Wenn ich etwas sage ....

Haiku zum Thema Jahreszeiten

von  idioma

Illustration zum Text
kana-Schrift
(von idioma)
mono ieba              - wenn ich etwas sage

kuchibiru samushi  - die Lippe - kalt -

aki no kaze            - des Herbstes Wind


Haiku von Matsuo Basho ( 1644 - 1694 )


Die Schreibvorlage der Kalligrafielehrerin
gibt möglichst 1 : 1 den japanischen Wortlaut wieder,
damit jeder Schüler an jeder Stelle weiß, welches Wort
er gerade schreibt - nur die erste Zeile ist hier bereits ganz verdeutscht.

Vom chinesischen Ursprung her waren bzw. sind Worte ja Kanji-Zeichen,
also stilisierte Bilder.
Die Umsetzung deren Aussprache in die kana-Silben-Schrift war eine
speziell japanische Leistung und zwar vor allem der japanischer Frauen,
die nicht so viele Kanjizeichen beherrschten,
aber dennoch auch Gedichte und Romane schreiben wollten......

Dass die Worte ursprünglich Bilder waren, ist in einem solchen
wortwörtlich übertragenen Haiku deutlich spürbar,
denn Verben werden eigentlich nur im Infinitiv gegeben,
Substantive nur im Singular, dazu einzelne Adjektive usw. 
>>> aus ein paar solchen Wort-Bildern entsteht das Gedicht eigentlich
erst im Kopf des Betrachters bzw. Lesers und deshalb spielt auch
die Zeilenanordnung auf dem Papierformat und die kana-Handschrift
des Dichters eigentlich eine wichtige Rolle für den Ausdruck des Gedichts........


Meine Übersetzung :

Wenn ich etwas sage
werden meine Lippen kalt
von des Herbstes Wind


Meine Interpretation :
- Jahreszeit = Lebenszeit
- auf die herbstliche Fülle folgt das herbstliche Absterben
  " kalte Lippen " = das Verstummen des alternden Dichters.......
>>> das zeigt sich aber überhaupt nicht in meiner Schrift,
  Schrift und Lippen behaupten sich immernoch wider die Kälte
  ( so wie ich persönlich immernoch bewusst an der herbtlichen Fülle festhalte ! )
>>> möchte das aber unbedingt neu bzw. anders zu schreiben versuchen,
    viel einfühlsamer..... kleiner.... verschwindender......

idi

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (11.10.17)
Ich finde deine Erläuterung zu dem Haiku von Matsuo Basho sehr hilfreich und deine Übersetzung einleuchtend.
LG
Ekki

 idioma meinte dazu am 11.10.17:
DANKE Ekki für Deine Empfehlung !
Bitte lies auch noch die soeben zugefügte Interpretation....
merci von idi

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 11.10.17:
Auch deine Interpretation sagt mir sehr zu. Haikus sind natürlich so offen, dass sie mehrere Interpretationen zulassen.

 idioma schrieb daraufhin am 11.10.17:
Ich komme soeben vom vhs-Kalligrafieunterricht :
Heute wurden nur folgende 2 Schrift-Zeichen geschrieben :
Mond
weiß
( Geht's noch sparsamer ? denkt sich der Europäer insgeheim...)
Die Kalligrafielehrerin übersetzte :" Der Mond ist weiß. "
und sagte weiter : "weiß" stehe hier im Sinne von klar und rein.
Typisch japanisch sei folgende Tradition :
Anstatt direkt von sich selbst zu schreiben,
werde stattdessen über die Natur geschrieben.
Im Herbst sei der Mond bekanntlich besonders groß, klar und hell und der Sinn dieser 2 Worte sei etwa :
Durch die Betrachtung und Beschreibung
( bzw. wortkarge Nennung ) des weißen Mondes
möge sich die weiße ( und weise ) Klarheit und Reinheit
des Mondes auf den Betrachter bzw. Leser übertragen.
Festil (59)
(11.10.17)
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 idioma äußerte darauf am 11.10.17:
DANKE Festil für Deine verständnistiefen Zeilen !
Ich komme soeben vom vhs-Kalligrafiekurs : Bitte lies hier
weiter oben dessen Beschreibung als besonders karges Beispiel
der alten japanischen Geisteswelt, heilsam konträr zu unsrer
üppig wuchernden Kultur der möglichst reißerischen
und schockierenden Superlative......
Festil (59) ergänzte dazu am 11.10.17:
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 idioma meinte dazu am 13.10.17:
Ha nadierlich !
Dui send doch seit Adam on Eva an ällem on jedem schuld !
wa Bash (47)
(11.10.17)
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 Sylvia (10.11.17)
Ich lerne nie aus und danke dir für den aufschlussreichen Beitrag, den ich sehr interessant finde. :)
LG Sylvia
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