Grenzgänger - Teil 3

Kurzgeschichte zum Thema Welten

von  MrDurden

Pass, Führerschein, Fahrzeugpapiere. Kurzer Blick auf den Wagen, Vermerk in der Einreisekartei und willkommen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Abendrot benetzt den Himmel mit glühenden Schlieren und es scheint, als würde das andere Ufer des Detroit River in Flammen stehen. Ein langer Tag neigt sich seinem Ende und in weniger als einer Stunde werde ich abgelöst. Schon vor Stunden habe ich dem alten Radio auf meinem Schreibtisch den Saft abgedreht. Polizeiberichte, Werbung, Jazz, noch mehr Polizeiberichte, noch mehr Jazz, selbst die unendliche Monotonie dieses Jobs kann mir diesen nervtötenden Musikstil nicht schmackhaft machen.

„Bitte halten Sie an der Markierung und halten Sie Pass und Fahrzeugpapiere bereit, Sir.“

Einer der letzten Einreisenden aus Kanada für heute. Netter, junger Mann. Sagt, er würde Freunde in Detroit besuchen. Die Hauptverkehrszeit liegt schon einige Stunden zurück und ein wenig Smalltalk tut nach einem Tag der Massenabfertigung ganz gut. Nathan Coulter, lebt in Walkerville, einem kleinen Stadtteil von Windsor, auf der anderen Seite des Flusses. Hat von der steigenden Verbrechensrate in Detroit und Umgebung gehört und scheint besorgt zu sein. Erzählt mir, dass er jedes Mal das Gefühl hat, ein anderer Mensch zu werden, wenn er diese Grenze überquert. Dass er sich in dieser Stadt nicht wie er selbst fühlt. Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Kurzer Blick auf den Wagen, roter 67er Camaro. Vermerk in der Einreisekartei und er bekommt seine Papiere zurück. 67er Camaro. Roter Wagen mit auffälligen Rostflecken am Heck.

„Sir, bitte stellen Sie den Motor ab und verlassen Sie das Fahrzeug. Nur eine Routinekontrolle für die Statistik, nichts weiter.“

Und es scheint doch noch ein spannender Abend zu werden. Kein Zweifel, es ist der geklaute Camaro aus Core City. Unauffällig löse ich die Schnalle um meinen Schlagstock, steige aus Stationshäuschen 6 und gehe langsam um den Wagen herum.

„Ihr Wagen, Sir? Oder ist er geliehen?“

Keine Nervosität in seiner Stimme. Keine Einbruchspuren an den Türen. Erzählt mir, der Wagen sei tatsächlich geliehen. Wäre gerade auf dem Weg zu einem Freund, um ihn zurückzugeben.

„Dieser Freund wohnt nicht etwa in Core City, Sir?“

Keine Antwort und kein Smalltalk, während ich nach dem Griff des Kofferraums taste. Kein Kollege in Sichtweite, doch zu Fuß würde dieser Coulter nicht weit kommen. Plötzlich höre ich seine flüsternde Stimme direkt neben mir, zucke zusammen und greife hastig nach meinem Schlagstock.

„Sie sind nicht zufällig liiert, oder Officer?“

Kalter Stahl trifft meinen Hinterkopf. Glühendes Abendrot spiegelt sich in Nathan Coulters Radkreuz, geht mit mir zu Boden. Kalter, unnachgiebiger Grenzasphalt. War zu unvorsichtig. Mir wird schwarz vor Augen. Dunkelheit legt sich um mich. Und wie jeden Tag überschreiten wir Grenzen, die wir doch niemals überwinden.

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