Sicher ist dies kein Gemäldethema für die heimelige Atmosphäre eines Wohnzimmers. Oder erst recht? Hiob ist zum Symbol geworden, sind doch in der Gestalt des Hiob alle schlimmen Hiobsbotschaften der Menschheit vereinigt: grenzenloses Verlassensein, bedrückende Angst, unvermutet hereinbrechendes Unheil, grauenvoller und erbarmungsloser Tod. Von Hiob, so scheint es, hat sich sogar Gott abgewandt, er versagt ihm offensichtlich seinen Segen.
Die Hiobsbotschaft lautet obendrein: All das trifft auch den unschuldigen Menschen, denjenigen, der sich ein Leben lang an Gott gehalten hat und sich keines Unrechts bewusst ist. Der Zusammenhang zwischen Leid und schuldhaftem Verhalten ist durchbrochen. Leid ist nicht Folge eines sündhaften Lebens
Hiob zu malen heißt, seiner eigenen Hilflosigkeit und seinem Fragen nach dem Warum Gestalt zu geben. Der Grund einer solchen Frage muss nicht zwangsläufig ein großes äußeres Leid, eine schwerwiegende Not oder Krankheit sein, es kann auch die Frage nach dem Sinn eines Lebens sein angesichts von menschlicher Schwäche und Fehlerhaftigkeit. Bin ich darum nicht auch ein Hiob?
Es ist ein erstaunlich helles Porträt eines Mannes mit kahlem Kopf und nacktem Oberkörper. Dieses Helle trotz des dunklen Themas fesselt mich. Mit Weiß wurden die blauen und grünen Farben gebrochen und auf die Leinwand hingetupft. Hiobs Haut wirkt dadurch trocken und schrundig. Nur beiläufig nehme ich die roten Flecken auf Hiobs Oberkörper und Arm wahr. Kurze schwarze Ölkreidestriche setzen Betonungen. Die Konturen werden nur angedeutet, plastisch wird das Bild allein durch seine Farbgebung.
„Und er sagte: ‚Nackt bin ich aus meiner Mutter Leib gekommen, und nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben und der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!“
So lesen wir es im biblischen Text.
Nichts hat Hiob zu geben, mit nichts ist der Mensch in die Welt gekommen, alles, was er besaß, war geliehen, und was ihm wertvoll erschien, ist ihm wieder genommen. So sitzt er vor uns, ja eigentlich auch vor Gott in seiner ganzen Armseligkeit.
Grüne Schatten verfärben seine linke Gesichtshälfte. Tiefliegende, dunkelblaue, mit flüchtigen Kohlestrichen leicht markierte Augenhöhlen deuten den Kummer an, den Hiob durchlitt. Eine markante, lange knochige Nase, volle, leicht geöffnete Lippen, als ob das letzte Wort gerade erst oder noch nicht gesprochen sei, lassen vermuten, dass jemand Modell gesessen hat. Wer gab Hiob sein Gesicht? Der Künstler selber?
Er hat den Kopf leicht nach oben gerichtet, fragend. Das Warum steht ihm ins Antlitz geschrieben. Ein Warum zwischen Frage und Ergebenheit, zwischen Auflehnung und Gelassenheit. Er schreit nicht, er fragt.
Sehr viel helles Blau umgibt ihn. Das wirkt auf mich friedlich wie ein See, wie die Wolken, wie der Himmel. Die Not wird vom Frieden benetzt, in den Himmel eingetaucht, die Wunden am nackten Oberkörper gekühlt und dem Himmel ungeschminkt und offen, unbekleidet dargeboten. Das Gesicht hat Hiob nicht vergraben, sondern nach oben gewendet. Seine Augen sind geöffnet: „Hier bin ich, Herr! Gib du mir Antwort. Ich richte mein Ohr auf dich aus. Ich will hören und schweigen“.
Hiobs Gestalt verdeckt eine dunkelblaue rechtwinklige Öffnung, als ob es die offene Haustür sei. Oder ist es die Dunkelheit seines Lebens, die ihm in den Rücken gefallen ist? Davon abgehoben erscheint die weitere Umgebung wie eine helle Hauswand. Sie ist wenig strukturiert. Die Flecken, die Unruhe trägt Hiob nur auf seinem eigenen Körper. Der Hintergrund, in welcher Farbe auch immer, ist dagegen starr. Von dort hat er sich abgewandt.
Er ist kein dunkler, gekrümmter, zusammengekauerter Hiob, kein herzzerreißend pathetisch klagender Mann, kein grübelnder Zweifler, der sich in die Dunkelheiten seiner Gedanken bettet oder sich in sein Leid vergräbt, sondern ein heller, demütig offener Mensch, der trotz aller Not die Hoffnung nicht verliert und die Beziehung zu Gott bewahrt, der aufrecht sitzt mit erhobenem Haupt trotz des Dunkels, das sich hinter seinem Rücken unheilvoll aufgebaut hat. Seine Hände ruhen dennoch gelassen auf den Knien - und mit dieser Geste ist das Gemälde zu Ende.
Diesen Hiob mag ich.
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Manfred Luz, Entringen Öl/Kohle 1990 ca. 1 m x 1,50 m