(2) - Krankheit
Lyrischer Prosatext
von autoralexanderschwarz
I
Wir ringen noch immer mit uns selbst, versuchen unser Leben in den Griff zu kriegen
und verbrühen uns dabei fast täglich an neuen und zu heißen Getränken,
wir haben nicht gelernt vorher lange genug zu rühren oder vorsorglich
über den Löffel hinwegzupusten,
doch irgendwann gewöhnen sich selbst die schwärzesten Augen
an die Dunkelheit und wir schlafen so traumlos tief
selbst mit Brennnesselwadenwickeln,
wir haben nur noch einen letzten Elfenbeinsplitter,
der im Dunkeln gelegentlich leuchtet;
noch wissen wir nicht, wofür wir ihn aufgehoben haben.
Vielleicht werden wir ihn aber noch gebrauchen können.
Das Bett hütend, fühlen wir uns so roh und wund
und das Leben wie einen Fleischhammer;
bald wird es uns gänzlich flachgeklopft
und dabei vollständig verzärtelt haben.
Nach einer solchen Behandlung bleibt man dann wohl
nicht einmal mehr zwischen den Schneidezähnen hängen.
So stemmen wir uns gegen die Genesung, gegen das Vergessen.
So harren wir irgendwie aus,
so harren wir.
II
Wir wünschen uns einen kafkaesken Rausch, um all das ausdrücken zu können und
werden dabei innerlich so krank, weil mit einem Mal äußerlich alles so fehlt;
schließlich verbünden sich alle traurigen Gedanken miteinander
und kriechen gemeinsam bis unter die Haut,
saugen sich voll Blut und Eiter und schwellen in unseren Köpfen an,
alles zirkuliert in prallen literarischen Hämorriden,
die immer wieder unbemerkt zwischen den Zeilen zerplatzen,
ständig hängt uns etwas im Weg und alles verschmiert so furchtbar schnell,
man kann selbst im Schritttempo kaum mehr
die Straßenmarkierungen erkennen;
noch immer fahren wir viel zu schnell:
wir wissen es selbst.
III
So wollen wir uns erst einmal zurückziehen, aber unser Schneckenhaus ist zu klein,
die ersten Risse kriechen schon nach Sekunden durch den Kalk,
ständig quillt etwas von uns nach draußen und so sehen wir nur noch einen Ausweg:
Wir müssen von nun an unsere Prosa wieder singbar machen,
wir brauchen entweder wilde Vögel oder andere Singstimmen,
wir müssen rhythmischer werden,
mehr auf die langen Vokale achten:
all das, was wir flüstern, muss man auch in die Ohren schreien können:
Für zumindest eine Show wollen wir auf der Bühne knien wie Oswald Henke
und mit Kopfstimme wenigstens einen kleinen Teil
unseres Blutes über ein fremdes Publikum hinausschreien.
Wenn schon die Masse unsere Trauer nicht versteht,
sollen sich wenigstens traurige Teenager
im Takt unserer Lieder ihre Arme ritzen.
Irgendjemand dort draußen muss doch schließlich diesen Schmerz spüren.