Nur die totale Verschwulung der Welt kann uns noch retten.01

Experimenteller Text zum Thema Menschheitsdämmerung

von  toltec-head

1. Der_Professor 24.Oct.2012 - 03:14

Joachim Helfer, Die Verschwulung der Welt, ist ein Buch aus dem Suhrkamp Verlag, das ich vor kurzem auf dem Krabbeltisch fand.

Verschiedene, vor allem Berliner Kulturinstitutionen tun sich zusammen und geben das Geld, damit sich deutsche und islamische Schrifsteller begegnen können. Es soll der Annäherung der unterschiedlichen Kulturen dienen. Erst wird ein Moslem für sechs Wochen nach Deutschland geholt, wo er mit seinem europäischen Kollegen, den er vorher nicht kannte, einiges unternehmen soll. Im Anschluss begleitet der Deutsche ihn für drei Wochen in seine Heimat. Die beiden sind verpflichtet, nachher einen gemeinsamen Text als Art Rechenschaftsbericht abzuliefern.

In diesem Fall wurde ein christlicher Araber aus Beirut ausgesucht, Rashid al-Daif, damals, 2005, etwa 60. Man hört von ihm, seine Werke, kaum ins Deutsche, aber reichlich ins Französische übersetzt, würden immer wieder um Geschlechterrollenthematik kreisen. Al-Daif kommt aus einem Land, wo die Männer noch richtige Männer und die Schwulen verpönt sind, die Frauen traditionelle Frauenrollen zu erfüllen haben, was sie aber, wie Helfer berichtet, schon auch nabelfrei und nach Pariser Chic aufgebrezelt tun können. Auch eine halbwegs offene Schwulen- und Lesbenszene gebe es in Beirut. Allerdings hat sich al-Daif vorher nie um die gekümmert.

Al-Daif meint, das eigentliche Feld, dieses angeblichen Kampfes der Kulturen zwischen Islam und westlicher Welt sei das Bett. Nämlich die Frage, was moralisch ist und was nicht, insbesondere in Fragen des Verhaltens der Geschlechter und beim Sex. Man hatte anscheinend eine Weile gesucht, bis man endlich einen Deutschen hatte, der passte und mitmachen wollte. Das war aber ein Schwuler und man hat deswegen al-Daif eindringlich vorgewarnt. Bzw. man wollte vorher testen, ob er Trouble machen würde, wenn er Zeit mit einem Schwulen zu verbringen hat. Al-Daif sagt, ihm sei das komisch vorgekommen, dass man ihm das so demonstrativ vorher vorgetragen habe. Schließlich sei es die Privatsache seines deutschen Kollegen und eigentlich hätte man das gar nicht sagen brauchen.

Helfer ist zu der Zeit etwa 20 Jahre jünger, knapp vierzig. Das Buch, das es von den beiden nun gibt, ist eine Art abwechselnder, öffentlicher Vortrag, wo die beiden in recht normaler Sprache leicht lesbar erzählen, was sie zusammen erlebt und dabei gedacht haben.

Von Joachim Helfer habe ich vor zehn Jahren mal zwei Bücher gelesen, die ich ziemlich mochte, allerdings können sie mich nicht ungeheuer beeindruckt haben, denn ich kann mich nicht mehr erinnern, was drinstand. Helfer war damals schon Suhrkamp-Autor und das wunderte mich einigermaßen. Dass ein so junger Autor, der schwul ist und dessen Bücher schwule Themen behandeln, die Gelegenheit zum Suhrkamp Taschenbuch erhält. Ich weiß, es gibt da noch den Österreicher Josef Winkler, mittlerweile Büchner-Preisträger, den ich zwar immer mal probelesen wollte, wozu ich aber nie kam. Ansonsten kenne ich den Suhrkamp Verlag aber nicht als nennenswerte Adresse für schwule Autoren. Es mutete etwas seltsam an, dass ausgerechnet dieser Helfer geschafft hatte, in Vertriebskanäle zu kommen, wo schwule Romane mit einem Mal von Wochenzeitungen, Radiosendern, den größten Tageszeitungen der Republik beachtet und ernst genommen werden, was doch anderen, auch nicht ganz schwachen Schwulenschreibern deutscher Zunge wie Meyer, Foelske, Kröhnke eher versagt geblieben ist, um von solchen wie Lutz Büge, Michael Sollorz, Andreas Marber gar nicht erst anzufangen. Es muss, dachte ich seinerzeit, irgendwie literarischer Schwurbel sein und etwa so unerträglich schwul wie Manfred Bruns. Ich kann jetzt nichts mehr über die Helfer-Romane erzählen, aber ich weiß noch, es war nicht wie erwartet, ich war angenehm überrascht. (Um die berühmten strunzgeilen Bücher handelte es sich natürlich nicht. Ist klar.)

Rashid al-Daif über sich: "Ich achte ständig sehr darauf, eine Distanz zum Verhalten, zu den Begrifflichkeiten und den Ideologien der Gesellschaft zu bewahren, der ich angehöre, und stelle die Überzeugungen meiner Mitmenschen, selbst meine eigenen, permanent auf den Prüfstand."

Okay. Da hat er die erste Frage in unserem Vorstellungsgespräch für die Position "Schriftsteller" schon mal hervorragend beantwortet.

Joachim Helfer über sich: "Ich weiß aber auch, dass meine persönliche Vorliebe für solche Umarmungen, die wohl ein vertauschbares faktisches, jedoch gerade kein festgelegtes Oben und Unten kennen, durchaus nicht typisch homosexuell sind."

Will wohl sagen, Joachim ist mehr für Blümchensex als für SM, Joachim ist nicht für Mädel-Mann-Sex unter Schwulen und auch nicht für die Lederszene. Joachim ist richtig nett und normal. Das wollen wir ihm aber nicht zum Vorwurf machen.

Ich habe dieses Buch jetzt gerade erst angefangen und möchte, während ich es weiter lese, in nächster Zeit noch mehrere Eintragungen in diesem Thread machen, die zeigen sollen, welche Einschätzung ich nach und nach von dem Buch gewinne.

Momentan steht es so: Es liest sich nicht übel und nicht uninteressant. Laut Vorspruch erreichen die beiden noch ganz intime und offenherzige Einsichten in Helfers Privatleben. Sein schwules. Da bin ich gespannt.

Bis jetzt las ich, dass al-Daif in Berlin befremdet war, dass, wenn man eine deutsche Teenager-Schulklasse auf Besichtigungstour sieht, es schwieig ist, die Mädchen von den Knaben zu unterscheiden. Helfer ergänzt, al-Daif habe natürlich nicht wissen können, das die typische Berliner Schulklasse von Immigrantenkindern dominiert sei und die Geschlechterunterschiede da ähnlich betont würden wie in Beirut. Was sie gesehen hätten, seien Touris aus Westdeutschland gewesen.

Und das Buch heißt zwar "Die Verschwulung der Welt", mich beschleicht aber jetzt schon die Vorahnung, dass es letztlich nicht wirklich um Schwule gehen wird. Sondern wohl eher, dass die Schwulen irgendwie das Vorbild für Heterosexuelle sein könnten und die Zukunft der Menschheit vorwegnehmen.

So was mag ich mittlerweile aber eigentlich nicht mehr hören. Denn die Heteros können nie schwul werden, weil sie es einfach nicht sind. Und es wäre ja dann auch falsch, wenn sie es würden. Man kann ja nicht mal die ganzen Europäer zu Amerikanern machen. Und es brächte wohl auch wenig, die ganzen Skinheads zu Schubert-Quartett-Hörern zu machen. (Siehe Kubricks "Clockwork Orange".) Es ginge wohl eher darum, die Schwulen schwul zu machen. Also alle, die lieber hetero wären. Aber ich glaube nicht, dass Helfer und al-Daif sich darüber unterhalten werden.

2. -THUNDERBOLT- 24.Oct.2012 - 10:08 

Mit den Romanen von Helfer ging´s mir wie Dir. Hab sie an sich gern gelesen. Der Mann kann schreiben. Außerdem sind sie eingebettet in die selbe Taunuskulisse, vor der sich auch meine Kindheit und Jugend abgespielt hat. Aber ich fand sie dann andererseits doch ein bisschen fad, so schwulo-normal halt.

Wenn Du dich erinnerst, es geht in den Romanen immer auch um die Affäre des jungen Ich-Erzählers mit einem sehr viel älterem sehr reichem Mann, einem Galleristen aus Frankfurt oder so. Aus den Tagebüchern von Raddatz lernte ich, dass das alles einen realen Background bei Helfer hat. Und wenn Du auf seine Homepage gehst, siehst Du, dass er, wie man heute so schön sagt, "verheiratet" ist und sogar adoptierte Kinder mit diesem Mann hat. Bei Raddatz steht auch, dass er aufgehört hat, Romane zu schreiben, weil die Verkaufszahlen trotz Kritikerlob zu deprimierend waren. Er führt jetzt so eine Art Hausfrauendasein. Irgendwie ist meine eigene Ökonomie des schwulen Begehrens wohl doch ganz anders strukturiert als die seine. Was also erklärt, warum ich nie richtig warm mit ihm wurde :)

"Verschwulung der Welt" ist übrigens ein Fichte-Zitat. Ich glaube aber, Fichte meinte das ganz anders als Helfer. Helfer sieht die schwule Ehe wohl als großen Fortschritt an, der vielleicht auch Heteros helfen kann, ihre Geschlechterrollen zu überdenken. Die schwulen Institutionen, um die es Fichte ging, waren aber nicht "schwule Ehe", sondern "Bahnhofsstrich", "Sauna" und "Büsche im Park". Für jemanden wie Fichte war klar, dass Ehe, egal ob hetero oder homo, von der Struktur her dem Eigentum ähnelt. Und Eigentum ist das, was die Welt kaputt gemacht hat. Nur solche Strukturen können uns retten, die dem Eigentum entgegengesetzt sind. Und eine solche Strukur ist nach Fichte beim schwulen Cruising am Gange. Deshalb meinte er, nur die totale Verschwulung könne uns noch retten. Sein Denken kommt von der Toilette her. Der Glückliche. Kannte noch kein Gay-Romeo.

Gay-Romeo. Hier müsste man ansetzen und Fichtes Diktum ("Nur die totale Verschwulung der Welt kann uns noch retten") doch noch einmal kritisch überdenken. Glaub nicht, dass Helfer uns da sehr hilfreich sein kann.

3. schibboleth  24.Oct.2012 - 14:33

Die Verschwulung der Welt interessiert mich nicht die Bohne. l

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Kommentare zu diesem Text

parkfüralteprofs (57)
(22.09.13)
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 toltec-head meinte dazu am 22.09.13:
Freitag als ich vom Schwarzen Meer zurück kam, hab ich zum erstem Mal Angie gesehen. Live auf dem Opernplatz hier in Hannover. Erzählte von ihrer besonderen Beziehung zur Stadt, weil sie einen Patenpinguin hier hat. Heißt Helmut. Kein Witz. Ich denk Thunder meint das bestimmt ein bissel anders mit den eigentumsanalogen Strukturen der Ehe. Dass du dir einen anderen zum Eigentum machst. Das ist gemeint. Und dann mit Ausschließlichkeitsfunktion. Alle anderen dürfen nicht mehr ran. Und du ziehst mehr Genuss aus dem Ausschluss der anderen als an dem Haben selbst. Wie beim Eigentum eben. Immer cool bleiben, Kanzlerin wählen. Um mich herum lauter schniecke Junge Union Fritzen mit Plakaten, wo das drauf stand. Es regnete. Ich musste zum Telekom Laden, weil ich im Urlaub 3X falsch meine Geheimzahl auf dem Handy eingetippt hatte. Wen ich bloß gleich wählen soll?
parkfüralteprofs (57) antwortete darauf am 22.09.13:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 24.09.13:
Juristisch gibt´s ja den schönen Terminus des Beischlafdiebstahls. Er ist wohl zwar etwas aus der Mode gekommen, aber bringt das Gemeinte, also die Eigentumsstruktur der Ehe, bestens zum Ausdruck. "Die Geschichte der O" stand bei meinen Eltern im Bücherschrank. Hab´s nie geschafft da reinzuschauen. Inwiefern ist es denn nun besser als "Shades of Gray"?
parkfüralteprofs (57) äußerte darauf am 29.09.13:
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