Maulbeeren

Skizze zum Thema Zukunft

von  blauefrau

Wenn ich mich in ein Haus hineinversetzen könnte, dann wäre es ein Haus, das aus vielen Zellen besteht, die wie Maulbeeren angeordnet sind und in einer geöffneten Riesenkugel liegen, die nach Bedarf zugeklappt werden kann.
Die Kugel ist mein Stammsitz. Hier ist meine Identität verankert. Täglich lassen sich die Zellen, die als Räume und Funktionsbereiche dienen, umstellen. Do!, befehle ich. Do!
Nebeneinander, untereinander, übereinander bewegen die Zellen sich.
Wenn ich möchte, dass es dunkler wird, nimmt ihre Oberfläche eine dunkle Schicht an. Soll es heller, gleißender werden, so werden die Außenflächen heller, funkelnder.
Die Zellen lassen sich auch einzeln in Bäume hängen. Sie baumeln dort an starken Ästen wie gläserne Früchte.  Laub und zwitschernde Vögel umgeben mich in der von mir gewünschten Höhe. Ich kann sagen: Niedriger! Höher! Do!, und ich hänge niedriger oder höher.
Ich kann - Do! - eine oder mehrere Zellen zusammenschließen,  zu Zellverbänden anderer Menschen aufschließen und dort andocken. Möchte ich zum Beispiel Tante Agathe besuchen, reise ich mit einer meiner Zellen zu Tantes Zellverband, verbinde mich mit ihm und gehöre vorübergehend dazu. So kann ich Agathe den Haushalt führen, sie bei ihrem täglichen Kleinkram unterstützen und dennoch bei mir sein, in meinem Gehäuse. Will Agathe wieder alleine sein, beame ich mich mit meiner Zelle zu meinem Zellverband zurück.
In den letzten Monaten kamen einige Freundinnen in ihren Maulbeeren zu mir. Wir bildeten eine Art WG, führten enge Gespräche miteinander, kochten in meinem Kochzellverband zusammen und erfreuten uns an dem Schaukeln der Äste und Zweige. Und dann entschieden wir, nach Monte Carlo zu fliegen, beamten unseren Zellverbund nach Carlo und spielten Roulette: dafür mussten wir uns nur zwei Meter von unserem Zellverbund entfernen.
Ronja, die sich ihren rechten Fuß verstaucht hatte, brachten wir in unserem Zellcluster zur orthopädischen Abteilung eines Krankenhauses; wir konnten sie den einen Meter zur Untersuchungsliege abstützen, und nach der Behandlung führten wir sie in unsere Zellen und versorgten sie mit Kaffee, Kuchen und Umarmungen. Am Tag drauf lösten wir unseren Zellverband auf: Do!, und flogen zu unseren Stammsitzen in alle Himmelsrichtungen zurück.
Wenn ich einmal sterben sollte, werde ich dafür sorgen, dass sich bis auf meine Schlafzelle alle Zellen löschen werden. Ich werde in meiner gekühlten Zelle in einen Friedhofszellverband integriert werden. Ein hinterlegter Code wird dafür sorgen. Auch am  Ende bin ich bei mir.

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (10.09.18)
Hört sich recht gut an.
Um es richtig zu verstehen, müsste ich allerdings wissen, was es mit dem "Do" auf sich hat!
Liebe Grüße
TT

 blauefrau meinte dazu am 10.09.18:
Do! soll der Befehl sein, der die Änderung(en) vornimmt.
In Programmiersprachen verwendet man do! als Befehl( von : to do ...)
Viele Grüße blauefrau
Krotkaja (38)
(10.09.18)
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 blauefrau antwortete darauf am 10.09.18:
Tante Ro. Tante Ro darf ruhig in meine Zellen beißen. Ihre Zähne beißen wohl auf Unbekanntes. Die Außenhüllen meiner Zellen sind nur durch einen Code angreifbar. Mit Progranmmieren hat Ro es nicht so!

 blauefrau schrieb daraufhin am 16.09.18:
@Krotkaja: Die Maulbeeren haengen mit meiner urspruenglichen Betrachtung eines idealen Wohnortes zusammen: der Gebaermutter. Das Zellkonglomerat, morula, bestehend aus 32 Zellen, sieht aus wie ein Maulbeergebilde - mir gefiel diese Vorstellung immer - und ist auf dem Weg in die Gebaermutter.

Antwort geändert am 16.09.2018 um 19:24 Uhr

Antwort geändert am 16.09.2018 um 19:25 Uhr
Krotkaja (38) äußerte darauf am 16.09.18:
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 blauefrau ergänzte dazu am 18.09.18:
Was hälst du davon , meine Kommentar mit "morula" an den Anfang meines Textes zu stellen?
Krotkaja (38) meinte dazu am 18.09.18:
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 EkkehartMittelberg (10.09.18)
Ein origineller Text, der den meistens negativ besetzten Begriff Zelle (Gefängniszelle) aufwertet.
LG
Ekki

 blauefrau meinte dazu am 10.09.18:
Zellen in Handies und ihren Chips finde ich nicht ganz so negativ.
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