Emanzipation vor 130 Jahren
Erzählung zum Thema Emanzipation
von Sanchina
Die Meisterin schaute von ihrer Arbeit auf und sah, dass ihre Mädchen keineswegs mit sittsam gebeugten Köpfen über ihren Näharbeiten saßen. Ihre Aufmerksamkeit war vielmehr auf eine Spieluhr gerichtet, die mitten auf dem Tisch stand.
Die Meisterin hatte so konzentriert an einem schwierigen Plissee-Stück gearbeitet, dass sie die blechern scheppernde Melodie der Spieluhr überhört hatte.
"Meine Damen!" rief sie nun mahnend und erhob sich. "Darf ich fragen, was das da ist?"
Die beiden Spielfiguren - eine Plastikdame im Ballkleid und ein Plastikherr im Frack - beendeten soeben ihren Tanz. Die Spieluhr ließ nur noch ein kleines Klingeln ertönen, dann stand sie still.
Die Meisterin nahm die Spieluhr an sich und betrachtete sie missbilligend. Einige der Mädchen kicherten.
"Ich will jetzt sofort wissen, was hier los ist!" forderte die Meisterin mit strenger Miene. Sie hielt die Spieluhr immer noch in der Hand. Dann schaute sie Florentine, die nie den Mund halten konnte, ins Gesicht.
"Marlene hat einen Verehrer", flüsterte Florentine.
"So? Und was hat das mit diesem - diesem Ding da - zu tun?" wollte die Meisterin nun wissen. "Wem gehört das?"
"Mir", antwortete Marlene vorsichtshalber selbst. Eines der Mädchen würde ja andernfalls doch petzen. Und schon fügte Florentine hinzu: "Der Verehrer hat es ihr geschenkt."
Daraufhin versenkte die Meisterin die Spieluhr in ihrer großen Schürzentasche und sagte zu Marlene: "Ich fürchte, ich muss ihre verehrte Frau Mutter sprechen."
Der Modesalon der Meisterin galt als beste Ausbildungsstätte für Damenschneiderei. Der Ruf der Meisterin war unangefochten. Von weither reisten die Damen der Gesellschaft an, um hier ihre Garderobe anfertigen zu lassen. Die teuren Kleider wurden von den zahlreichen Lehrmädchen genäht, aber das wusste keine Kundin, denn diese bezahlten schließlich für Meisterarbeit.
Die beiden Gesellinnen waren für die Zuschneidearbeiten zuständig. Die Lehrmädchen bekamen dann die zugeschnittenen Stoffteile, die sie - und zwar akkurat! - zusammen nähen mussten.
Wenn die Meisterin eine Frau Mutter zu sprechen wünschte, dann nie, um sich lobend und wohlgefällig über das Fräulein Tochter zu äußern, sondern stets war das Gegenteil der Fall. In entsprechender Gemütsverfassung - blass und zitternd - erschienen dann die Damen Mütter, immer bereit, alles zu tun, um die hochverehrte Frau Meisterin zufrieden zu stellen.
Nicht so Marlenes Mutter, die eine selbstbewusste, fast kämpferische Person war. Die Meisterin fragte sich bei ihrem Anblick schon zum zigsten Mal, warum sie die Tochter dieses drallen, nicht im Mindesten modebewussten, Weibstücks in ihre Werkstatt aufgenommen hatte.
Sie reichte Marlenes Mutter die konfiszierte Spieluhr und sprach: "dieses Ding da hat ihr Fräulein Tochter von einem Verehrer geschenkt bekommen! Damit nicht genug! Sie hat es mitten auf dem Arbeitstisch abspielen lassen und damit alle Mädchen von ihrer Arbeit abgelenkt!"
Marlenes Mutter nahm die Spieluhr in die Hand, betrachtete sie fast versonnen und bemerkte dann ganz lapidar: "wie nett!"
"Nett?" entfuhr es der Meisterin, "und wer ist dieser ominöse Verehrer?""
Doch Marlenes Mutter stellte sich schützend vor ihre Tochter und behauptete: "diese Spieluhr gehört mir!"
Selbstverständlich konnte die Meisterin erahnen, dass dies nicht die Wahrheit war, aber sie konnte Marlenes Mutter auch nicht daran hindern, die Spieluhr in ihre geräumige Handtasche zu stecken.
"Bitte wirken sie auf ihre Tochter dahingehend ein, dass so etwas nie wieder vorkommt!" verlangte die Meisterin fast kleinlaut.
"Selbstverständlich!" willigte Marlenes Mutter - zuckersüß lächelnd - ein. Dann stand sie auf. Zum Entsetzen der Meisterin trug sie ein sogenanntes Waschkleid aus recht billigem Leinen, das ihr nur bis zu den Waden reichte, dazu ein Paar braune, fest geschnürte Lederschuhe.
Die Meisterin rang um ihre Fassung und sprach dann - schon wieder selbstbewusster -: "Ich hoffe doch, dass ihr Fräulein Tochter seine Lehrstelle nicht weiter gefährden wird!"
Die Meisterin hatte so konzentriert an einem schwierigen Plissee-Stück gearbeitet, dass sie die blechern scheppernde Melodie der Spieluhr überhört hatte.
"Meine Damen!" rief sie nun mahnend und erhob sich. "Darf ich fragen, was das da ist?"
Die beiden Spielfiguren - eine Plastikdame im Ballkleid und ein Plastikherr im Frack - beendeten soeben ihren Tanz. Die Spieluhr ließ nur noch ein kleines Klingeln ertönen, dann stand sie still.
Die Meisterin nahm die Spieluhr an sich und betrachtete sie missbilligend. Einige der Mädchen kicherten.
"Ich will jetzt sofort wissen, was hier los ist!" forderte die Meisterin mit strenger Miene. Sie hielt die Spieluhr immer noch in der Hand. Dann schaute sie Florentine, die nie den Mund halten konnte, ins Gesicht.
"Marlene hat einen Verehrer", flüsterte Florentine.
"So? Und was hat das mit diesem - diesem Ding da - zu tun?" wollte die Meisterin nun wissen. "Wem gehört das?"
"Mir", antwortete Marlene vorsichtshalber selbst. Eines der Mädchen würde ja andernfalls doch petzen. Und schon fügte Florentine hinzu: "Der Verehrer hat es ihr geschenkt."
Daraufhin versenkte die Meisterin die Spieluhr in ihrer großen Schürzentasche und sagte zu Marlene: "Ich fürchte, ich muss ihre verehrte Frau Mutter sprechen."
Der Modesalon der Meisterin galt als beste Ausbildungsstätte für Damenschneiderei. Der Ruf der Meisterin war unangefochten. Von weither reisten die Damen der Gesellschaft an, um hier ihre Garderobe anfertigen zu lassen. Die teuren Kleider wurden von den zahlreichen Lehrmädchen genäht, aber das wusste keine Kundin, denn diese bezahlten schließlich für Meisterarbeit.
Die beiden Gesellinnen waren für die Zuschneidearbeiten zuständig. Die Lehrmädchen bekamen dann die zugeschnittenen Stoffteile, die sie - und zwar akkurat! - zusammen nähen mussten.
Wenn die Meisterin eine Frau Mutter zu sprechen wünschte, dann nie, um sich lobend und wohlgefällig über das Fräulein Tochter zu äußern, sondern stets war das Gegenteil der Fall. In entsprechender Gemütsverfassung - blass und zitternd - erschienen dann die Damen Mütter, immer bereit, alles zu tun, um die hochverehrte Frau Meisterin zufrieden zu stellen.
Nicht so Marlenes Mutter, die eine selbstbewusste, fast kämpferische Person war. Die Meisterin fragte sich bei ihrem Anblick schon zum zigsten Mal, warum sie die Tochter dieses drallen, nicht im Mindesten modebewussten, Weibstücks in ihre Werkstatt aufgenommen hatte.
Sie reichte Marlenes Mutter die konfiszierte Spieluhr und sprach: "dieses Ding da hat ihr Fräulein Tochter von einem Verehrer geschenkt bekommen! Damit nicht genug! Sie hat es mitten auf dem Arbeitstisch abspielen lassen und damit alle Mädchen von ihrer Arbeit abgelenkt!"
Marlenes Mutter nahm die Spieluhr in die Hand, betrachtete sie fast versonnen und bemerkte dann ganz lapidar: "wie nett!"
"Nett?" entfuhr es der Meisterin, "und wer ist dieser ominöse Verehrer?""
Doch Marlenes Mutter stellte sich schützend vor ihre Tochter und behauptete: "diese Spieluhr gehört mir!"
Selbstverständlich konnte die Meisterin erahnen, dass dies nicht die Wahrheit war, aber sie konnte Marlenes Mutter auch nicht daran hindern, die Spieluhr in ihre geräumige Handtasche zu stecken.
"Bitte wirken sie auf ihre Tochter dahingehend ein, dass so etwas nie wieder vorkommt!" verlangte die Meisterin fast kleinlaut.
"Selbstverständlich!" willigte Marlenes Mutter - zuckersüß lächelnd - ein. Dann stand sie auf. Zum Entsetzen der Meisterin trug sie ein sogenanntes Waschkleid aus recht billigem Leinen, das ihr nur bis zu den Waden reichte, dazu ein Paar braune, fest geschnürte Lederschuhe.
Die Meisterin rang um ihre Fassung und sprach dann - schon wieder selbstbewusster -: "Ich hoffe doch, dass ihr Fräulein Tochter seine Lehrstelle nicht weiter gefährden wird!"