Rotation der Kreise

Skizze zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von blauefrau

"Es gibt hier nichts zu essen", rief die alte Frau und nahm mit den Händen die Kartoffeln aus dem Schweineeimer. Ich brachte der Schwester einen Lappen, mit dem sie ihr die Hände wusch. Die Frau roch muffig. Sie hatte über ihren ausufernden Körperformen einen dunklen verkleckerten Trägerrock an und trug ihre grauen Haare kurzgeschnitten. " Frau Musikprofessor, jetzt gehn Sie mal am besten aufs Zimmer", trug die Schwester ihr auf. Ich begleitete sie dabei. Dann betrat ich den Raum und nahm wahr, wie Zwerge sich beharkten. Zahnlos die eine, fast zahnlos die andere, beide mit gelber Hautfarbe und zerknitterten Ledergesichtern wie Gnome, die in ihren dreisten Kreisen gelegentlich auf die Kreise der anderen stießen, sich aber tatsächlich nicht berühren lassen wollten. Die memory-Karten, die ich auf die Wachstuchdecke ausgebreitet hatte, nahmen sie immer wieder hoch und legten sie gerissen so, dass die anderen sie nicht zuordnen konnten. Während die eine in ihrem Kreis fiel, wurde ich bestimmt, ihre Zunge nach hinten zu drücken, und sie überlebte. Aus ihrer Hohlheit heraus hörte ich stundenlang von ihr nichts mehr, nur ein Rauschen machte sich in meinen Ohren breit. Kreis zwei der Frau mit dem Gehirntumor berührte mich, sie, wirr um sich blickend, rief nach ihrem Kind, das bei ihrem Mann war. Ich hörte die Gelbgesichtigen lachen und die Tumorkranke singen, als man mir in meinem vorübergehenden Bett Beruhigungstee einflößte. Ich erörterte laut die Argumente des Mannes, der seine Frau in das Heim gegeben hatte, ohne es mit ihr zu versuchen, und roch dabei Sauce aus dem Schweineeimer. Tagelang verweigerte ich das Essen und schämte mich, jenes Haus verlassen zu haben, ohne noch einen Blick auf die Frauen zu werfen.

Anmerkung von blauefrau:

Frauenpsychiatrie in den siebzigerJahren

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Kommentare zu diesem Text

MarieM (55)
(08.12.12)

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princess (08.12.12)

Störe meine Kreise nicht hat schon Archimedes gesagt.

Schwere Kost, dein Text. Zugleich abstoßend, erhellend und absolut lesenswert.

Liebe Grüße, Ira

AchterZwerg (65)
(08.12.12)

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