Kugelvampire I

Erzählung zum Thema Vampire

von  Sanchina

Ich ging jeden Tag diesen kleinen Weg entlang, der ortsauswärts zum Wald führt. Noch nie hatte ich bei meinen Spaziergängen so etwas wie Angst empfunden. Ich hatte ja immer meinen Hund dabei. Leviathan, genannt Levi, war ein stattlicher schwarzer Schäferhund, der es verstand, ordentlich für Angst und Schrecken zu sorgen. An jenem Tag hatte ich das unangenehme Gefühl, verfolgt zu werden. Doch Levi trabte neben mir her und gab keinen Laut von sich. Nicht einmal, als es deutlich neben uns  im Gebüsch raschelte und knisterte, interessierte er sich für die Ursache dieses Geräuschs.

Da sah ich die Kreatur: ein undefinierbares Fellknäuel wuselte neben mir her. Es hatte etwa die Form und Größe eines Fußballs und stank so erbärmlich, als käme es geradewegs aus der Klärgrube. Ich stieß das Ding mit dem Fuß an, um es weit in den Wald hinein zu schießen, doch es schien mit dem Erdboden verwachsen zu sein wie ein Baum. Dennoch bewegte es sich fort, immer neben mir her. Levi kümmerte sich überhaupt nicht darum. Das wunderte mich sehr.

Ich zischte „gsch, gsch“ und fuchtelte mit der Hand, um das Biest zu verjagen. Da schnappte es nach mir. Ich zog erschrocken die Hand zurück. Beim nächsten mal erwischte es mich und schlug mir lange, gelblich-weiße Zähne ins Fleisch. Meine Hand blutete stark und Levi begriff endlich, dass das kleine Monster eine Bedrohung darstellte. Er schnappte sich das Geschöpf und fraß es auf.

Am Nachmittag war Levi derart apathisch, dass ich mit ihm zur Tierärztin fuhr. Mein treuer Gefährte starb unterwegs. Die Veterinärin besah sich den Kadaver und war fest davon überzeugt, Levi sei vergiftet worden. Ich erzählte ihr von unserer seltsamen Begegnung im Wald. Achselzuckend meinte sie, Klärschlamm könne durchaus giftig sein. Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben und ging am nächsten Morgen wieder in den Wald, erstmals seit einigen Jahren ohne meinen lieben Levi. Er war erst sechs Jahre alt gewesen.

Wieder wurde es lebendig im Gebüsch, doch ich war mit einem Spaten und einer Axt bewaffnet und trug einen Blecheimer mit. Ich wollte versuchen, so ein Biest einzufangen, um es zur Tierärztin zu bringen. Sie würde sicher wissen, was das war. Auf einmal war ich von ihnen umzingelt. Mindestens zwanzig solcher kugelförmigen Wesen – größere und kleinere – rollten sich vor, hinter und neben mir auf dem Waldweg dahin. Und – oh Wunder – sie konnten sprechen wie Menschen. Wo der große schwarze Hund sei, wollten sie wissen.

„Wer oder was seid ihr?“ schrie ich sie an, aber sie bleckten mir nur ihre langen, gelblich-weißen Zähne. Ich bekam es mit der Angst zu tun und wollte die Flucht ergreifen, doch schaudernd wurde mir klar: ich musste mitten durch sie hindurch, egal, in welcher Richtung. Die schmerzhafte Bisswunde vom Vortag pochte unter dem dicken Verband an meiner Hand. Ich hatte überhaupt keine Lust, noch einmal gebissen zu werden, womöglich ins Bein, so dass ich nicht mehr laufen könnte. Hätte ich doch nur meine hohen Lederstiefel angezogen, dann wäre mir wohler gewesen. Doch es war Sommer, deshalb hatte ich nicht daran gedacht. Wer rechnet auch in einem ortsnahen Wäldchen mit einer ganzen Invasion fremdartiger Wesen?

Ich setzte zum Sprung an und trat eines der Biester, welches zwar jaulte, aber nicht biss. Mein anderes Bein landete sicher auf dem Waldweg außerhalb der kugeligen Rotte. So schnell ich konnte, lief ich weg und gelangte unversehrt nach Hause. Mein Mann sagte: „Schatz, du spinnst!“ Die Tierärztin, die ich noch einmal anrief, zählte eine Reihe von Waldtieren auf, die etwa das Volumen von Fußbällen hatten, aber auf keines traf meine Beschreibung zu. „Kugelfische werden es ja wohl kaum gewesen sein, so fern vom Meer,“ spottete mein ignoranter Mann. Nur der Nachbarsjunge, er elfjährige Olaf, nahm mich ernst und hatte auch eine Idee: Kugelvampire! Er wusste, dass es bei uns im Wald Gnome und Elfen gab – eher freundliche Wesen -, aber eben auch Vampire. Der Friedhof war schließlich nicht weit und eine der alten Damen aus dem Kirchenkaffekränzchen hatte sogar schon einmal einen gesichtet. Seitdem roch es im Gemeindehaus immer penetrant nach Knoblauch.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (22.06.19)
Hallo Sanchina ein spannendes modernes Märchen. Ich nehme an, dass die Kugelvampire noch heute leben und freue mich auf die Fortsetzung.
LG
Ekki

 Regina (22.06.19)
Spannend und gruselig. Schade, dass der schöne Hund gestorben ist. Aber ich freue mich, dass du endlich mal wieder eine Geschichte schreibst.

Kommentar geändert am 22.06.2019 um 22:20 Uhr

 Dieter_Rotmund (23.06.19)
Es ist kein guter Stil, einen Text mit "ich" zu beginnen.

 LotharAtzert meinte dazu am 23.06.19:
Ohne Begründung sind Einwände immer herablassend. Kommt die noch?
Mich würde eher verwundern, daß "mein Mann" zweimal ohne Namensnennung vorkommt. Das reduziert diese doch hoffentlich wunderbare Person etwas zum "Männchen" - wie ich finde. Ansonsten - spannend erzählt, gern gelesen.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 23.06.19:
Ist das nicht offensichtlich?

 Sanchina schrieb daraufhin am 23.06.19:
Dieter, diese nie geschriebene "Regel" galt erstens nur für Briefe und zweitens nur bis ungefähr 1973 und drittens muss ich dich daran erinnern, dass du dich von meinen Texten fernhalten wolltest.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 23.06.19:
Wollte ich? Nun gut, hiermit nehme ich meine konstruktive Kritik zurück.

 Sanchina ergänzte dazu am 24.06.19:
Lothar, das war nicht beabsichtigt, aber Recht geschieht ihm, den ignoranten Kerl! Er hat das Problem doch gar nicht ernst genommen und gespottet. Als es richtig brenzlich wurde, hat erv geschlafen!
Falls es dich ernsthaft interessiert: Er heißt Andreas

 FrankReich meinte dazu am 24.06.19:
Sorry, Dieter, konstruktive Kritik? Seit beherrscht Dich die denn?

Ciao,

 Moja (23.06.19)
Deine Geschichte ist so spannend, ich musste gleich noch die anderen Teile nachlesen. Vielen Dank, erheiterte Grüße, Moja
Fisch (55)
(23.06.19)
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 FrankReich (24.06.19)
Oh verdammt, in unseren Ort haben sich seit einiger Zeit Kugelvampirfledermäuse verirrt. Ich wusste doch, dass mit diesen Viechern nicht zu spaßen ist.

Ciao, Ralf
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