Nicht für immer, sondern für eine bestimmte Zeit gemacht

Text zum Thema Augenblick

von  larala

Andreas Baumgärtel gehörte zu den Patienten, die wenig erzählten. Aber ihn zum Lächeln zu bringen war einfach. „Ihr Puls ist zu hoch.”, sagte ich manchmal morgens und schaute streng, „Das wird doch wohl nicht an mir liegen?” Dann musste er lachen. Über mich, meine Scherze, meine Jugend, meine unbekümmerte Art, obwohl er ein ernster Mensch war, doppelt so alt wie ich, verheiratet und Naturwissenschaftler und bereits seit Wochen herumlag auf dieser Station.

Ich hatte oft Nachtdienst und er konnte oft nicht schlafen. Irgendwann gewöhnten wir es uns an, im Schwesternzimmer zu sitzen und Tee zu trinken. Am Anfang redeten wir nicht viel. Ich schwieg, weil ich müde war und er schwieg, weil er keiner war, der viel schwätzte. Aber es fühlte sich richtig an, da so zusammen zu sitzen und ich hatte es selten erlebt, dass Schweigen so leicht war und so selbstverständlich.

Wir mochten uns einfach, nicht mehr und nicht weniger und deshalb trafen wir uns, wenn ich frei hatte, hin und wieder am Nachmittag zum Spazierengehen. So erfuhr ich ein bisschen etwas von ihm und er von mir, aber das war nicht wichtig, weil wir einfach nur nebeneinander hergehen wollten und uns an der Hand halten.

Zu sagen wir hätten uns verliebt, würde nicht den Tatsachen entsprechen. Wir waren auch nicht Freunde geworden, weil wir das von Anfang an gewesen waren, auf eine Art. Wir hatten uns einfach gefunden. Und zwar als Menschen.

Bald wollte er, dass ich seine Familie kennenlerne, weil er kein schlechtes Gewissen hatte und weil er es schön fand, mir seine Töchter vorzustellen, auf die er stolz war und die Frau, die er liebte. Ich hatte auch kein schlechtes Gewissen, aber trotzdem Bedenken, was seine Liebste wohl sagen würde, wenn er plötzlich mit einer Schwester aus der Klinik aufkreuzte und dann, zu allem Überfluss, vielleicht auch noch Hand in Hand.

Frau Baumgärtel hieß Katharina und musterte mich kühl. Ich mochte sie sofort, weil sie mich nicht auf der Stelle die Treppe herunterwarf und ihren Gatten gleich mit.
Jedenfalls tranken wir einigermaßen friedlich Kaffee, die Töchter flochten mir Zöpfe ins Haar und die Sonne schien durch die geputzten Fenster.

Ich half Katharina beim Abwasch. Erst redeten wir nichts, dann sagte sie leise, dass sie eigentlich sogar froh wäre, dass ihr Mann jemanden hätte, weil er kein einfacher Mensch sei und immer ziemlich verschlossen. Sie schaute mich an, mit blauen ehrlichen Augen, und ich schaute zurück und es war wie ein Abkommen, das wir besiegelten, indem ich ihr vorsichtig eine von ihren warmen, frisch abgetrockneten Kaffeetassen hinhielt.

So wurde ich Mitglied der Familie Baumgärtel und war oft zu Gast. Manchmal waren wir auch alleine, Andreas und ich. Er spielte mir etwas auf dem Klavier oder wir gingen spazieren, redeten oder schwiegen, hielten uns an den Händen oder im Arm.

Merkwürdig vielleicht, dass es ein ganzes Jahr dauerte, bis ich mich verliebte. Am Telefon bat ich um ein letztes Treffen. Wir tranken Tee, der ein bisschen zu lange gezogen hatte und ich erzählte ihm vom Katharina-Abkommen.

Zusammen zu schweigen war immer noch angenehm. So angenehm und leicht, wie unser gemeinsames Jahr.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(18.04.15)
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 larala meinte dazu am 02.05.15:
Danke!

 Irma (18.04.15)
Ich lese bei KV selten Prosatexte. Vielleicht zu selten. Denn hier hat es sich gelohnt. Gefällt mir sehr! LG Irma

 larala antwortete darauf am 02.05.15:
Das ist ein schönes Lob, Irma! Danke!

 princess (18.04.15)
Ich finde es schön, dass es seine Zeit haben durfte. Die leisen Töne, die durch den Text klingen, die mag ich besonders. Ich glaube, die sind ein bisschen so wie die Geschichte, die sie erzählen.

Liebe Grüße
Ira

 larala schrieb daraufhin am 02.05.15:
Ja, eine leise Geschichte. Mit einer Fortsetzung viele Jahre später und einem eher traurigen Ende. Leben halt. Danke!
ugressmann (69)
(18.04.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 larala äußerte darauf am 02.05.15:
Danke, Uschi!

 Vessel (02.05.15)
das gefällt mir. die geschwindigkeit der erzählung, ihr inhalt und das gefühl, dass sie hinterlässt, das ist schön. und in einer merkwürdigen situation, in der befinden sich die beiden charaktere ja schon, oder in einer angenehmen situation, je nach dem wie man es sehen möchte.

 larala ergänzte dazu am 02.05.15:
Danke! Was für ein Gefühl hinterlässt es bei dir?

 Vessel meinte dazu am 02.05.15:
Oh, ah, ähhh, aha ... in genau der Reihenfolge

 larala meinte dazu am 02.05.15:
Cool. Da sag noch mal einer, Männer könnten nicht über Gefühle sprechen! ;))

 Cassandra (14.05.15)
Hat mich angenehm berührt. Es lässt eine gewisse Melancholie aufkommen, aber die ist leicht und flockig.

LG
Cassandra

 larala meinte dazu am 25.06.15:
Ja, du fühlst was ich fühl(t)e. Danke!

 Jorge (25.06.15)
Ein ehrliches Abkommen für ein Ende zur rechten Zeit.
Eine glaubwürdige Erzählung.
GLG
Jorge

 larala meinte dazu am 25.06.15:
Danke, Jorge!
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