicke, wie er sie berührt und ihr sagt, dass er sie liebt. Für sie ist er nur ein Spielzeug, wie ich es war. Doch sie liegt ihm am Herzen. Kennst du das Gefühl, ein Spielzeug zu sein, Jake? Nur ein scheiß Spielzeug?“

Coulters Fahrstil wird wilder und unkontrollierter. Er scheint vor Wut zu kochen. Doch es gibt nichts, das ich tun kann. Keine Kraft, um zu sprechen. Keine Kraft, um mich zu befreien. Und wir kommen Core City näher und näher.

„Also haben die beiden ne Menge Spaß und irgendwann gehen sie sturzbetrunken zu ihm nach Hause. Die Nacht ist kalt und sie schmiegt sich an den Kerl wie eine Katze an einen verdammten Kratzbaum. Und ich folge ihnen. Seine Wohnungstür stellt kein größeres Hindernis dar, und bevor die beiden in ihrem Rausch überhaupt reagieren können, schlage ich sie mit meinem Radkreuz bewusstlos. Nichts für ungut, Jake. Du weißt ja mittlerweile, wie effektiv das ist. Es dauert eine ganze Weile, bis sie zu sich kommen. Genug Zeit, um sie an Stühle zu fesseln, sie zu knebeln und mich etwas in der Küche umzusehen. Beide sind sie zu benebelt, um den Ernst der Lage zu kapieren, also lasse ich mir Zeit mit den Turteltäubchen. Noch immer starrt er seine Geliebte an, also nehme ich einen Teelöffel und pule ihm die Augen aus seinem Schädel. Sie heult wie ein Schulmädchen, dem der Teddy geklaut wurde. Vielleicht würde sie während unserer Show gerne die Hand ihres Spielzeugs halten, ihn berühren und sich betatschen lassen. Also nehme ich ein Fleischermesser und hacke ihm die Hände ab. Sie heult und schreit noch lauter, als zuvor. Sogar geknebelt ruft sie nach ihrem Spielzeug, nach dem traurigen Versager, der sie so sehr liebt. Also nehme ich das Fleischermesser und schneide ihm das Herz aus der Brust.“

Mit letzter Kraft versuche ich, Graceys Gesicht vor meinen Augen zu behalten. Tränen rinnen über mein Gesicht, während ich schwächer werde. Die Sirenen sind schon sehr nah. Wieder legt sich Dunkelheit um mich. Und eine Grenze wird überschritten, die ich für unüberwindlich hielt.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram