Wir streunen durch diese neue Welt. Hinterlassen Fußspuren nur dann, wenn wir es wollen. Löschen uns selbst aus, sobald es kritisch wird. Wir selbst, kritisieren alles was wir finden. Auf einmal kannst du sein wer du willst, dir deinen Namen selbst aussuchen und all das sagen, was du dich sonst nie trauen würdest. Wir brechen unser Leben in zwei und werfen Brocken davon durch die Gegend, als wäre es egal wer davon getroffen wird. Diese Welt wächst mit jedem Tag. Auf einmal ist niemand mehr allein mit seinen Gedanken, jeder ist ein Fotograf und Model und es war noch nie so leicht, berühmt zu werden. Man streift durch die Tagebücher von Jugendlichen, die davon reden sich ihr Leben zu nehmen, während andere dieses einpacken und uns alles über ihr Auslandsjahr erzählen.
Dunkelheit und Trauer werden romantisiert, Parolen und Zitate werden zu den Aussagen des Lebens, denn Kurt Cobain ist unser Held und das System ist sowieso immer schuld. Wir haben die Möglichkeit alles in Frage zu stellen, denn Informationen kriegt man an jeder Ecke. Veränderung haftet an der Zeit wie ein Kaugummi unter der Schuhsohle. Täglich werden wir besser und schneller und verlieren ein bisschen mehr von dem, was einmal Privatsphäre hieß. Die einzigen die noch Geburtstage aus dem Kopf wissen, sitzen jetzt im Altenheim und schauen als einzige aus dem Fenster und nicht auf ihren Handydisplay. Statt aufgeschlagene Knie werden nun kaputte Elektrogeräte beweint und schon lange sind Highscores wichtiger als Kindheitserinnerungen.
Wir wachsen, aber nicht an neuen Herausforderungen, sondern als eine Einheit die mit allem befreundet ist und alles mag, was gerade hinter dem Bildschirm flimmert. Wann haben wir aufgehört, uns Zeit für unser Leben zu nehmen? Wir rechnen unseren Alltag in Kalorien um, teilen der Welt mit, wie viele Meter wir Heute gelaufen sind und was wir Heute gegessen haben. Einerseits hallt es aus den Fashionblogs, liebe dich wie du bist, sei du selbst, nur damit die nächste Seite dir genau erläutern kann, wie du am besten 10kg in zwei Wochen abnimmst. Jeder von uns, nennt sich Individuum, hat seine eigene Schublade, in der sonst keiner Platz findet, wir werden immer kränker und sind dabei immer jünger. Mädchen die in ihrem Alter Liebesbriefchen schreiben sollten, lächelnd mit ihrer Zahnspange, schreiben darüber, wie sinnlos ihr Leben erscheint und wir sagen schon lange nicht mehr, sie seien pubertär. Viele von uns leiden unter Problemen, die sie überall nachlesen und perfektionieren können, ein ewiger Austausch aus Leidensgeschichten bestärkt uns weiter darin, dass wir nicht alleine einsam sind.
Wir heißen auch nicht mehr Marianne oder Peter, sondern Mary_Misanthrop und Pete1999 und wir kleben auch keine Polaroids mehr in Fotoalben sondern bearbeiten uns in den verschiedensten Farben und Formen bis zur Unkenntlichkeit, damit unsere Follower und Fans keinen Pickel und keine Narbe auf unserem weichgezeichneten Gesicht erkennen können. Wenn wir fragen, wie sich ein Paar kennen lernte ist es keine romantische Geschichte, kein lustiger Kneipengang und nicht mal ein verkorkster Geburtstag bei dem man sich kennen lernte, nein, man lernt sich online kennen. Poliert sein Profil mit Urlaubsfotos und geheuchelten Interessen, man klickt Bilder durch und liest sich „Selbstbeschreibungen“ durch um dann zu selektieren wer es wert ist, überhaupt angeschrieben zu werden. Dann kommt die nächste Ebene, das Chatten. Ein schneller Austausch oberflächlicher Fragen gespickt mit Smileys. Und dann? Dann trifft man sich, sieht sich in die Augen, die nicht himmelblau sind sondern eher grau und umarmt keinen 1,90m Mann, sondern eher einen 1,75m Bub. Man riecht sich, das übertriebene Aftershave, oder vielleicht sogar den Angstschweiß. Kein summender Computer trennt einen mehr, man kann das Gespräch nicht einfach schließen und sich aus dem Treffen ausloggen. Jedoch bleibt uns ja die Möglichkeit im Nachhinein den anderen in Grund und Boden zu blockieren, Verläufe zu löschen und am Ende des Tages wieder ein abgespecktes Postfach vorzufinden.
Wir verlieren uns, zwischen Websites und Downloads, weil wir täglich kleine Fragmente von uns dort lassen, speichern und hochladen und uns nackt und hilflos vorkommen ohne einen schützenden Display vor unseren müden Gesichtern.
Wann haben deine Augen das letzte mal geleuchtet, ohne dass es die Reflektion deines Bildschirms war?