"Männer" ohne Nerven

Text zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Nachtpoet

In einer Zeit, in der die Partei: "Die Grünen" das neue und allerletzte Mittel gegen den sicheren Atomkrieg zu sein schien, in einer Zeit als uns "Ed von Schleck" von  der Tankstelle den Sommer schmackhaft machte und der "Albatros" Gold- und Silbermedaillen abräumte wie kein anderer vor ihm ..., eine Zeit in der wir mit dem Feuerzeug Löcher in die Kaugummiautomaten brannten, weil wir nicht 2000 Kaugummis länger warten wollten, um endlich an den AC/DC-Sticker zu kommen, dessen Bestimmung es mit Sicherheit nicht war, sein halbes Leben hinter einer Plexiglasscheibe gefangen zu sein ..., in dieser Zeit war aber EINS das allergrößte für uns Abenteurer und Stuntmen: BMX-FAHREN!!

Angestachelt von Sendungen wie "Spiel, Spaß, Sport und Spuk" oder erst recht: "Ein Colt für alle Fälle", die frühabends im Fernsehen liefen, drängte sich unweigerlich der Wunsch nach unbändigen Abenteuern und halsbrecherischen Aktionen auf. Natürlich nur für ECHTE Männer! Ich begann mit alten, schrottreifen Fahrrädern ein paar Stunts einzustudieren, indem ich in voller Fahrt den Lenker herumriss, so dass das Fahrrad auf die Seite fiel und ich mich rechtzeitig mit einem gekonnten Absprung vor dem Fall des Rades retten konnte und auf der Erde dann nach zwei gut erprobten Schulterrollen unversehrt wieder auf die Beine kam. Hinterher studierte ich noch einige andere Crashes und fast schon zirkusreife Nummern ein. Wenn meine Großeltern zu Besuch waren, dann führte ich ihnen immer stolz meine neuesten Stunts vor, die meine Eltern schon gewohnt waren. Während Oppa immer nur freudig lachte, in die Hände schlug und wiederholte: "Das ist ein Gummimann, ich hab's immer gesagt! Ein Gummimann!", hielt meine Omma die ganze Zeit die Hand vor's Gesicht und jammerte: "Ich kann's nicht sehen, ich kann's nicht sehen!"

Meine Kumpels von der Schiffheide und von der Rotdornallee hatten ähnliche Vorlieben und die einzelnen Stunts und BMX-Tricks waren uns irgendwann zu wenig. Also drängte sich förmlich die Idee auf, mal eine Sprungschanze aufzustellen um da mal rüberzubrettern, wie man eben so redet als echter Stuntman. Doch kein Hof war groß genug, als dass man anständig hätte Anlauf nehmen können. Also bauten wir die Schanze, die aus einem langen Gerüstbrett, alten Autoreifen und ein paar kleineren Holzplatten bestand, kurzerhand auf der Straße auf. Es war die Schiffheide, auf der damals noch gerade mal alle zwei Minuten ein Auto vorbei fuhr. Da war es nicht sonderlich dramatisch, wenn mal die eine Spur für eine einmalige Stuntshow eine Stunde lang gesperrt war.

Hacker war einer der älteren unter den BMX-Spezialisten und hatte sich schon mit seinem Schiffheiden-Rekord im "Längste-Strecke-auf-dem-Hinterrad-fahren" einen einflußreichen Namen in der Szene gemacht. Er sollte die Schanze als erster testen. Außerdem besaß Hacker aufgrund seiner 2 bis 3 Jahren mehr auf dem Buckel schon bessere Muskeln und konnte somit stärker und schneller Anlauf nehmen, als Zucki, Herborn oder Elvis (das war mein Spitzname). Schnippi, Elle, Huber, Müller und Brecher waren auch noch mit von der Partie.

Hacker nahm fast bis zur Lindenstraße Anlauf, nachdem er sich fast schon meditativ auf die Schanze konzentriert hatte, kam mit einem Affenzahn an, fuhr auf das Brett und riss instinktiv im besten Moment den Lenker hoch, um weit hinter dem Absprungspunkt - wie es sich gehörte - mit dem Hinterrad zuerst aufzukommen und souverän weiterzurollen. Das Publikum klatschte und jubelte erleichtert. Jedoch war zu sehen, dass die Schanze noch ein bisschen verstärkt werden musste, war sie doch noch etwas wackelig aufgebaut. Nach kurzer Diskussion der Experten karrte man noch weitere Autoreifen und ein paar Flachbretter heran. Nun testete Hacker die Schanze erneut. Unter jetzt anschwellenden Anfeuerungsrufen "Ha-cker! Ha-cker!" konzentrierte dieser sich wieder auf's Ziel, nahm Anlauf und sauste wieder wie ein junger Gott über das jetzt stabilere Gestell um sauber und beherrscht zu landen. Alle jubelten begeistert und sogar die paar Autos, die nur auf die eine Spur angewiesen waren, strecken hier und da ihre Daumen durch das offene Fenster, während sie sich vorsichtshalber im Schritttempo durch die Gefahrenzone wagten. Trotzdem war einer von uns bereit, auf der anderen Seite an der Kreuzung: Rotdornallee/Eichenweg nach möglichen Autos Ausschau zu halten, die Hacker entgegen gekommen wären. Über einen zweiten Mittelsmann wurde Hacker jetzt immer erst grünes Licht für den Start gegeben. Sicherheit ging schließlich vor.

Nun wurde auf Hackers Anweisung die Schanze noch erhöht! Sie maß jetzt drei Autoreifen in der Höhe. Hacker schaffte auch diesen Level indem er noch stärkeren Anlauf nahm als zuvor, wobei man jedesmal die Noppen an den BMX-Reifen heulen hören konnte. Da die Schanze jetzt hoch genug war, legte sich ein Todesmutiger, es war Brecher, vor die Schanze und ich legte mich direkt hinter ihn, um nicht, wenn sich noch einer davor legen sollte, der Äußere zu sein. Aber Müller legte sich noch davor und man zeigte Hacker mit den Fingern 3 Leute an. Hacker fuhr kurz zurück um die Sache zu begutachten, nickte nur und meinte: "Nicht bewegen Jungs."

Er fuhr bis über die Kreuzung der Lindenstraße, guckte nach einem Auto ,bekam "grünes Licht" von der anderen Seite und begann sich zu konzetrieren. Er atmete dreimal tief durch, wobei man ihm seine Anspannung deutlich ansah. Mit ernster Miene und kraftvoll angespannten, knochigen Unterarmen kam er jetzt noch schneller angerast. Seine Bürstenhaare standen ihm zu Berge, sein gelbes T-Shirt flatterte wild im Fahrtwind und er donnerte über uns hinweg, kam weit hinter uns wieder auf und die Leute waren jetzt völlig begeistert! Klatschten, jubelten und sprangen in die Luft! Hacker riss noch in voller Fahrt beide Fäuste hoch und drehte noch eine Extrarunde. "Ha-cker! Ha-cker!"

Ich verließ die Gefahrenstelle wieder, aber da man sah, dass Hacker ein vertrauensvoller Jumper ist und dass er meterweit hinter den liegenden Männern zum Stehen kam, reizte es jetzt auch Elle, Herborn, Zucki und Schnippi, sich unter die Schanze zu legen. Schnippi war die einzige "Frau" unter den Wagemutigen. Sie spielte fast ausschließlich mit uns Jungs und wenn sie beim Fußball mal gefoult wurde, verteilte sie bei unzüchtigen Flüchen kräftige Arschtritte! Jeder hatte großen Respekt vor ihr! Gerade als Hacker sich zu konzentrieren begann, tauchte Zuckis Mutter in diesem Zirkus auf. Mit den Händen vor ihrem Gesicht schrie sie geradezu, den Schrecken im Gesicht :" Neinnn!! Jenselein!! Komm da weg!! Sofort!! Bist du denn verrückt?!" "Keine Sorge Mama, da passiert nichts!" versicherte Zucki. Aber Mama war außer sich und zog Zucki solange am Ärmel, bis der sich recht ungelenk und widerwillig bis zu Bordstein schleppen ließ. "Mama geh' nach Hause!" zischte er. "Wir machen doch nur Spaß! Hacker ist der beste Jumper, da KANN gar nix passieren!" "Du kannst zugucken, aber du legst dich da nicht nochmal drunter! Hört doch mit dem Blödsinn auf, was soll denn das? Wenn hier der erste ins Krankenhaus kommt, dann ist das Geschreie groß!" Belehrte sie uns mit wackelndem Zeigefinger. Wir konnten Frau Weißknecht langsam beruhigen und sie verließ schnell die Szenerie, wobei sie sich in keinster Weise noch einmal umdrehte, sondern nur fortlaufend den Kopf schüttelte.

Nachdem jetzt auch Brecher und Huber erfolgreich über die Schanze inklusive drei bis vier Leuten davor geflogen waren, nachdem sie vom Meisterspringer Hacker ein paar wichtige Instruktionen erteilt bekamen, wie man den Jump am besten angeht und dass man immer die Mitte des Brettes gut treffen müsse und so weiter, kam es endlich zum absoluten SHOWDOWN! ...Sage und schreibe SECHS Leute legten sich jetzt wie die Sardinen hintereinander vor die Schanze. Ich nahm mich dabei aus, weil mir die Sache langsam zu heiß wurde. Brecher und Huber machten als Jumper nicht mehr mit. Für Hacker wäre es somit der größte Erfolg in seiner Karriere und natürlich ein einmaliger, weiterer Schiffheiden-Rekord! Mittlerweile hatte sich unsere fantastische Stuntshow auch im Birken- und Eichenweg herumgesprochen und die Zahl der neugierigen Zuschauer wuchs mit jeder Minute.

Ein letztes mal nahm Hacker ein Riesenanlauf bis weit hinter der Lindenstraßenkreuzung. Er atmete ein paar mal tief durch, fuhr dann aber doch noch mal langsam zur Schanze um genau zu gucken, wo der letzte Mann liegt und fuhr wieder zum Startpunkt. Sicher ist sicher. Noch einmal sammelte er sich und die Anspannung in uns allen war schier unerträglich. Er atmete tief durch den gespitzten Mund und fuhr kräftig los, beschleunigte stark und achtete darauf, dass seine Fahrlinie grade blieb. Kurz vor der Schanze hörte er auf zu treten, um sich voll und ganz auf den Sprung zu konzentrieren. Er riss mit aller Macht den Lenker hoch, sprang mit sehr hohem Vorderrad über die todesmutigen Sardinen und kam hart mit dem Hinterrad unweit hinter dem letzten Mann auf, worauf das Vorderrad ebenfalls brutal auf die Teerdecke schlug. Hacker kam etwas ins straucheln, glich dieses aber mit einer starken, aber nicht zu harten Bremsung des Hinterrades aus und kam somit doch noch stolpernd, aber wohlbehalten zum Stehen. Wieder einmal kam ihm seine große BMX-Erfahrung zu Gute. Der Jubel, der danach einsetzte, war eine Mischung aus Schrecken und Erleichterung. Hacker, der erstmal seinen Herzschlag wieder herunterfahren musste, war jetzt der unumstrittene König der BMX-Fahrer und alle stimmten überein, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen wäre, wo man das Schicksal nicht mehr länger herausfordern sollte. Sicher ist sicher.

Ein so außergewöhnliches Schauspiel blieb in der Geschichte der Schiffheide wohl einmalig und manchmal denke ich, dass es auch was Gutes haben kann, wenn die Kinder von heute ihre Abenteuer ausschließlich an der Playstation ausleben.
(Aber mal unter uns: ... cooler war es schon irgendwie ...)

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (12.11.14)
Gut, dass es nicht nur cool war, sondern auch gut ausging. LG

 Nachtpoet meinte dazu am 12.11.14:
Allerdings AZU ! Danke!

 Dieter_Rotmund (12.11.14)
Ich hätte gerne weitergelesen, aber das sind solche Granaten drin ("Chrasches"), dass mit die Lust vergangen ist, sorry...

Und Michael Gross' Spitzname war Albatros, nicht "Albartos"!!!

 Nachtpoet antwortete darauf am 12.11.14:
Überempfindliche Menschen leben immer etwas unglücklicher. Das mit dem Albatros war ein Tippfehler! Ich bitte tausendmal um Entschuldigung!!! Oder wolltest du nur auf originelle Weise durchblicken lassen, dass du sehr wohl weißt, wer gemeint war?

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 12.11.14:
Lieber Nachtpoet,

was ich damit ausdrücken wollte: Das ist ein lebendiger und unterhaltsamer Text, der sich aber leider selbst ins Abseits stellt durch die vielen Fehler!
Wenn Du schon dabei bist, kannst Du auch die anderen Sachen korrigieren, oder? Z.B. "fürhrte", "weing", "Schnanze", "Affenzahnan" usw. usf.

 Nachtpoet äußerte darauf am 17.11.14:
ok

 EkkehartMittelberg (12.11.14)
Ralf, ich gestehe, dass die Spannung am Ende so groß war, dass ich auf die Rechtschreibung nicht mehr geachtet habe.

LG
Ekki

 Nachtpoet ergänzte dazu am 12.11.14:
Ekki das freut mich. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Dieter hier mit seinen Kommentaren jedem weiteren Leser den Text vermiest hat.

Danke und LG
Ralf
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