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Laila

Erzählung zum Thema Abschied

von  Sekundärstille

Sie liebte ihn. Und Paris war eigentlich perfekt dafür. Ihr Herz klopfte.
Sie trug ein bodenlanges, pailettenbesetztes Kleid aus rotem Samt. Ihre Haare hinten zu einem Knoten zusammengesteckt, Ohrringe, die sie sich bei Tiffanys ausgesucht hat.
Sie betrachtete sich im Spiegel, tupfte etwas Parfüm auf den Hals, die Hände zitterten vor Spannung.

Weniger als vier Wochen vorher war alles noch zum Kotzen. High School? Verdammt, sie hat alles hingeschmissen. Irgendwann sind nämlich Träume so abgewetzt, so ausgeschlachtet, dass sie alle Strahlkraft verloren haben und man aufgibt.
So wars bei ihr.

Sie rannte die knarzige Holztreppe nach oben. Der Koffer lag unter ihrem Bett, voller altem Kram, den sie einfach auf den Boden schüttete. Sie riss T-Shirts aus dem Kleiderschrank, ein paar Jeans und das einzige Kleid, das sie besaß.
In dem sie vor zwei Jahren mit Phil Baker aus der Oberstufe getanzt hatte.
Getanzt im gleißenden Licht der gelben Scheinwerfer, die sie am Vormittag mühsam in der Turnhalle anbringen mussten. Cocktails an ihrer selbst gezimmerten Bar, eigentlich mit weniger Alkohol, aber das kontrollierte eh keiner. Die zwei Lehrer, die als Aufsicht eingeteilt waren, hatten sich irgendwo nach Draußen verzogen. In der Halle war es heiß und die Luft flirrte vor Energie.
Dann kam Phil und fragte sie, ob sie mit ihm tanzen wolle. Er musste schreien, damit sie ihn hören konnte. Das war das einzige Glück, dieser Abend, denn danach ging es bergab.

Sie schleifte den Koffer hinunter. Vater lag auf dem Sofa, umgeben von leeren Flaschen, schnarchte mit offenem Mund. Das ganze Wohnzimmer roch nach einem Gemisch aus Erbrochenem und Bier.
Vorsichtig zog sie die Brieftasche aus seiner Hose. In dem Zustand würde er sowieso erstmal nicht aufwachen. Sie betrachtete ihn einen Moment, hoffte, einen letzten Rest an Verbundenheit zu fühlen, aber es passierte nichts.
Minuten später stand sie mit zwanzig Dollar und dem Koffer an der Interstate Highway.
Das Grundstück, auf dem sich die alte Farm befand, grenzte hinten direkt an die Interstate an. Früher, als noch alles gut war, hatten sie auf den weiten Blumenfeldern Sträuße gebunden und hier an die vorbeifahrenden Autos verkauft.
Dann streckte sie den Daumen raus und wartete auf ihr neues Leben.

Ein schwarzer Mercedes. Die Scheibe surrte nach unten.
Wohin willst Du? Der Mann, der drin saß, war fett und sicher über vierzig. Er trug einen weißen Anzug, schwarze Sonnenbrille und eine goldene Uhr am rechten Handgelenk.
Egal, irgendwohin sagte sie und ihre Stimme überschlug sich, weil plötzlich dem Adrenalin doch eine unbestimmte Angst gewichen war, vor dem, was sie da tat.
Sie blickte zurück, das verlassene Farmhaus inmitten gelber, von der Sonne verbrannter Gräser.
Ich fahr bis runter nach LA. Steig ein.
Kühle Luft aus der Klimaanlage, Gänsehaut an den nackten Armen und Beinen, die nur bis zu den Oberschenkeln von ihrem leichten Rock überdeckt waren.
Man konnte den Motor kaum hören, obwohl er verdammt schnell fuhr.
Was hast Du vor? fragte der Typ.
Keine Ahnung sagte sie.
Und wo willst Du schlafen? Weiss nicht. Draußen.
Er streckte ihr die Hand rüber. Unsicher ergriff sie sie.
Ronald Croft sagte er. Laila flüsterte sie.
Laila, wie Muhammad Alis Tochter? Sie hatte keine Ahnung, wer das sein sollte.

Träume sind manchmal die einzige Chance, zu überleben. Wenn er ausholte, wenn seine flache Hand ihr Gesicht traf, wenn der Gürtel zischend die Luft zerschnitt. Wenn sie nach oben rannte und die Türe von innen verschloss. Wenn trotzdem Fäuste gegen das Holz donnerten.
Dann driftete sie weg, war zwar noch physisch da, aber eigentlich weg, weit weg, in einem Land, das weich war, das leise war und warm.

Soll ich Musik anmachen, fragte er? Kassetten stapelten sich in den Stauräumen zwischen den Vordersitzen. Sie blickte nach draußen, langsam ging die Sonne unter und die ganzen Kornfelder schimmerten wie Gold.
Klassische Musik füllte den Innenraum der Limousine, sie drückte sich in den weichen Ledersitz.

Das Motel lag mitten im Nichts, aber es war da, praktisch eine glimmernde Insel in der Dunkelheit und er schlug vor, hier zu übernachten.
Er blickte sie von der Seite an, im Licht der Innenbeleuchtung wirkte sie älter, als sie war.
Haust Du nun ab oder fährst Du morgen weiter mit?
Ich weiss nicht. Bekomm ich ein eigenes Zimmer? Sie konnte ihn nicht ansehen, erwartete, dass er ihr jetzt die Hand auf den Oberschenkel legt oder so. Wie Trainor und die Anderen, die jeden Abend bei Dad im Wohnzimmer hockten und inmitten der leeren Bierflaschen und vollen Aschenbecher Skat spielten.
Aber er sagte: klar, Du kriegst ein Zimmer für Dich.

Sie stand unter der Dusche und obwohl das Wasser kochend heiß war, hielt sie es aus und hörte mit geschlossenen Augen nur auf das Rauschen, spürte die gesplitterten Fließen unter den nackten Füßen und den Dampf, der ihr langsam die Luft zum Atmen nahm.
Dann ging sie im Bademantel zum Fenster, blickte hinunter. Die Interstate 580 lag parallel und schnurgerade still da, sie verband das nördliche Kalifornien mit der Westküste, das hatten sie in der Schule gelernt. Das Schild, auf dem in großen Leuchtbuchstaben „Motel Intercontinental“ stand, schimmerte rotbunt in die Dunkelheit. Obwohl es mindestens nach Mitternacht war, hatte es noch immer nicht wirklich abgekühlt.

Nun war sie frei. Wirklich frei. Wahrscheinlich würde er nach ihr suchen, aber sie waren jetzt schon über 300 Meilen von der Farm weg und morgen werden es 300 mehr sein, immer mehr, jeden Tag, bis alles weg ist, was war, aus der Erinnerung zumindest und irgendwann auch aus den Träumen.

Sie ging hinüber zum Koffer, den sie mit hier hoch geschleppt hatte. Ganz unten lag der Umschlag. Wegen dem musste sie nochmal den halben Weg zurück, aber weil Dad immer noch geschlafen hatte und alles wie vorher war, traute sie sich doch in sein Schlafzimmer und holte den Umschlag. Sie wusste wo er lag, im Nachkästchen rechts, auf Mutters Seite.

Das Papier war vergilbt und voller Kaffeeflecken. Oben hatte jemand ein Schwarzfweissfoto mit einem Tacker angeheftet, daneben klebte ein Schlüssel. Sie überflog die eng mit Schreibmaschine getippten Zeilen, die etwa die Hälfte des Papiers füllten und schob ihn dann wieder vorsichtig zurück. Versteckte ihn unten im Koffer.
Leichter Wind bauschte die fast durchsichtigen Gardinen auf. Vom Bett aus starrte sie auf die Zimmerdecke, auf der sich durch die Leuchtreklame ein blickendes Rechteck abzeichnete.
Dann schlief sie ein.

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Kommentare zu diesem Text


 Bella (27.01.18)
Wirklich spannnend erzählt! Wie geht es weiter? :)

 Sekundärstille meinte dazu am 27.01.18:
Hey, danke für Dein Kommentar und Deine Empfehlung! Wies weiter geht erfährst Du demnächst ;)

 Bella antwortete darauf am 27.01.18:
Cool!

 princess schrieb daraufhin am 27.01.18:
Ich möchte auch wissen, wie es weiter geht. Unbedingt möchte ich das wissen!

 Sekundärstille äußerte darauf am 28.01.18:
Liebe Princess, das freut mich!
Danke für Dein Kommentar!

 Lluviagata (27.01.18)
Der Beginn einer spannenden Story, der Absprung vom Elternhaus; schon tausend Mal gelesen und doch immer wieder faszinierend. Du solltest nur noch ein bisschen feilen, hie und da sind ein paar Schusselfehlerchen [Irgendwann sind nämlich Träume so abgewetzt, so ausgeschlachtet, dass sie alle Stahlkraft verloren haben und man aufgibt. (Stahlkraft bzw. Strahlkraft? Was bedeutet das eigentlich?)] oder ungelenke Formulierungen [Sie rannte nach oben, die knarzige Holztreppe, mit den Familienportraits an der Wand. (Hier keine Aufzählung.)] oder überflüssige Kommasetzung. Freue mich auf die Fortsetzung!

Liebe Grüße
Llu ♥

 Sekundärstille ergänzte dazu am 28.01.18:
Vielen Dank für Deine Anmerkungen!
matwildast (37)
(27.01.18)
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 Sekundärstille meinte dazu am 28.01.18:
Hättest Du lieber die Gegend um Bad Oldesloe gehabt?
matwildast (37) meinte dazu am 28.01.18:
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 Sekundärstille meinte dazu am 28.01.18:
Hast Du was gegen Los Angeles? Eigentlich war das eher eine spontane Sache, ich dachte, hm, warum nicht Amerika?
matwildast (37) meinte dazu am 28.01.18:
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Graeculus (69)
(27.01.18)
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 Sekundärstille meinte dazu am 28.01.18:
Die Highschool umfasst doch die Stufen 9-11 etwa, oder liege ich falsch? Danke Dir.
Graeculus (69) meinte dazu am 28.01.18:
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 Songline (27.01.18)
Der Text macht neugierig auf die Fortsetzung.
Liebe Grüße
Song

 Sekundärstille meinte dazu am 28.01.18:
Das freut mich!!! Die Fortsetzung kommt bald!

 EkkehartMittelberg (27.01.18)
Deine Erzählung enthält mehrere ungelöste Spannungsmomente.
Ich vermutete zum Beispiel, dass der schmierige Typ, der sie mitnahm, sie bald vergewaltigen würde. Wird er das noch versuchen?
Wozu dient der Schlüssel, der neben dem Schwarweißfoto klebt?
Wird er einen Tresor für sie öffnen oder wird er ihr vorher gestohlen?
Du solltest die Geschichte wirklich weiter schreiben.
Gruß
Ekki

 Sekundärstille meinte dazu am 28.01.18:
Lieber Ekkehard, vielen Dank für Deinen Kommentar, freut mich sehr. Klasse, dass Du Lust hast, weiterzulesen
Es wird bald eine Fortsetzung geben!
Ich beantworte Dir die Fragen lieber mal nicht, damit die Spannung bleibt
Liebe Grüße! Jan
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