Ein schwerer Verlust
Geschichte zum Thema Fantasie
von ThalayaBlackwing
Thalaya erholte sich nur langsam. Es ging ihr wie allen, wenn sie den ersten Menschen getötet hatten. Die körperlichen Wunden heilten schnell. Und gegen die Empfehlungen der Ärzte, die sich um Thalaya kümmerten, verließ sie schon am Tag nach der Prüfung das Bett. Sie wollte jetzt auch die Früchte ihrer Arbeit ernten. Sie wollte endlich nicht nur dem Namen nach eine Assassine des Moritats sein. Sie wollte die Weihe und den Schwur ablegen. Sich für immer dem Gottimperator und dem Tempel weihen und angeloben. So ging oder besser humpelte sie, sich auf eine Krücke stützend, zum Tempel. Sie biss die Zähne zusammen und wusste doch im gleichen Augenblick, als sie auf die Knie niederging, um zu beten und zu warten, dass es keine gute Idee war. Die Wunde im Bein war wieder aufgebrochen. Aber Thalaya ignorierte es. Sie hatte gestern Blut für den Gottimperator vergossen. Sie wollte sich ihm heute ganz angeloben. Wenn sie dann diese Wunde nicht überlebte, war sie doch nicht würdig, dieses Angebot auch nur zu machen. So schloss sie die Augen und gab sich ganz der Ekstase des Gebets hin. Sie sandte in ihrem Gebet die Bitte zum Gottimperator, sie als seine Dienerin anzunehmen. Ihr zu erlauben, sich Ihm zu weihen. Und sie spürte auch, dass Er ihre Bitte, ihr Angebot mit einem Lächeln annahm. Welch Freude war es, diese Gewissheit zu haben. Als sie die Augen dann wieder öffnete und in die Welt zurückkehrte, war die Kathedrale bereits voll mit den Mitgliedern des Tempels, wie am gestrigen Tage.
Thalaya erhob sich schwer, verzog das Gesicht vor Schmerz und auch glänzte die Novizenrobe, die sie noch immer trug, bereits feucht von ihrem Blut. Doch sie musste nicht mehr lange durchhalten. Sie wollte diese Weihe. Es war einfach der Abschluss eines acht Jahre dauernden Kampfes, der Lohn für acht Jahre harte Arbeit. Thalaya kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Wieso musste es jetzt so schwer sein? Womit hatte sie das verdient? Es war eine weitere Prüfung. Thalaya blickte zum Eingang der Kathedrale, bemüht, nicht zu schwanken und war froh, dass Meister Madison bereits den Gang entlang auf sie zukam. Er lächelte sie an, aber sie sah auch, dass er besorgt war. Lag es an ihr? Machte er sich Sorgen um sie? Sah sie vielleicht so schlecht aus, wie sie sich fühlte? Aber auch sie lächelte.
Ein letztes Mal verneigte sie sich vor ihrem Mentor wie es sich für eine Novizin gehörte. Sie hatte ihre Prüfung bestanden, jetzt würde sie bald eine geweihte Assassine sein. Die jüngste, die es je gegeben hatte in diesem Tempel.
„Brüder und Schwestern, wir sind gestern Zeugen der Prüfung unserer Novizin Thalaya geworden. Wir haben gesehen, wie sie ihre Aufgaben gemeistert hat. Wir haben gesehen, dass sie weder im Angesicht von Gefahr noch von Schmerz die Kontrolle verliert oder in Panik gerät. Wir haben auch gesehen, dass sie den Tod nur als letzten Ausweg sieht. Alle Anforderungen sind erfüllt. Ist hier einer, der einen Einwand hat, dass unsere Schwester, Thalaya, die Weihe erhält?“
Eine Weile herrschte Stille, niemand stand auf. Doch in dem Moment, da Meister Madison fortfahren wollte, stand ein junger Mann auf. Er wirkte wütend, aber auch so, als habe er geweint.
„Ich erhebe Einspruch. Dieses Kind ist nicht würdig, die Weihe zu erhalten! Sie tötete einen ihrer Brüder, das schlimmste Verbrechen, welches sie sich hätte schuldig machen können. Sie gehört dem reinigenden Feuer des Gottimperators übergeben.“
In seiner Stimme schwang Wut, aber auch Hass mit. Frustration, Trauer. Der ganze Raum war ruhig. Man hätte eine Maus niesen hören können. Es war noch nie, wirklich noch nie vorgekommen, dass jemand Einspruch erhob, und dieser Jemand wollte nicht nur die Weihe hinauszögern, er wollte sie tatsächlich hinrichten lassen. Thalaya kämpfte mit sich. Sie zitterte, nicht vor Angst oder vor Kälte, sondern vor Wut und Erschöpfung. Was würde geschehen? Sie kannte das Gesetz, wonach kein Bruder und keine Schwester ein anderes Mitglied des Moritats töten durfte, aber sie war in der Prüfung gewesen und sie wusste auch, wenn sie ihn nicht getötet hätte, dann hätte er sie getötet. Schon überlegte sie, was sie zu ihrer Verteidigung sagen konnte, als Meister Madison die Stimme erhob und sprach.
„Setz dich wieder hin, Rumal! Deine Trauer ist verständlich. Er war dein Bruder. Doch Thalaya ist kein Vorwurf zu machen. Sie hat getan, was sie tun musste. Du kannst von niemandem erwarten, dass er oder sie sich selbst opfert, um einen Bruder oder eine Schwester zu retten, schon gar nicht während der Weiheprüfung. Nach deiner Regel hätte auch dein Bruder nicht mehr das Recht gehabt, weiter unter uns zu weilen. Die Prüfung gilt als bestanden.“
Tränen rannen dem jungen Rumal über die Wangen, er kämpfte, blieb stehen, gab sich dann aber schließlich geschlagen und setzte sich. Die Anspannung wich merklich von allen Anwesenden. Noch eine Weile blieb alles still, dann wandte Meister Madison sich Thalaya wieder zu.
„Niemand hat ein Wort gegen deine Weihe einzuwenden. Nun frage ich dich, bist du aus freien Stücken hierhergekommen, bist du aus freiem Willen hiergeblieben?“
„Ja, das bin ich.“
„Hast du die Prüfung aus eigenem Antrieb abgelegt?“
„Ja, das habe ich.“
„Ist es dein freier Entschluss dich Ihm zu weihen? Willst du dein Schicksal bis zu deinem Tod mit diesem Tempel verweben?“
„Ja, das will ich!“
Und obwohl ihre Stimme schwächer wurde, war die letzte Aussage mit so viel Energie und Willen gesprochen worden, dass niemand einen Zweifel daran haben konnte, dass sie es wirklich so meinte.
„Dann soll es so sein! Mit der Weihe schwörst du dem Gottimperator und dem geheimen Tempel der Schattenklingen ewige Treue. Solltest du die Ehre erhalten, der Inquisition zu dienen und die dir übertragene Aufgabe steht im Widerspruch zu dem, was die Gesetze des Tempels dir vorgeben, ist es deine Pflicht, dich mit mir oder jedem anderen Meister eines Tempels in deiner Nähe in Verbindung zu setzen und entsprechende Instruktionen zu erhalten."
„Mit meinem Blut schwöre ich, die Gesetze des Tempels zu ehren und mit allem, was ich bin und kann, dem Gottimperator zu dienen.“
Keiner sah, wo sie die Klinge so schnell herholte, keiner hatte es bemerkt, doch in einer schnellen Bewegung, die nur als verschwommene Bewegung zu sehen war, schnitt sich Thalaya in den Arm und das frische Blut floss den Arm hinunter. Sie schloss die Augen über den Schmerz und auch über die plötzlich wankende Welt.
„So sei es!“
Und mit diesen Worten winkte Meister Madison einem jungen Novizen zu, der die neuen Roben für Thalaya brachte. Und alles, was dazugehörte, nun eine voll ausgebildete Assassine zu sein. Meister Madison überreichte ihr nun die Roben, zwei Schwerter und ein Kampfmesser. Die Waffen waren alle Mono. Diese besondere Schmiedeart machte die Waffen unglaublich scharf, so dass sie selbst die modernen Rüstungen zu durchdringen vermochten. In den Händen einer Assassine, ausgebildet im Tempel des Moritats, waren sie in der Lage, mehr Schaden anzurichten als ein Lasergewehr oder vergleichbare Waffen. Thalaya lächelte und nahm die Sachen entgegen. Sie unterdrückte mit aller Macht ein Zittern.
„Diese Waffen sind das äußere Zeichen für deine Geschwister über deinen Rang. Trage sie mit Stolz, denn nur wenige schaffen es bis hierhin. Und noch keiner hat es in so kurzer Zeit und in so jungem Alter geschafft.“
Thalaya war wirklich stolz. Sie wurde nicht nur in den Rang einer Assassine erhoben, nein sie wurde sogar von ihrem Mentor, der immerhin niemand geringeres als der Meister des Tempels war, gelobt, vor allen. Doch langsam merkte sie auch, dass ihr die Kräfte schwanden. Lange würde sie hier nicht mehr stehen können und auch dies schien Meister Madison zu spüren.
„Das Festmahl zu Ehren der neuen Assassine wird stattfinden, wenn sich Thalaya von der Prüfung erholt hat. Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit. Geht. Euch ist der Abend freigegeben.“
Damit erhoben sich die Anwesenden. Einige kamen zu Thalaya hoch, die mittlerweile von Meister Madison gestützt auf einer Bank Platz genommen hatte. Dort nahm sie die Gratulationen und Glückwünsche entgegen. Und obwohl sie sich sehr über jeden Einzelnen freute, der kam und ihr gratulierte, war sie am Ende froh, als es vorbei war. Sie würde den Weg in die Krankenstation nicht mehr schaffen.
„Ich glaube, den Weg hoch zur Krankenstation schaffe ich nicht mehr auf eigenen Beinen.“
Und Thalaya war schockiert, wie schwach sie klang. Sie hatte es mit einem Lächeln in der Stimme sagen wollen, aber das war ihr gänzlich unmöglich gewesen. Meister Madison und noch ein naher Freund Thalayas wirken sehr besorgt, aber sie verschwendeten keinen Atem und keine Zeit auf sinnloses Gerede. Sie handelten. Ein junger Novize, der noch vor einem der Nebenschreine kniete und betete, wurde losgeschickt, den Tragenservitor aus der Krankenstation zu holen. Keine zehn Minuten später war Thalaya wieder in ihrem Bett und ein sehr besorgter Arzt behandelte sie. Und er ließ sich auch die Standpauke nicht nehmen, er habe es doch gesagt, es war unklug, unvernünftig. Sie hätte dabei sterben können. Und so weiter. Thalaya bekam das alles nicht wirklich mit. Sie driftete zwischen Wach-sein und Bewusstlosigkeit, kämpfte mit aller Macht, nicht in die Schwärze zu sinken, das war wichtig. Jedenfalls behauptete das eine Stimme in ihrem Kopf. Aber sollte man Stimmen im Kopf nicht ignorieren? Das war doch immer ein Zeichen von Wahnsinn. Erst als die beiden Blutungen, die am Arm und besonders die schwere Wunde am Bein versorgt waren und das durch Blutkonserven wieder zugeführte Blut auch im Körper blieb und nicht postwendend wieder hinaus floss, klärten sich auch wieder Thalayas Sinne. Wie nah sie dem Tod gewesen war, konnte sie an den besorgten Mienen ihres Mentors, ihre Freundes Alderic und des Arztes ablesen. Doch in dem Moment, da sich Thalayas Blick klärte und sie wieder Farbe bekam, langsam zwar nur, aber doch merklich, wieder einen Kontrast bildend gegen die weißen Kissen des Bettes, nickte der Arzt zufrieden.
„Ich denke, die junge Assassine hat das Schlimmste überstanden. Wirklich wissen werden wir das aber erst in 24 Standardstunden.“
Mit diesen Worten ging er und ließ Thalaya mit ihrem Mentoren und Alderic allein. Meister Madison wirkte erleichtert, aber auch ein wenig stolz und weniger besorgt oder vorwurfsvoll.
„Du hast große Stärke bewiesen, Thalaya, nicht nur am gestrigen Tage, auch heute. Die Weihe bedeutete dir mehr als dein eigenes Leben. Unvernünftig war es, aber du hast Stärke bewiesen. Ich wage zu bezweifeln, dass ich so gelassen, so ruhig dagestanden wäre, wenn ich auch nur ansatzweise in deiner Situation gewesen wäre. Es war die Fügung des Gottimperators, dass ich dich damals im Unterhive wiederfand, nachdem du mir und meinen Beobachtern zwischenzeitlich entwischt warst. Du warst schon damals gut, das Potential hast du gehabt und wir haben dich gelehrt, erfolgreich, wie ich sagen muss, es auch auszuschöpfen. Nun erhole dich, wir reden ein andermal darüber, wie wir dich weiter fördern können.“
Mit diesen Worten ging er und ließ nun Alderic und Thalaya allein. Sie blickte zu ihm auf und sah, dass er wirklich besorgt war. Sie schenkte ihm ein Lächeln. Er war einfach wie ein großer Bruder, der sie immer beschützte, wenn er schnell genug war. Denn meist hatte sie sich schon in Schwierigkeiten gebracht, bevor er überhaupt zu ahnen begann, dass sie das tun würde. Sie liebte ihn, auf die einzige Art, die ihr möglich war, wie eine Schwester den Bruder.
Alderic nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Thalaya. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, deshalb schwieg sie, wie auch Alderic. Er begnügte sich damit, Thalaya zu beobachten. Und als nach und nach ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte, entspannten sich auch seine vor Sorge verzerrten Gesichtszüge.
„Du hast mir Angst gemacht, Thalaya. Bitte versprich mir, dass du das nie wieder machst!“
„Aber Alderic, ich kann dir ohne zu überlegen versprechen, dass ich die Weiheprüfung nicht noch einmal mache, aber ich kann dir nicht versprechen, nie wieder verletzt zu sein. Das wäre ja gegen unseren Beruf und unseren Schwur. Denn dann müsste ich jedem Kampf aus dem Weg gehen.“
Alderic wirkte nicht zufrieden mit der Antwort. Er wirkte eher so, als überlege er, was er darauf erwidern sollte. Was er sagen konnte.
„Aber Thalaya, weißt du nicht ... ich meine ...“
Er schluckte und ... wurde er da gerade rot im Gesicht? Thalaya aber verstand nicht, was er meinte. Und seine nächsten Worten waren wie ein Sprung in eiskaltes Wasser. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was er ihr sagte.
„Ich ...ich liebe dich, Thalaya ...“
„Nein!“
„Aber Thalaya ...“
„Bitte Alderic, nein ...“
Das Entsetzen in ihrer Stimme war purer Verzweiflung gewichen. Sie hatte Alderic gern, sie liebte ihn auch, aber eben wie einen großen Bruder und nicht so, wie er es gerne hätte. Sie würde keinen Mann mehr so lieben können, nicht seit damals... Und jetzt verlor sie ihren besten Freund.
„Ich kann nicht, Alderic ...“
Tränen rannen ihr Gesicht hinunter. Warum nur? Auch Alderic schien betroffen. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Er hatte gedacht, jetzt wo die Anspannung der Prüfung von ihr gefallen war, jetzt konnten sie sich endlich einander öffnen. Er hatte es riskiert und offensichtlich verloren. Doch Thalaya, sie griff nach seiner Hand.
„Ich ... es tut mir Leid, Alderic. Ich hab dich gern, wirklich, aber ... ich kann nicht so, wie du es gern hättest. Ich kann dich nicht als .... als Mann ... lieben. Ich ... liebe dich als Freund, als großen Bruder ...“
Sie senkte den Blick, immer noch tief betroffen. Wieso war ihr das nicht aufgefallen? Sie hätte sicher mit ihmreden können. Sie hätten einen Weg finden können, der ... wie hieß der alte Philosoph Terras, aus einer Zeit weit vor der Raumfahrt und der Imperialisierung der Galaxien? Ach ja ... Platon. Platonische Liebe, eine Liebe, die völlig frei war von den körperlichen Begierden. Eine Liebe, die ausschließlich geistiger Natur war. Diesen Weg hätten sie finden können. Und jetzt hatte Thalaya den einzigen Mann, neben ihrem Mentoren verloren, dem sie solche Begierden nach ihr nicht zugetraut hätte.
„Ich wusste nicht, dass du so empfindest, Thalaya. Ich dachte, mit den Jahren, die du hier verbracht hast und in denen dir keiner ein Leid angetan hat, in denen keiner dir näher kam, als du es wolltest, wären diese alten Wunden geheilt. Ich ... ich habe mich geirrt. Es tut mir Leid ... Ich ... ich lass dich besser allein.“
Und Thalaya, unfähig ein weiteres Wort zu sagen, blickte ihn nur an, flehte ihn mit ihrem ganzen Sein, ihren Augen an, zu bleiben, doch er sah es nicht und ging. Danach brachen alle Dämme. Thalaya hatte den Mut, ja die Lust am Leben verloren. Am liebsten wäre sie aus dem Bett gesprungen, davongelaufen und hätte sich der Gnade des Gottimperators ergeben. Aber vielleicht war es gerade die Gnade, die ihr zuteilwurde, dass sie im Bett liegen blieb. Die Tränen versiegten, doch Thalaya hatte viel Kraft verloren. Durch den Verlust von Alderic als Freund, war sie so geschwächt, dass ihre Wunden nicht heilen wollten, ihre Kraft nicht zurückkehren wollte. Die Wunden entzündeten sich, trotz der regelmäßigen Pflege. Thalaya driftete in ein Delirium. Man gab ihr nur wenige Chancen, dass sie das überstand. Doch Thalaya fantasierte nicht nur, sie hatte eine einzige Vision.
Thalaya erhob sich schwer, verzog das Gesicht vor Schmerz und auch glänzte die Novizenrobe, die sie noch immer trug, bereits feucht von ihrem Blut. Doch sie musste nicht mehr lange durchhalten. Sie wollte diese Weihe. Es war einfach der Abschluss eines acht Jahre dauernden Kampfes, der Lohn für acht Jahre harte Arbeit. Thalaya kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Wieso musste es jetzt so schwer sein? Womit hatte sie das verdient? Es war eine weitere Prüfung. Thalaya blickte zum Eingang der Kathedrale, bemüht, nicht zu schwanken und war froh, dass Meister Madison bereits den Gang entlang auf sie zukam. Er lächelte sie an, aber sie sah auch, dass er besorgt war. Lag es an ihr? Machte er sich Sorgen um sie? Sah sie vielleicht so schlecht aus, wie sie sich fühlte? Aber auch sie lächelte.
Ein letztes Mal verneigte sie sich vor ihrem Mentor wie es sich für eine Novizin gehörte. Sie hatte ihre Prüfung bestanden, jetzt würde sie bald eine geweihte Assassine sein. Die jüngste, die es je gegeben hatte in diesem Tempel.
„Brüder und Schwestern, wir sind gestern Zeugen der Prüfung unserer Novizin Thalaya geworden. Wir haben gesehen, wie sie ihre Aufgaben gemeistert hat. Wir haben gesehen, dass sie weder im Angesicht von Gefahr noch von Schmerz die Kontrolle verliert oder in Panik gerät. Wir haben auch gesehen, dass sie den Tod nur als letzten Ausweg sieht. Alle Anforderungen sind erfüllt. Ist hier einer, der einen Einwand hat, dass unsere Schwester, Thalaya, die Weihe erhält?“
Eine Weile herrschte Stille, niemand stand auf. Doch in dem Moment, da Meister Madison fortfahren wollte, stand ein junger Mann auf. Er wirkte wütend, aber auch so, als habe er geweint.
„Ich erhebe Einspruch. Dieses Kind ist nicht würdig, die Weihe zu erhalten! Sie tötete einen ihrer Brüder, das schlimmste Verbrechen, welches sie sich hätte schuldig machen können. Sie gehört dem reinigenden Feuer des Gottimperators übergeben.“
In seiner Stimme schwang Wut, aber auch Hass mit. Frustration, Trauer. Der ganze Raum war ruhig. Man hätte eine Maus niesen hören können. Es war noch nie, wirklich noch nie vorgekommen, dass jemand Einspruch erhob, und dieser Jemand wollte nicht nur die Weihe hinauszögern, er wollte sie tatsächlich hinrichten lassen. Thalaya kämpfte mit sich. Sie zitterte, nicht vor Angst oder vor Kälte, sondern vor Wut und Erschöpfung. Was würde geschehen? Sie kannte das Gesetz, wonach kein Bruder und keine Schwester ein anderes Mitglied des Moritats töten durfte, aber sie war in der Prüfung gewesen und sie wusste auch, wenn sie ihn nicht getötet hätte, dann hätte er sie getötet. Schon überlegte sie, was sie zu ihrer Verteidigung sagen konnte, als Meister Madison die Stimme erhob und sprach.
„Setz dich wieder hin, Rumal! Deine Trauer ist verständlich. Er war dein Bruder. Doch Thalaya ist kein Vorwurf zu machen. Sie hat getan, was sie tun musste. Du kannst von niemandem erwarten, dass er oder sie sich selbst opfert, um einen Bruder oder eine Schwester zu retten, schon gar nicht während der Weiheprüfung. Nach deiner Regel hätte auch dein Bruder nicht mehr das Recht gehabt, weiter unter uns zu weilen. Die Prüfung gilt als bestanden.“
Tränen rannen dem jungen Rumal über die Wangen, er kämpfte, blieb stehen, gab sich dann aber schließlich geschlagen und setzte sich. Die Anspannung wich merklich von allen Anwesenden. Noch eine Weile blieb alles still, dann wandte Meister Madison sich Thalaya wieder zu.
„Niemand hat ein Wort gegen deine Weihe einzuwenden. Nun frage ich dich, bist du aus freien Stücken hierhergekommen, bist du aus freiem Willen hiergeblieben?“
„Ja, das bin ich.“
„Hast du die Prüfung aus eigenem Antrieb abgelegt?“
„Ja, das habe ich.“
„Ist es dein freier Entschluss dich Ihm zu weihen? Willst du dein Schicksal bis zu deinem Tod mit diesem Tempel verweben?“
„Ja, das will ich!“
Und obwohl ihre Stimme schwächer wurde, war die letzte Aussage mit so viel Energie und Willen gesprochen worden, dass niemand einen Zweifel daran haben konnte, dass sie es wirklich so meinte.
„Dann soll es so sein! Mit der Weihe schwörst du dem Gottimperator und dem geheimen Tempel der Schattenklingen ewige Treue. Solltest du die Ehre erhalten, der Inquisition zu dienen und die dir übertragene Aufgabe steht im Widerspruch zu dem, was die Gesetze des Tempels dir vorgeben, ist es deine Pflicht, dich mit mir oder jedem anderen Meister eines Tempels in deiner Nähe in Verbindung zu setzen und entsprechende Instruktionen zu erhalten."
„Mit meinem Blut schwöre ich, die Gesetze des Tempels zu ehren und mit allem, was ich bin und kann, dem Gottimperator zu dienen.“
Keiner sah, wo sie die Klinge so schnell herholte, keiner hatte es bemerkt, doch in einer schnellen Bewegung, die nur als verschwommene Bewegung zu sehen war, schnitt sich Thalaya in den Arm und das frische Blut floss den Arm hinunter. Sie schloss die Augen über den Schmerz und auch über die plötzlich wankende Welt.
„So sei es!“
Und mit diesen Worten winkte Meister Madison einem jungen Novizen zu, der die neuen Roben für Thalaya brachte. Und alles, was dazugehörte, nun eine voll ausgebildete Assassine zu sein. Meister Madison überreichte ihr nun die Roben, zwei Schwerter und ein Kampfmesser. Die Waffen waren alle Mono. Diese besondere Schmiedeart machte die Waffen unglaublich scharf, so dass sie selbst die modernen Rüstungen zu durchdringen vermochten. In den Händen einer Assassine, ausgebildet im Tempel des Moritats, waren sie in der Lage, mehr Schaden anzurichten als ein Lasergewehr oder vergleichbare Waffen. Thalaya lächelte und nahm die Sachen entgegen. Sie unterdrückte mit aller Macht ein Zittern.
„Diese Waffen sind das äußere Zeichen für deine Geschwister über deinen Rang. Trage sie mit Stolz, denn nur wenige schaffen es bis hierhin. Und noch keiner hat es in so kurzer Zeit und in so jungem Alter geschafft.“
Thalaya war wirklich stolz. Sie wurde nicht nur in den Rang einer Assassine erhoben, nein sie wurde sogar von ihrem Mentor, der immerhin niemand geringeres als der Meister des Tempels war, gelobt, vor allen. Doch langsam merkte sie auch, dass ihr die Kräfte schwanden. Lange würde sie hier nicht mehr stehen können und auch dies schien Meister Madison zu spüren.
„Das Festmahl zu Ehren der neuen Assassine wird stattfinden, wenn sich Thalaya von der Prüfung erholt hat. Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit. Geht. Euch ist der Abend freigegeben.“
Damit erhoben sich die Anwesenden. Einige kamen zu Thalaya hoch, die mittlerweile von Meister Madison gestützt auf einer Bank Platz genommen hatte. Dort nahm sie die Gratulationen und Glückwünsche entgegen. Und obwohl sie sich sehr über jeden Einzelnen freute, der kam und ihr gratulierte, war sie am Ende froh, als es vorbei war. Sie würde den Weg in die Krankenstation nicht mehr schaffen.
„Ich glaube, den Weg hoch zur Krankenstation schaffe ich nicht mehr auf eigenen Beinen.“
Und Thalaya war schockiert, wie schwach sie klang. Sie hatte es mit einem Lächeln in der Stimme sagen wollen, aber das war ihr gänzlich unmöglich gewesen. Meister Madison und noch ein naher Freund Thalayas wirken sehr besorgt, aber sie verschwendeten keinen Atem und keine Zeit auf sinnloses Gerede. Sie handelten. Ein junger Novize, der noch vor einem der Nebenschreine kniete und betete, wurde losgeschickt, den Tragenservitor aus der Krankenstation zu holen. Keine zehn Minuten später war Thalaya wieder in ihrem Bett und ein sehr besorgter Arzt behandelte sie. Und er ließ sich auch die Standpauke nicht nehmen, er habe es doch gesagt, es war unklug, unvernünftig. Sie hätte dabei sterben können. Und so weiter. Thalaya bekam das alles nicht wirklich mit. Sie driftete zwischen Wach-sein und Bewusstlosigkeit, kämpfte mit aller Macht, nicht in die Schwärze zu sinken, das war wichtig. Jedenfalls behauptete das eine Stimme in ihrem Kopf. Aber sollte man Stimmen im Kopf nicht ignorieren? Das war doch immer ein Zeichen von Wahnsinn. Erst als die beiden Blutungen, die am Arm und besonders die schwere Wunde am Bein versorgt waren und das durch Blutkonserven wieder zugeführte Blut auch im Körper blieb und nicht postwendend wieder hinaus floss, klärten sich auch wieder Thalayas Sinne. Wie nah sie dem Tod gewesen war, konnte sie an den besorgten Mienen ihres Mentors, ihre Freundes Alderic und des Arztes ablesen. Doch in dem Moment, da sich Thalayas Blick klärte und sie wieder Farbe bekam, langsam zwar nur, aber doch merklich, wieder einen Kontrast bildend gegen die weißen Kissen des Bettes, nickte der Arzt zufrieden.
„Ich denke, die junge Assassine hat das Schlimmste überstanden. Wirklich wissen werden wir das aber erst in 24 Standardstunden.“
Mit diesen Worten ging er und ließ Thalaya mit ihrem Mentoren und Alderic allein. Meister Madison wirkte erleichtert, aber auch ein wenig stolz und weniger besorgt oder vorwurfsvoll.
„Du hast große Stärke bewiesen, Thalaya, nicht nur am gestrigen Tage, auch heute. Die Weihe bedeutete dir mehr als dein eigenes Leben. Unvernünftig war es, aber du hast Stärke bewiesen. Ich wage zu bezweifeln, dass ich so gelassen, so ruhig dagestanden wäre, wenn ich auch nur ansatzweise in deiner Situation gewesen wäre. Es war die Fügung des Gottimperators, dass ich dich damals im Unterhive wiederfand, nachdem du mir und meinen Beobachtern zwischenzeitlich entwischt warst. Du warst schon damals gut, das Potential hast du gehabt und wir haben dich gelehrt, erfolgreich, wie ich sagen muss, es auch auszuschöpfen. Nun erhole dich, wir reden ein andermal darüber, wie wir dich weiter fördern können.“
Mit diesen Worten ging er und ließ nun Alderic und Thalaya allein. Sie blickte zu ihm auf und sah, dass er wirklich besorgt war. Sie schenkte ihm ein Lächeln. Er war einfach wie ein großer Bruder, der sie immer beschützte, wenn er schnell genug war. Denn meist hatte sie sich schon in Schwierigkeiten gebracht, bevor er überhaupt zu ahnen begann, dass sie das tun würde. Sie liebte ihn, auf die einzige Art, die ihr möglich war, wie eine Schwester den Bruder.
Alderic nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Thalaya. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, deshalb schwieg sie, wie auch Alderic. Er begnügte sich damit, Thalaya zu beobachten. Und als nach und nach ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte, entspannten sich auch seine vor Sorge verzerrten Gesichtszüge.
„Du hast mir Angst gemacht, Thalaya. Bitte versprich mir, dass du das nie wieder machst!“
„Aber Alderic, ich kann dir ohne zu überlegen versprechen, dass ich die Weiheprüfung nicht noch einmal mache, aber ich kann dir nicht versprechen, nie wieder verletzt zu sein. Das wäre ja gegen unseren Beruf und unseren Schwur. Denn dann müsste ich jedem Kampf aus dem Weg gehen.“
Alderic wirkte nicht zufrieden mit der Antwort. Er wirkte eher so, als überlege er, was er darauf erwidern sollte. Was er sagen konnte.
„Aber Thalaya, weißt du nicht ... ich meine ...“
Er schluckte und ... wurde er da gerade rot im Gesicht? Thalaya aber verstand nicht, was er meinte. Und seine nächsten Worten waren wie ein Sprung in eiskaltes Wasser. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was er ihr sagte.
„Ich ...ich liebe dich, Thalaya ...“
„Nein!“
„Aber Thalaya ...“
„Bitte Alderic, nein ...“
Das Entsetzen in ihrer Stimme war purer Verzweiflung gewichen. Sie hatte Alderic gern, sie liebte ihn auch, aber eben wie einen großen Bruder und nicht so, wie er es gerne hätte. Sie würde keinen Mann mehr so lieben können, nicht seit damals... Und jetzt verlor sie ihren besten Freund.
„Ich kann nicht, Alderic ...“
Tränen rannen ihr Gesicht hinunter. Warum nur? Auch Alderic schien betroffen. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Er hatte gedacht, jetzt wo die Anspannung der Prüfung von ihr gefallen war, jetzt konnten sie sich endlich einander öffnen. Er hatte es riskiert und offensichtlich verloren. Doch Thalaya, sie griff nach seiner Hand.
„Ich ... es tut mir Leid, Alderic. Ich hab dich gern, wirklich, aber ... ich kann nicht so, wie du es gern hättest. Ich kann dich nicht als .... als Mann ... lieben. Ich ... liebe dich als Freund, als großen Bruder ...“
Sie senkte den Blick, immer noch tief betroffen. Wieso war ihr das nicht aufgefallen? Sie hätte sicher mit ihmreden können. Sie hätten einen Weg finden können, der ... wie hieß der alte Philosoph Terras, aus einer Zeit weit vor der Raumfahrt und der Imperialisierung der Galaxien? Ach ja ... Platon. Platonische Liebe, eine Liebe, die völlig frei war von den körperlichen Begierden. Eine Liebe, die ausschließlich geistiger Natur war. Diesen Weg hätten sie finden können. Und jetzt hatte Thalaya den einzigen Mann, neben ihrem Mentoren verloren, dem sie solche Begierden nach ihr nicht zugetraut hätte.
„Ich wusste nicht, dass du so empfindest, Thalaya. Ich dachte, mit den Jahren, die du hier verbracht hast und in denen dir keiner ein Leid angetan hat, in denen keiner dir näher kam, als du es wolltest, wären diese alten Wunden geheilt. Ich ... ich habe mich geirrt. Es tut mir Leid ... Ich ... ich lass dich besser allein.“
Und Thalaya, unfähig ein weiteres Wort zu sagen, blickte ihn nur an, flehte ihn mit ihrem ganzen Sein, ihren Augen an, zu bleiben, doch er sah es nicht und ging. Danach brachen alle Dämme. Thalaya hatte den Mut, ja die Lust am Leben verloren. Am liebsten wäre sie aus dem Bett gesprungen, davongelaufen und hätte sich der Gnade des Gottimperators ergeben. Aber vielleicht war es gerade die Gnade, die ihr zuteilwurde, dass sie im Bett liegen blieb. Die Tränen versiegten, doch Thalaya hatte viel Kraft verloren. Durch den Verlust von Alderic als Freund, war sie so geschwächt, dass ihre Wunden nicht heilen wollten, ihre Kraft nicht zurückkehren wollte. Die Wunden entzündeten sich, trotz der regelmäßigen Pflege. Thalaya driftete in ein Delirium. Man gab ihr nur wenige Chancen, dass sie das überstand. Doch Thalaya fantasierte nicht nur, sie hatte eine einzige Vision.