Die Weiheprüfung

Geschichte zum Thema Fantasie

von  ThalayaBlackwing

Als Thalaya ihr Gebet beendete, verharrte sie noch auf den Knien, bis sie spürte, dass direkt hinter ihr jemand stand. Sie erhob sich langsam und wunderte sich nicht, dass sie direkt ins Gesicht von Meister Madison blickte. Sie verneigte sich.

„Der Gottimperator schützt!“

„Der Gottimperator mit dir, Thalaya. Was führt dich zu so früher Stunde in die Kathedrale am Tag deiner Prüfung? Bist du zu nervös, um zu schlafen?“


Meister Madisons Stimme war ruhig und doch lag ein wissender Tonfall in seinen Worten. Thalaya überlegte indes, wie sie ihm sagen konnte, was sie wirklich beunruhigte.

„Es … es ist nicht die Nervosität, es ist viel eher ... ich glaube, ich bin noch nicht bereit ...“

Hier brach sie ab, sie wusste einfach nicht, wie sie ihm erzählen konnte, was sie beschäftigte. Und ihr Mentor blickte sie lange nachdenklich an. Er wirkte nicht so, als ob er weitere Ausführungen erwartete, eher, als überlege er, was er ihr antworten könne. Schließlich deutete er mit einer Geste auf die Bänke und beide setzten sich

„Du stehst vor der wichtigsten Prüfung deines bisherigen Lebens und jeder von uns hat Angst davor, denn es gibt nur diese eine Chance. Jeder, der hier in diesem Tempel lebt und lernt, hat ein altes Leben zurücklassen und hier ganz von vorn anfangen müssen. Manch einer ist froh, dass er es hinter sich gelassen hat, und manch einer wurde gegen seinen Willen aus diesem Leben geworfen. Es ist ganz normal, dass du jetzt an dein altes Leben denkst. Es macht dich nicht zu einer schlechteren Assassine. Auch der Wunsch nicht, dein altes Leben zurückzubekommen, zu leben. Weißt du, Thalaya, dir stand und steht jederzeit der Weg frei, in dein altes Leben zurückzukehren. Du wirst noch immer vermisst. Ohne Leiche oder andere deutliche Zeichen deines Todes wird man immer nach dir suchen. Aber, du hast dich bisher immer dazu entschieden, hierzubleiben. Und das einzig entscheidende ist, was du getan hast, tust und tun wirst. Nicht, was du denkst oder träumst. Denke immer daran, Er hat dich zu uns geführt. Es gibt einen Grund, warum du hier bist, warum du so schnell gelernt hast.“

Mit diesen Worten stand er auf und war schon ein paar Schritte gegangen, als er sich noch einmal umdrehte.

„Und Thalaya, keiner von uns ist frei von Zweifeln, von geheimen Wünschen. Es macht uns nicht zu schlechteren Dienern des Gottimperators, es macht uns einfach zu Menschen. Möge Sein Licht dir den rechten Weg weisen.“

Und jetzt ließ er sie allein zurück. Aber Thalaya blieb nicht lange dort sitzen. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und wie sie es schon seit zwei Terra-Standardjahren täglich zu tun pflegte, kniete sie nieder, krempelte den Ärmel ihrer Robe zurück. Ein Arm voller Narben und kaum verheilter Schnitte kam an die Oberfläche. Ein Messer lag vor dem Bildnis der Heiligen Laetia, die Schutzheilige für alle, die sich im Schatten bewegen. Dieses Messer nahm sie auf, desinfizierte es in der Kerzenflamme und schnitt sich in den Arm. Eine neue Stelle, frisches Blut floss den Arm warm hinunter, Schmerz trübte kurz Thalayas Sinne, doch als der erste Tropfen in einer extra bereitgestellten Schale landete, war das Gefühl auch schon wieder vorbei. Nur wenige Momente verharrte sie so, sammelte einige Tropfen ihres Blutes, dann reinigte sie die Wunde und den Arm und verband ihn mit geschickten Händen.

Die Schale mit dem Blut nahm sie an sich und ging schweigend zurück in die Kathedrale. Und wie es Brauch war am Tag der Weiheprüfung, versuchten die anderen, Thalaya einen Laut zu entlocken. Doch Thalaya war ganz auf ihre Aufgabe fixiert. Als sie die Schale zu Füßen der Statue des Gottimperators abgestellt hatte, hatte sich die Kathedrale bereits mit den anderen Novizen und anwesenden Assassinen gefüllt. Meister Madison kam nun ruhig schreitend und Ruhe gebietend herein, ging um die kniende Thalaya herum und nahm die Schale mit dem frischen Blut an sich.

„Dieses Blut ist schweigend vergossen und schweigend dargebracht worden. Thalaya gab es aus freien Stücken am heutigen Tage.“

Mit diesen Worten entleerte er die Schale über einem rituellen Feuer.

„Ihr Leben liegt in Deiner Hand. Sie bittet Dich, das Opfer anzunehmen, so dass dieses Blut Deiner Dienerin das Einzige ist, was am heutigen Tage in diesen Hallen vergossen wird. Du hast sie zu uns geführt. Wir bitten Dich, leite sie!“

Und alle Assassinen und Novizen stimmten mit ein.

„Leite sie!“

Es war ein vielstimmiger Chor und es klang so majestätisch. Mit diesen Worten erhob sich Thalaya und stimmte in ihrem glockenhellen Sopran einen alten Choral an. Die anderen hatten sich ebenfalls erhoben, lauschten den Worten und dem Gesang. Als Thalaya geendet hatte, blickte sie in die Augen ihres Mentors, der nickte kurz, woraufhin sich Thalaya leicht verneigte und aus der Kathedrale lief.

Es war eine besonders verzierte Tür. Die Bilder strahlten die Kraft eines Kampfes aus, die Freude über den Triumph, aber auch die Qual und die Pein über die Niederlage. Das alles wartete hinter der Tür. Einen Moment blieb Thalaya zögernd vor der Tür stehen doch dann drückte sie sie auf. Der Gang dahinter war dunkel, doch in dem Moment, da sich die Türen öffneten und sie einen Schritt hineintrat, flammte Licht auf. Im gleichen Augenblick schloss sich die Tür. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie hatte die Prüfung begonnen und entweder sie siegte jetzt, besiegte alle Gegner, überwand alle Hindernisse oder aber sie versagte und starb. Sie hatte hart für diesen Tag trainiert. Jetzt galt es.

So ging sie langsam den Gang entlang. Direkt vor ihr bemerkte sie, dass eine Platte anders aussah. Der Fußboden des Gangs war aus einem dunklen Stein, kein Metall, und sah daher immer wieder anders aus, nicht so gleichmäßig, wie es Metall zu tun pflegte. Aber diese Bodenplatte war anders. Thalaya versuchte krampfhaft herauszufinden, warum ihr die Platte aufgefallen war. Dann wurde ihr bewusst, dass die Platte größer war und auch etwas erhöht. Ein Trittschalter, vermutlich eine Falle oder der Auslöser einer Alarmanlage. Nun, das fing schon gut an. Sie betrachtete diesen Schalter, er war lang. Würde sie einen Sprung darüber schaffen? Schwierig abzuschätzen, die Decke war für einen ordentlichen Sprung auch recht tief. Sie wollte es lieber nicht riskieren. Und die Wände? Sie waren mehr als auf Armes Breite auseinander. Sie versuchte sich dazwischen zu klemmen. Ja, das würde gehen. Noch einmal tief durchatmen und los ging es. Zentimeter um Zentimeter ging es vorwärts. Es war anstrengend. Und es war pure Erleichterung, als sie endlich über die Platte hinüber war. Eine kurze Pause, mehr gönnte sich Thalaya nicht. Dann ging es weiter. Wo sollte sie langgehen? Sie hatte vier Türen zur Auswahl. Labyrinthe. Rechts! Immer weiter. Ein großer Raum. Schmucklos.Aauf der anderen Seite war eine Tür zu sehen. Thalaya war sich sicher, dass dieser Raum nicht einfach so da war. Sie trat ein, langsam, vorsichtig, auf alles gefasst. Und dann war da dieses leichte, leise Surren. Blitzschnell drehte sie sich um und sah noch rechtzeitig, wie ein Mann in der Uniform eines ihrer Brüder sich aus dem Gurt befreite und auf sie losging. Thalaya kassierte einen Schlag.

Verdammt, sie meinten das echt ernst mit dem, entweder man bestand oder kam bei dem Versuch um. Aber im waffenlosen Kampf war sie seit 8 Jahren trainiert worden. Und ihr Gegner hatte nicht einmal eine Waffe dabei. Das sollte doch zu machen sein. Schnell nahm sie eine Kampfposition ein, doch auf dem Weg dahin musste sie noch einen weiteren empfindlichen Treffer hinnehmen. Nach Luft schnappend wehrte sie aber den nächsten Schlag ab und machte dann kurzen Prozess. Man hatte ihr gesagt, sie solle nicht töten, außer wenn es unbedingt nötig war. Als ihr Gegner nun am Boden lag und sie ihn eisern auf diesem festpinnte, bat er um Gnade, sie ließ ihn los, jederzeit darauf gefasst, er könne von neuem angreifen, doch stattdessen verneigte er sich und ließ Thalaya ziehen. Die Tür gegenüber öffnete sich mit einem vernehmlichen Klick und schwang von selbst auf. Dahinter lagen wieder Gänge und Türen.

Weiter ging es, sich immer rechts haltend. Auch von Sackgassen ließ sie sich nicht abschrecken. Weitere Kämpfe. Zwei gegen einen, fünf gegen einen. Dann Gegner mit Waffen, einer, mehrere. Thalaya siegte, wenn auch nicht unverletzt.

Der letzte Kampf, sie sah schon die Tür, die sie zurück in den Tempel führte, war der Schwerste. Mittlerweile hatte sich Thalaya auf ihrem Weg durch das Labyrinth ein Schwert und ein Kampfmesser besorgt. Sie hatte es ihren Gegnern abgenommen, die sie bereits besiegt hatte. Aber ganz ohne Spuren und Blessuren war auch das nicht an ihr vorüber gegangen. Und sie war, im Gegensatz zu ihrem letzten Gegner, angeschlagen und erschöpft. Würde das den Ausschlag geben, dass sie verlor, versagte?

Der Kampf war hart und beide Seiten standen sich in nichts nach. Klingen trafen und schnitten in Fleisch, Blut floss. Aber keiner gab auf. Den Schmerz spürten beide nicht. Unerbittlich machten sie weiter, bis schließlich Thalayas Konkurrent zu Boden ging. Noch immer in dem Bewusstsein, nur dann zu töten, wenn es unvermeidlich war, trat sie einen Schritt zurück und wollte ihm sein Leben lassen. Doch diese Schwäche nutzte er erbarmungslos aus. Er attackierte von neuem und stach sein Kampfmesser in Thalayas Oberschenkel. Jetzt, mit dieser schweren Verwundung, verwandelte sich der Schmerz des Kampfes und der Prüfung in Hass. Sie schlug nun ebenfalls zu und gab sich erst zufrieden, als sie seinen Kopf von seinen Schultern getrennt hatte. Diesen nahm sie an sich, humpelte zur Tür, öffnete diese und beendete die Prüfung. Ihre Brüder und Schwestern erwarteten sie bereits und bejubelten ihren Triumph. Meister Madison nickte ihr zu.

„Willkommen zu Hause, Assassine Thalaya Schattenklinge.“

Mit dieser einfachen Formel war die Weiheprüfung beendet. Der Abschluss würde am nächsten Tag stattfinden, doch jetzt galt es erstmal, Thalaya wieder zusammenzuflicken.

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