Autismus on the Beach - In den Dünen von Maspalomos

Erzählung zum Thema Sonne

von  toltec-head

Urlaub in Playa del Ingles endet in Katastrophe, nachdem ich herausfinde, dass Fredrik sich heimlich ein Bareback-Profil zugelegt hat. Ich schmeiße ihn raus (schon am Montag war er von dem vermaledeiten Yumbocenter erst um 6 Uhr morgens zurückgekommen). Schlafe schlecht und als ich ganz früh am Strand meine Yoga-Übungen machen will, stolpere ich in einer der Dünen, wo er offenbar übernachtet hat, beinahe über ihn. Wir schauen uns kurz wütend in die Augen und ich mache sodann einen Bogen. Seitdem kein Kontakt mehr. Sein Profil auf Planetromeo hat er für mich gesperrt. Schreibe Miki auf Facebook an, der Fredrik noch von Prag her kennt. Ob ich eigentlich gewusst habe, dass Fredrik Autist sei? Mit einem Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. 3 Jahre, wenn auch mit Unterbrechungen, zusammen, auch war es nicht der erste gemeinsame Urlaub - Autist also?  Die ganze Zeit wohl genug damit zu tun gehabt, vergeblich - wie sich jetzt herausstellt - selber einer zu werden.

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Die Woche zuvor in Hannover noch zusammen in der Oper, Madame Butterfly. Ich fabuliere für Fredrik hinterher eine verschwulte Prager Fassung zusammen: Jeff Pinkerton ein schwuler New Yorker mittleren Alters reist auf der Suche nach Frischfleisch Anfang der 90er nach Prag, dem damaligen touristischen Mekka für schwule, schon leicht angegraute Männer mit Geld. Er gabelt auf der Straße den 17jährigen František auf, der gerade erst aus einem kleinen Provinznest auf der Flucht vor seinen Eltern in die große Stadt gekommen ist, um dort seine Homosexualität auszuleben, unschuldig wie er ist, vorerst in Form einer großen Liebe, versteht sich. Pinkerton will natürlich nur seinen schnellen Spaß, gaukelt aber Liebe vor und verspricht, František als seinen festen Freund mit nach New York zu nehmen. In Wirklichkeit wartet in New York in einem gemeinsamen Apartment derweil sein gleichaltriger Freund auf ihn, mit dem der Sex zwar schon seit langem langweilig, der aber ebenfalls einen guten Job hat, so dass sich kulinarische und kulturelle Genüsse auf Augenhöhe aus Schönste gemeinsam genießen lassen.  Trotz des tollen Sex wird der kaum Englisch sprechende František Jeff sehr schnell langweilig  und er schwindelt ihm vor, wegen eines plötzlich Todesfalles in der Familie plötzlich zurück nach Amerika zu müssen, aber alsbald wieder zu kommen. Nach einem Jahr ist er immer noch nicht wieder da. Bei František, der mittlerweile als Escort arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wird anlässlich einer Routineuntersuchung eine HIV-Infektion festgestellt. Er kehrt zurück in sein Provinznest und stirbt im Hause seiner Eltern jämmerlich an AIDS, bis zuletzt in dem falschen Glauben an seine große Liebe zu Jeff und eine gerechte Strafe für sein Escortdasein. Jeff und sein Freund halten sich mit teuren Medikamenten über Wasser und beschließen, bevor sie sterben, noch einmal eine gemeinsame Pragreise zu machen. Jeff macht sich auf die heimlich Suche nach František, der aber schon bei seinen Eltern ist. Um sich schadlos zu halten, verschwindet Jeff nach dem gemeinsamem Kulturprogramm und einem opulenten Abendmahl in einem vornehmen Prager Restaurant in einer Schwulensauna, in welcher er die ganze Nacht lang wahllos ungeschützten Analverkehr hat. Sein Freund liegt im Hotelzimmer und kann nicht schlafen. Versöhnungsszene am Morgen, wo sie dann doch noch einmal ansatzweise Sex und ein tolles aufs Zimmer gebrachte Frühstück mit Champagner im Bett haben.

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Im Flugzeug in den neuen Sloterdijk-Tagebüchern gelesen. Auf seine betulich-behäbige Weise führt der Philosoph inklusive angestrengtem Fahrradgestrampel sein Schonprogramm fort. Der Begriff des Bio-Blogging ist ihm fremd. Er kennt nur das antiquierte Tagebuchschreiben, von dem er sich als darauf auch noch stolzer intellektueller Komödiant zudem distanziert. Um ein Tagebuch im eigentlichen Sinne handele es sich bei seinem Buch nicht, da dieses hierfür nicht erzählerisch und indiskret genug sei. In der Tat. Und für Bio-Blogging müsste er, damit es wirklich auch zumindest ab und zu einmal weh tut, wenigstens Versuche unternehmen, Leben und Schreiben ohne Schielen auf die Buchform miteinander zu koppeln. 

Ich führe kein Tagebuch, ich mache Notizen, täglich oder nicht. Ich mißtraue den Autoren von Tagebüchern, sobald sie ihre inneren und äußeren Zustände in ganzen Sätzen darstellen, als ob ihnen nie der Zweifel an der Abbildungstauglichkeit von Sätzen begegnet wäre, Ich habe noch nie etwas erlebt, was wirklich einem ganzen Satz entsprach.

Wenn Lacan sagt, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, was ja noch ganz andere Enttäuschungsmöglichkeiten als die Abbildungsuntauglichkeit von Sätzen birgt, so impliziert dies mitnichten, dass man es nicht doch zumindest, und nicht nur einmal, sondern immer wieder, versuchen sollte. Dramaverweigerung aus angeblicher Einsicht als Drama des intellektuellen Komödianten.  Der in Pattaya Urlaub auf der Suche nach She-Boys machende Luhmann scheint hiervon vor seinem Tode zumindest noch etwas geahnt zu haben. Die Nachlassverwalter in Oerlinghausen geben die geheimen Notizen nur noch nicht heraus.

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