Muschelsalat

Erzählung zum Thema Essen/ Ernährung

von  toltec-head

Ich verbringe diesen Sommer meinen Urlaub auf Sylt. Dank der erstaunlichen Fortschritte der Stammzellenforschung gibt es dort jetzt ein Restaurant, das Salate aus Geschlechtsteilen serviert.  Entweder kann man Muschelsalat oder Tintenfischsalat bestellen oder einen Salatmix aus beidem. Der Andrang ist groß. Die meisten Männer bestellen Muschelsalat, die meisten Frauen den aus Tintenfisch, ich bestelle immer den Mix. Ich kann die anderen Männer aber gut verstehen. Die Tintenfischdinger runter zu bekommen ist nämlich nicht ganz einfach. Zuerst liegen sie labberig und merkwürdig farblos vor einem auf dem Teller, sobald man sie aber in den Mund nimmt, bäumen sie sich auf einmal auf, als wollten sie sich gegen das Verschlungenwerden wehren. Man hat eine höllische Zeit auf ihnen Herumzukauen wie auf einem zähen Steak, bis sie dann irgendwann platzen und im Abgang einen fürchterlichen Geschmack nach altem Fisch hinterlassen.

Der Muschelsalat ist anders. Er schmeckt zwar auch ganz fürchterlich nach altem Fisch, aber man muss nicht stundenlang auf ihm rumkauen. Man braucht für ihn praktisch keine Zähne, er lässt sich beinah schlürfen. Kaum im Mund ist er auch schon wieder weg. Die echten Gourmets gurgeln mit ihm daher vor dem Abgang, um aus ihm das volle Aroma rauszuholen. Oder inhalieren ihn unter zeremoniellem Getue eine Minute oder etwas länger, bevor sie ihn dann tatsächlich schlürfen.

Ich habe viele Frauen gesehen, die sich ihren Tintenfischsalat für Zuhause einpacken ließen. Was sie dann dort mit ihm machen, ist natürlich ihre Sache. Eine alte Schwuchtel sah ich, die wollte gleich nur für Zuhause. Die Frauen haben etwas mehr Scham und picken im Restaurant in ihrem Essen, bevor sie sich die "Reste" einpacken lassen, etwas herum.  Ein anderer Schwuler wollte Arschsalat und beschwerte sich dann, dass dieser nach Muschelsalat schmecke. Ich fragte ihn nach dem Unterschied.

- Arschsalat ist von der Konsistenz etwas fester, erklärte er mir. Er ist nicht so labberig wie der Muschelsalat. Die Fabrikation ist etwas aufwendiger, daher mischen sie immer Muschelsalat unter oder deklarieren diesen einfach um.

Dann seufzte er und sah mir dabei tief in die Augen:

- Es ist aber richtig, dass im Abgang letztlich alles immer gleich schmeckt, auch die Tintenfische. Im Ergebnis ist eben alles Muschelsalat.

Der Appetit war mir ein wenig vergangen und ich blickte mich im Restaurant weiter um. Im Durchschnitt waren die Besucher alle etwas älter. Unter den Männern waren zwar einige jüngere dabei, andererseits auch einige Greise. Die Frauen waren alle so zwischen 40 und 50 und sahen dabei alle viel gieriger als die Männer aus. Gerade machte neben mir eine den Kellner fertig, weil, wie sie sich ausdrückte, ihr Teil schlecht rasiert sei.

- Viele mögen das heutzutage wieder, versuchte sich der Kellner zu entschuldigen.

- Mir kommt gleich das Kotzen, sagte die Frau und tat so als müsse sie kotzen, was wirklich widerlich war, aber ihre Freundin sehr witzig fand.

Den Gesichtern seiner Mitesser beiderlei Geschlechts beim Verzehr zuzusehen zu müssen, ist aber letztlich gleichermaßen grässlich. Zur Ablenkung finden daher kleine Events statt. Als ich da war, gab´s eine Dichterlesung. Eine junge Frau mit Kleid und einem Hut trug einen Jahreszeitenzyklus vor. Nach jeder Jahreszeit kam eine Pause, in der ein bärtiger Mann eine Kleinigkeit auf der Gitarre spielte. Ich machte währenddessen immer die Augen zu, um nicht das fiese Gesicht der alten Lesbe mit wasserstoffblonden Haaren beim Kauen links vorne rechts zu sehen, das mich magisch anzog. Ich glaube, das nächste Mal nehm ich ein Separée. Die gibt´s nämlich auch. Nur leider sind sie immer wochenlang im Voraus ausgebucht.

Die Stammzellenforschung macht indes wirklich erstaunliche Fortschritte. Bald soll es den Salat mit Geschlechtsteilen auch schon in jedem Supermarkt geben. Oder auch als Sushi aus der Kühlhaltebox. Der Fortschritt stellt die Vegetarier so vor ganz neue Fragen. Der Vatikan arbeitet noch an einer Stellungnahme. Tante Käthe soll in den Tintenfischsalat, Franziskus aber in den Muschelsalat vernarrt sein. Es ist eben nichts wie es einmal war: die Religion, das Essen und auch Kafkas "Hungerkünstler" erscheint in einem ganz neuen Licht. Ich aber stelle mich darauf ein, künftig ohne Essen, ohne Religion und auch ohne Literatur auszukommen. Zu sterben, ganz ohne einen Rest zu hinterlassen - was ein Traum.

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(08.08.13)
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 toltec-head meinte dazu am 08.08.13:
Das freut mich. Welchen Salat hättest du denn bestellt?
(Antwort korrigiert am 08.08.2013)
janna (66) antwortete darauf am 08.08.13:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 08.08.13:
Da arbeite ich auch schon seit langer Zeit dran.
eilika (33)
(08.08.13)
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 toltec-head äußerte darauf am 08.08.13:
Für manche bleibt nur Formtofu. Danke.

 Lluviagata (08.08.13)
[Man braucht für ihn praktisch keine Zähne, er lässt sich beinah schlürfen.]

Ich hörte, dass die Prozentzahl Zahnloser auf Sylt drastisch angestiegen ist, seit Ossis da arbeiten. ;)

Liebe Grüße
Llu ♥

 toltec-head ergänzte dazu am 08.08.13:
Haben Ossis keine Zähne? Nun mach mal halblang.

 Lluviagata meinte dazu am 08.08.13:
Ähhhnee doch! :D Ossis haben noch mit 56 fast alle eigenen Zähne! :P
Ich meinte lediglich, dass mehr Leute ohne Zähne kommen, seit Ossis nicht nur im Fischrestorang bedienen. Vorsichtig ausgedrückt. :D

 toltec-head meinte dazu am 08.08.13:
Woran liegt das deiner Meinung nach mit den Zähnen mit den Ossis? Gibt´s dazu eine Theorie? Klingt interessant.

 Lluviagata meinte dazu am 08.08.13:
Ich sag nur - Bonusheft. ;)
GabrielSiegmann (35)
(08.08.13)
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 toltec-head meinte dazu am 08.08.13:
Du hast es aber auch mit anschwellenden Bocksgesängen und so. Wann startet unser Traumprojekt?
GabrielSiegmann (35) meinte dazu am 09.08.13:
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 Songline (08.08.13)
Na, bevor du nichts hinterlässt, pack mir doch mal bitte hiervon den Rest ein
Liebe Grüße
Song
janna (66) meinte dazu am 08.08.13:
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 toltec-head meinte dazu am 08.08.13:
Komm her, hast dein Doggy-Bag dabei? Kannst die Sachen dann morgen als Hasenbrot, so nannte mein Opa das, essen. Aber nicht zu lange warten. Irgendwann wird´s nämlich wirklich slimy.

 Lluviagata meinte dazu am 08.08.13:
Iks.

 SapphoSonne (08.08.13)
Provokant gut geschrieben. :)
Wenn auch bisweilen etwas eklig. *schüttel*
LG Sappho

PS.: Die meisten Ossis haben ihre Zähne noch.

 toltec-head meinte dazu am 08.08.13:
Wir Wessis sind von den Chem-Trails der CIA verseucht. Meine Vermieterin in Konstzanz hatte also doch Recht.

 SapphoSonne meinte dazu am 08.08.13:
Dafür leuchten wir ja durch die Wolke von 1986. :)

 Lluviagata meinte dazu am 08.08.13:
Dann schau nur mal in die Sächsische Schweiz, toltec-head, wo bis in die Neunzigerjahre Uran abgebaut wurde.
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