Erinnerungen aus dem Leben:
Berufsverbot für einen Studenten 1975
Meine politische Arbeit in Marburg spielte sich vor allem an der Uni im gewerkschaftlichen Bereich ab und natürlich bei einem meiner Lieblingsprojekte, der DKP-Betriebszeitung „tatsachen“, die ich oft genug fast allein herstellte und vor den Betrieben verteilte. In der Uni gab es eine Fachgruppe „Wissenschaftler und wiss. Hilfskräfte“ in der ÖTV, deren Vorsitzender ich bald wurde. Anlässlich eines Erlasses, der die Reduzierung von Stellen in erheblichem Ausmaß vorsah, kam es zunächst zu spontanen Aktionen. Dann weiteten wir die Aktivitäten aus. Es kam zu einem einwöchigen Streik der Hilfskräfte. Ich hatte gute Kontakte zur „Oberhessischen Presse“. Es gelang mir, fast jeden Tag einen Artikel über unseren Streik dort unterzubringen. In der Tat war der gesamte Uni-Betrieb von unserem Arbeitskampf betroffen. Weite Teile waren lahmgelegt, Bibliotheken geschlossen, Lehrveranstaltungen abgesagt. Schließlich wurde der geplante Stellenabbau zurückgenommen. Ein Erfolg, über den wir uns sehr freuten, der aber für mich ein übles Nachspiel haben sollte.
Eines Tages kam die Sekretärin im Institut zu mir ins Dienstzimmer. Mein Vertrag sei nicht verlängert worden. Als ich von Ch. wissen wollte, warum nicht, druckste sie herum. Erst mein Drängen veranlasste sie zu der Aussage, sie habe von politischen Gründen gehört. So war es denn auch. Was zunächst nur Spekulation war, wurde bald Gewissheit, als ich einen Erlass des Hessischen Kultusminsters, unterschrieben von der Staatssekretärin Vera Rüdiger, vorgelegt bekam. Darin hieß es, man habe Erkenntnisse, dass ich für kommunistische Aktivitäten an der Marburger Uni verantwortlich sei. Zudem sei ich Redakteur der „tatsachen.“ Im Prinzip waren das ja durchaus zutreffende Feststellungen, und da die DKP keine verbotene Partei war, fand ich das auch nicht schlimm. Aber wie waren sie an die Information gekommen? Nun, ich erhielt zusammen mit dem Erlass die Kopie eines Schreibens, mit dem ich Genossen zu einer Redaktionssitzung der Zeitung einlud und das von mir unterzeichnet war. Bald darauf wurde ich vorgeladen zu einem Gespräch mit dem Kanzler der Philipps-Universität, Dr. Ewald, bei dem ich Gelegenheit hätte, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Im Übrigen dürfte ich nicht mehr tätig werden im Öffentlichen Dienst des Landes Hessen. So sah es also aus, das Berufsverbot, von dem wir schon so viel gehört, gesehen und gelesen hatten! Neu war allerdings, dass dieses schon vor dem Ende des Studiums verhängt wurde. Es zerstörte damit praktisch meine berufliche Perspektive. Politisch pikant fand ich, dass man mir Aktivitäten gegen die Freiheitlich Demokratische Grundordnung vorwarf durch die rechtswidrige Beschaffung eines Schreibens von mir. Es war eindeutig eine Verletzung des Briefgeheimnisses, die auch nicht mit höheren Interessen gerechtfertigt werden konnte, zumal die DKP ja nicht verboten war. Man mag denken, dass eine solche Argumentation blauäugig war, aber sie entsprach meinem Gerechtigkeitsempfinden. So argumentierte ich dann auch bei dem Gespräch mit Kanzler Ewald, der sich sichtlich unwohl fühlte. Jahre später telefonierte ich mit ihm und fragte, ob nicht der eigentliche Grund für das Berufsverbot meine gewerkschaftlichen Aktivitäten an der Marburger Uni waren, die in jenem Streik gipfelten, der die Uni eine Woche lang lahm legte. Er gab es zu, sozusagen unter vier Ohren. Juristisch war das nicht von Belang, aber es bestätigte meine Auffassung, dass es sich bei dem Berufsverbot um eine illegale und schikanöse Maßnahme handelte.
Diese Auffassung teilten in Marburg und darüber hinaus Tausende von Menschen mit mir. Es gab eine Kampagne gegen mein Berufsverbot. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung im Auditorium Maximum, auf der mehrere tausend Menschen die Aufhebung forderten Ein Fernsehteam des Hessischen Rundfunks besuchte mich, um einen Beitrag für die „Hessenschau“ zu drehen. Künstler und Wissenschaftler solidarisierten sich mit mir, aber es gab auch praktische Solidarität, z.B. einen großen Präsentkorb, den mir die Kolleginnen und Kollegen des Instituts überbrachten. Die Gewerkschaft ÖTV war bereit, für mich einen Prozess zu führen, aber nur aus arbeitsrechtlicher Sicht, d.h. unter Ausklammerung des politischen Berufsverbots. Den Prozess verloren wir.
All das führte aber nicht zur Aufhebung des Berufsverbots. Ich brauchte Geld. Das war offenbar nicht nur mir klar. Eines Tages kam ich mittags aus einem Supermarkt in der Gutenbergstraße, als ich von zwei unbekannten Männern angesprochen wurde. Sie redet mich mit Namen an, erklärten, sie wüssten von meinen finanziellen Schwierigkeiten und forderten mich auf, für Geld bei der DKP zu spionieren. Zwar bekam ich es gewaltig mit der Angst zu tun, nahm aber allen Mut zusammen und eröffnete den beiden Männern, ich wollte mit Acht-Groschen-Jungs vom Verfassungsschutz nichts zu tun haben. Dann schritt ich würdevoll bis zur nächsten Straßenecke – und rannte nach Hause, so schnell mich meine Füße trugen!
Um dieses Thema abzuschließen, möchte ich noch erwähnen, dass das Hessische Kultusministerium vor einigen Jahren bestritt, dass ich jemals Berufsverbot bekommen hätte. Leider hatte ich den Erlass aus dem Jahre 1975 nicht mehr. Ich hatte ihn damals einem Genossen gegeben, der ein Buch über Berufsverbote schrieb und sah ihn nie wieder. Daher konnte ich das Gegenteil nicht beweisen. Alles war offenbar nur ein Traum von mir oder vielmehr ein Albtraum!
Im Nachhinein habe ich mir die Frage gestellt, ob ich nicht anders hätte vorgehen können, etwa bei der Befragung durch den Uni-Kanzler. Hätte ich nicht auch sagen können: Ja, Herr Ewald, ich distanziere mich von der DKP und allen kommunistischen Bestrebungen, alles Bisherige war nichts als ein Irrtum?! Ich habe nicht die Persönlichkeit, die ein solches Lügengebäude glaubwürdig präsentieren könnte. Ausschlaggebend war für mich die Empörung darüber, dass ich für meine gewaltfreie, antikapitalistische Haltung in einer Demokratie mit einem Angriff auf meine berufliche und soziale Existenz bestraft wurde, und das auch noch unter dem Vorwand, man wolle die Demokratie verteidigen. Es lag mir nie im Sinn, die Demokratie abzuschaffen. Auch die DKP hatte damals ein Konzept des friedlichen Übergangs zum Sozialismus auf dem Weg über eine Phase, in der es den Monopolen an den Kragen gehen sollte, weil man diese für das größte gesellschaftliche Übel hielt. Diese Meinung war unter den Linken weit verbreitet und wenn man mir und anderen Linken heute vorwirft, dass es sich um eher schlichte und vereinfachende Thesen handelte, stimme ich dem aus heutiger Sicht zu. Die Kritik am „realen Sozialismus“ war aber durchaus vorhanden, auch wenn ich damals fälschlicherweise die soziale Lage der Menschen für wichtiger hielt als ihre Freiheit. Zwei Jahre nach dem Berufsverbot habe ich dem Kommunismus dann wirklich abgeschworen, weil ich in ihm keine glaubwürdige Perspektive mehr sah. Als ich vor 15 Jahren auf einem Jazz-Festival einen ehemaligen Genossen wieder traf und er stolz darauf hinwies, dass er noch immer Kommunist sei und das als Zeichen von Glaubwürdigkeit und Konsequenz ausgab, entgegnete ich ihm: Was du als Glaubwürdigkeit und Konsequenz darstellst, ist für mich nichts anderes als Sturheit und Unbeweglichkeit. Ich bin stolz darauf, aus der Geschichte gelernt zu haben. Und da er hauptamtlich bei der Gewerkschaft beschäftigt war, fragte ich, ob die Mitgliedschaft in einer Kommunistischen Partei es nicht schwieriger gemacht hätte, bei der Gewerkschaft „unterzukommen“? Seine Antwort: Im Gegenteil, es hat mir geholfen. Dazu habe ich dann keinen Kommentar abgegeben.