Onkel Adolf

Kurzgeschichte zum Thema Alleinsein

von  LotharAtzert

Onkel Adolf, er hieß tatsächlich so, das kommt erschwerend hinzu, erklärte dem Fünfjährigen, man dürfe Hummeln töten, denn sie seien, anders als zum Beispiel Bienen, nutzlos für uns Menschen. Töten wir sie nicht, fressen sie den Nützlichen  das Futter weg und wir schauen, den Honig betreffend, in die Röhre.
Vater vergiftete Ameisennester mit Chemikalien, die Großeltern sammelten Schnecken vom Salat und warfen sie achtlos den Hühnern hin, die sich wild gackernd auf die Leckerbissen stürzten. Später, nachdem sie genügend Eier gelegt hatten, wurden sie geschlachtet. Manchmal auch stand Opa Konrad im Morgengrauen auf, ging mit einem Spaten in den Garten, und rammte diesen ins Genick eines Maulwurfs, zerstach jenem sein Rückgrat, der bloß  einen Gang nach oben anlegen wollte und keine Ahnung hatte, daß er mit den zahllosen Hügel den Garten in Unordnung brachte.
Opa Konrad hatte noch eine weitere Spezialität: er zerdrückte mit seinem Daumen gern Wespen an den Fensterscheiben, ohne daß diese ihn zu stechen vermochten. Auch stand in den Sommermonaten immer eine offene Bierflasche mit einem Essig-Zuckergemisch in der Küche, was Wespen offenbar liebten - sie flogen hinein und kamen nicht mehr lebend heraus.

Als Kind hat man da zwei Möglichkeiten: entweder man passt sich an, lernt und eifert den Erziehern nach, übertrifft sie wömöglich noch, um ein gutes dh. gesellschaftlich anerkanntes Familienmitglied zu werden - oder man erschrickt zutiefst, macht sich Gedanken darüber, was da nicht stimmt. Das ist für ein Kind nicht leicht, schließlich fehlen in jungen Jahren die Worte, um es im Sinne einer Klärung verständlich artikulieren zu können.
Bei mir wurde das durchs Empfinden ausgeglichen, das mir auf dem Weg übers Gewissen suggerierte: Töten ohne Not ist Sünde. Ohne es zu wollen, versetzte es mich wieder und wieder in die Lage der zum Tode Verurteilten und litt gerade so darunter, als vollzöge es sich an mir.
Aber so eindeutig gut oder schlecht sind die Dinge halt nie im Leben. Dieselben Menschen, die so achtlos töteten, liebten mich doch auf ihre Weise. Onkel Adolf steckte mir heimlich manche Münze zu, von den Großeltern gabs zu Geburtstag und Weihnachten einen Mechanik-Baukasten (- aus mir, dem Träumer sollte mal "was"  werden, nachdem ihre beiden Söhne in der Ukraine gefallen waren) und von Mutter kam sogar der Spruch: "Was du nicht willst, was dir man tu', das füg auch keinem andern zu."

Übers Empfinden verständlich reden hörte ich erstmal wieder bei Wolfgang Döbereiner, dem Lehrer der Münchner Rhythmenlehre. Da war ich schon über 21 Jahre, Opa, Oma und Onkel Adolf an Krebs gestorben und Vater litt bereits an Alzheimer.
Döbereiner lehrte, daß je drei Tierkreiszeichen einen Verbund bildeten, wie die drei Monate einer Jahreszeit. Zum Beispiel Krebs, Löwe und Jungfrau: Das Zeichen Krebs und seine Entsprechungen Mond und das vierte Haus bewirken, daß wir etwas "in uns" finden können, tief im Gemüt schlummernd. Ohne die Möglichkeit seines Bergens blieben wir  seelenlose Plasmahaufen. So nämlich, wie der Mond das Sonnenlicht reflektiert, so vermögen wir in uns das zu finden, was uns angehört. Das was wir in uns finden, nennt die deutsche Sprache Empfindung.
Was ich empfand, lieber Onkel Adolf, während Du eine Hummel nach der anderen zertratest, die zuvor noch an der Sonnenblume saugten, ist unendliches Mitleid mit Dir und Deinem Opfer, die ihr euch kreisläufig bedingt, wie der Metzger und sein Schwein. Wobei der Vergleich hinkt: so eine Hummel, die rein vegetarisch lebt und ihren Stachel niemals ohne Lebensgefahr nutzt, ist ein so wunderbares Wesen, mit ihren kleinen Stummelflügelchen, ihrem goldbraunen Pelz und dem sonoren, ja fast erotischen Brummen. Kaum vorstellbar, daß von ihr ein Leid ausgehen soll.
Auf das Krebs-Empfinden folgt dann das Ausdrücken, das ist der Löwe, die Sonne, das 5. Haus, Dein Sonnenzeichen, o Onkel mit dem geschichtsträchtigen Vornamen. Du hast das Verweigern des Empfindens zum Zeichen gemacht im Ausdrücken von Hummelleiber. Dabei hätte ich etwaiges Leid in Deinem Empfinden, weswegen Du es verdrängtest, mit Dir getragen, wenn es Dir zu schwer geworden wäre. ...
Ich drücke mich aus, so gut ich es kann und es bereitet mir Freude und Leid - und daß Du zum Ausgleich einen Krebs als Krankheit ertragen musstest, das schmerzt mich immer wieder neu. Aber irgendwann ists genug und du gehst den Weg der Lethe bis in den nächsten Mutterleib, um des Empfindens willen.
Auf den Löwe folgt die Jungfrau, Merkur und Haus 6 - die Vernunft, das Anpassen der Bedürfnisse an die Möglichkeiten - die Früchte müssen eingelagert werden. Weiter dringt heute im eisernen Zeitalter kein Mensch mehr in sich - sein Eigentum und die eigene Art der Wahrnehmung. Die Menschen seit Kant verwechseln Vernunft leider mit Weisheit. Der Vernünftige wird niemals weise handeln. Doch was Du, o jungfräulicher Opa, mit den Lebewesen gemacht hast, läßt menschliche Regungen erst dort erkennen, wo Dir der Tod der Söhne im fremden Land mitgeteilt wurde. Hättest du diesen Schmerz angenommen, ihn getragen wie ein König die Krone, so hättest du nicht aus Enttäuschung soviele stellvertretend töten brauchen, womit immer neues Leid für die Zukunft gesammelt wird.
Diese drei Zeichen bilden den seelischen Verbund. Das heißt: Was empfunden wird, drückt sich je nach dem Fund aus. Wird nichts gefunden, streckt man die Fühler in den Raum hinaus, wodurch sich nichts am Empfindungsmangel ändert, nur die äußere Welt - als Spiegel der inneren Hohlheit - wird malträtiert: finde ich nichts im Inneren, muß ich draußen suchen, immer weiter draußen, auf Alpha Zentauri oder im Atombaustein, in den Weltkollektiven etc. etc.
Daß ohne Unvernunft keine Vernunft existiert, wissen die Weisen und bleiben gelassen. Sie lassen das Sein sein, wie es ist. Aber das Bewußt-Sein ist ein anderer Verbund.
OM MANI PADME HUM

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Kommentare zu diesem Text

Bette (70)
(22.09.17)
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 LotharAtzert meinte dazu am 22.09.17:
Das Hadern, ja. Sonst hieße ich ein Meister. So reicht's nur zum leidlich fleißigen Schülersein.
Danke
Herbstgrüße zurück

 Morphea (22.09.17)
Einer der besten Texte die ich in letzter Zeit las. Die mich jagende Zeit verhindert einen ausführlichen Kommentar, den ich ansonsten gerne schriebe. Wenn die Zeit mir also Zeit gewährt hole ich das noch nach weil der Text nach Kommentaren schreit....

 LotharAtzert antwortete darauf am 22.09.17:
Ach das hast Du schön gesagt. Vielen Dank, Nova.
Fühle Dich nicht getrieben, es freut mich auch die Kürze, wenn die Worte von echtem Empfinden zeugen.

 Dieter_Rotmund (22.09.17)
"wurdens sie "?

Guter Beginn, aber dann wird's mir zu fahrig.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 22.09.17:
ja, hab schon gesehen, danke.
Ich empfehle für Die Zukunft, immer nur die Hälfte zu lesen.
Gute Fahrt wünscht
Lothar

 LotharAtzert äußerte darauf am 22.09.17:
Dieter, du musst keine Angst haben vor Empfindungen. Wenn es unangenehm wird, ist das immer eine Chance, etwas Ungeklärtes im eigenen Wesen zu klären.
Der letzte Teil ist der, auf welchen der erste Teil vorbereitet. Daß ich mich da vielleicht schwerer tue bei der Beschreibung des Wahren, liegt doch in der Natur der Sache. Denke mal drüber nach, bitte!

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 22.09.17:
Danke der Nachfrage, ich habe keine Angst vor Empfindungen. Ich liebe die Rheinauen und hasse die Vögel; eine schöner Kaffee bereitet mit Entzücken, von sabernden Hunden will ich weit abrücken...
Handwerlich gesehen hat Dein Text kein Zentrum, obwohl er schön bodenständig beginnt; vor allem dieses Sternzeichengefasel wirkt sehr wirr. Nichts für ungut!

 LotharAtzert meinte dazu am 22.09.17:
Sind jetzt die Rheinauen eine Metapher für Deine Brustwarzen, oder warum denkst Du, hätten sie mit Empfindungen zu tun?
Camilla (33)
(22.09.17)
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 LotharAtzert meinte dazu am 22.09.17:
Soso. Hast wenigstens Du ihn bis zum Ende gelesen???
ca (33)
(22.09.17)
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 LotharAtzert meinte dazu am 22.09.17:
Ja, ich weiß, woher ich stamme,
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich.
Licht wird alles was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse,
Flamme bin ich sicherlich.
-Friedrich Nietzsche-

 RainerMScholz (22.09.17)
Danke Mutter, danke Onkel Adi, danke ihr Vettern und Tanten und all ihr Toten, die ihr tot bleiben müsst und sollt.
Grüße,
R.

 LotharAtzert meinte dazu am 23.09.17:
Danke auch Dir, Rainer, für Komm. und Empf.
Gruß
L.

 Soshura (23.09.17)
Wenn andere fragen, warum Dinge so sind, wie wir es ihnen zeigen ... vielleicht lohnt es sich auch für uns, anstatt mit dem zu antworten, was wir zu wissen glauben, zurück zu fragen, was jene zu Ihrer Frage brachte? (Jenseits von Symbolen.)

 LotharAtzert meinte dazu am 23.09.17:
In jeder Frage, wir ahnen es, schlummert die Antwort und im Märchen ist es der scheinbar Dumme, der die Prinzessin befreit.
Danke

 Viriditas (23.09.17)
Vielen Dank für diesen tollen Text ...

Grüße von einem MRL-"Fan" ...

 LotharAtzert meinte dazu am 23.09.17:
Kein Wunder, wenn es so tolle Leser gibt.
MRL-Fan - da sind wir schon zu dritt.
Auch Dir einen Dank
Gruß
L.
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