Deutscher eskaliert

Manifest zum Thema Identität

von  Oreste

Täglich um fünfzehn Uhr begibt es sich, dass Wahnfried Deutscher eskaliert.


....Halt! Wahnfried Deutscher? Warum nur dieser alberne Name?
Nun, Wahn und Fried schließen – vorausgesetzt, man lege es nun nicht darauf an, semantische - Pardon - Korinthen abzuseilen – einander aus. Was bleibt, ist ‚Deutscher‘. Deutscher gilt als Mann ohne Eigenschaften – dahingegen als Mensch des gepflegten Auftritts. Kurzum: Deutscher erfüllt alle Voraussetzungen, ohne Skrupel oder Freiwillige-Feuerwehr-Mitgliedschaft als Ein-Mann-Volk, sprich Bürger gewordener Öffentlich-rechtlicher Rundfunk bezeichnet zu werden. Konkret? Deutscher trägt seinen Seitenscheitel zentral. Dazu Bauch. Und eine Sehhilfe aus Feinripp. Muss ja!
....Weiter im Text.



Das eingangs statuierte Szenario spielt sich folgendermaßen ab:
....Zunächst verspürt Deutscher ein impertinentes Kribbeln in der kleinen Zehe, linksfüßig, linksbeinig, gefolgt von einem apokalyptischen Spannen in der rechten Elle. Vereint Deutscher richtet sich auf. Wackelnd stellt er sich auf die Hacken und greift nach den fernsten unter den Sternen. Gesamt Deutscher steht unter Dreiphasenwechselstrom, ein Körperteil seiner Wahl verfärbt sich mit einem durchaus sichtbaren Knall rot => Bärenmarke Schüttelshake (Erdbeer-Vanille).
....Jetzt schwillt Deutschers Brust an, was derartig rasant geschieht, dass er sich vermittels germanisch-heroischer Gebärde – wie einst Hulk Hogan dies legendäre knallgelbe Achselshirt – seine quietschbeige Anglerweste vom Leib reißt, und dabei grinsend wie ein Honigkuchenkrokodil in Wahrheit doch die Dritten fletscht. Deutschers obrigkeitshörige Brustbehaarung tut es ihm gleich, will sagen richtet sich mit einem durchaus denkbaren Schlag nun ebenfalls auf. Erinnert dabei in Optik und Haptik an ein hochwertiges Nagelbrett aus dem Traditionshaus „Nagel & Brett“.
....Deutschers Augen? Von Bier unterlaufen. Deutschers Blick? Absolut töricht. Deutschers Strümpfe? Unter die kritische Marke von viereinhalb Fingerbreit abwärts der Kniescheibe verrutscht. Zum grande finale von Deutschers kleinem, aber feinem Metamorphosentrick röhrt er noch einmal auf wie ein Hirsch in der Brunft, um unmittelbar darauf zu implodieren. Dabei fällt Deutscher in sich zusammen wie ein direktemang im Missglücken begriffenes Wurstsoufflé eines unbegabten, doch innerhalb der werberelevanten Zielgruppe populären Fernsehkochs. Pffft. Und aus.


*******Wichtige Mitteilung, wichtige Mitteilung!*******
*******Deutscher schwitzt, Deutscher schwitzt!*******
*******Bitte weitersagen, bitte weitersagen!*******

Für gewöhnlich befindet sich Deutscher zur schicksalsträchtigen Tageszeit an seinem Arbeitsplatz im Büro. In den Anfangsjahrzehnten schloss Deutscher sich immer kurz vor fünfzehn Uhr aufs Firmenklo ein, sodass keine seiner Kolleginnen und keiner seiner Kollegen vom wahnfried’schen Armageddon Notiz nahm. Unnötig zu erwähnen sind die Sanitäranlagen nicht oder nur bauverpfuscht schallgedämmt – drum röhrt Deutscher brünftig in die Schüssel. Fürwahr hat sich das halt einfach so bewährt.
....Einmal jedoch war jenes Örtchen der erstunkenen Stille besetzt, und die gesamte Etage bekam eine Performance dargeboten, welche sie bis heute zu verdrängen nicht imstande war. Freilich, ein paar Perverslinge und Brunhilden auch lediglich nicht willens. Rund zwei Drittel der an jenem Nachmittage anwesenden Belegschaft hielt dreist mit dem Smartphone drauf. Total prompt bedurfte es Blitzmerker Deutschers sämtlicher Überredungskünste bzw. finanzieller Rücklagen, um die noch jungfräulichen Filmchen nicht bereits wenige Wischbewegungen samt Touchberührungen später auf ebenso sämtlichen sozialen Plattformen gelikt, geteilt und endsgehypt zu wissen.
....Mittlerweile – muss man ehrlich sagen, doch – nimmt das gemeine Bürovolk Deutschers Eskalationen mit kollegialem Humor. Ja, Deutscher trägt unter ihnen gar den pfiffigen Spitznamen „Werfried“, andere nennen ihn „Der Hulk aus der Buchhaltung“ oder (wer‘s eilig hat) schlicht: „Das Hirsch“ – doch immer augenzwinkernd und niemals in herabwürdigender Weise! Gottlob! Welch dufter Haufen vor dem Herrn! Ja, wo findet man so etwas heutzulande noch? Hierzutage auch?


*******Wichtige Mitteilung, wichtige Mitteilung!*******
*******Deutscher stinkt, Deutscher stinkt!*******
*******Bitte weitersagen, bitte weitersagen!*******

Heute ist Deutscher krank. Aus Gründen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt seinem Vorgesetzten – in doppelter Ausführung – vor. Deutscher sitzt daheim in seinem Fernsehsessel, liest kein gutes Buch und klopft sich – weil es halt lustig ist – abwechselnd auf die Schenkel. Weil er es will. Weil er es muss. Weil er‘s halt kann.
....Fünf vor Drei. Deutscher erhebt sich von seinem Thron. Vier vor Drei. Deutscher begibt sich gen Klo. Drei vor Drei. Deutscher klappt präventiv den Klodeckel hoch. Zwei vor Drei. Deutscher bestellt sich per Doppelklick bei Abdul eine Pizza Vier Jahreszeiten – vier mal Herbst. Korrigiere: Spätherbst. Mjammi. Eine Minute vor Drei. Es schellt an der Tür. Deutscher erwartet für heute seine Monatslieferung Anglerwesten. Einunddreißig Stück – einunddreißig Gründe, gar gute Gründe, heute blau zu machen.
....Kein Vertun, die muss Deutscher – nach zuvor (sic!) eingehender Prüfung auf mutmaßliche Mängel – entgegennehmen; muss er selbst aus vorhersehbaren, ja naheliegenden Gründen gegen die persönliche Entgegennahme (sic!!) zu exakt diesem Zeitraum (sic!!!) zugestellt bekommen. Trug er bereits seine reserve-second-skin doch nun mehr am Leib und war es doch nur mehr keine Frage weniger Augenblicke bis zur neuerlichen Häutung. Wie – außerdem – solle Deutscher bitteschön am nächsten Werktag moralisch unbeschadet die Paketstation in der Bismarckstraße erreichen? So mit neugewonnener Menschenwürde, dafür ohne quietschbeige Anglerweste. Möglicherweise ein Ding – und dieses war Deutscher ins kollektive Bewusstsein gestanzt – der Unmöglichkeit. Nein, Deutscher hat keine Wahl. Er muss zur Tür. Sie öffnen. Lächeln und nicken. Nicken und lächeln. Voraussichtlich aber der freundliche (Lüge) Paketbote (doch nicht) gleich sehr, sehr stark sein. Oder Horrorfan. Oder Pornofan. Am besten Japaner.


....Stopp! Was’n jetzt schon wieder? Ich fasse mich kurz – Ehrenwort.
Wie bereits erwähnt, sucht man besondere Merkmale bei Deutscher vergebens. Allerdings – und hier wären wir auch schon beim nationalen Clou angelangt – in der Art vergebens, dass deren konsequente Abwesenheit hinwiederum als ein ebensolches gelten darf, nein als DAS Alleinstellungsmerkmal Deutschers gelten muss. Ähnlich einem Klischeeblümchen, wo es nach Beendigung des Rupfvorgangs mal auf ein: „Gibt‘s da nicht was von Stereotyp?“ hinausläuft, und ein andermal aufs: „Deutscher, mein Name – jut’n Tach, Marie!“ Was noch? Deutscher trägt seinen Bierbauch im Verstand. Dazu Gelfrisur. Und eine Vintage Blue Jeans aus Goldgräberlanden. Yee-haw!
....Weiter im Text.



Deutscher öffnet die Tür – zack! – Eskalation.
....Eine Handvoll Minuten und ein Urröhrer später blickt Deutscher – statt in zwei tüchtig aufgerissene, gut bürgerliche und latent lusterfüllte Paketbotenaugen – auf seine unlängst zugezogene Nachbarin. Eine bildhübsche Hirschkuh mit schwarzbraunen Rehaugen und grellolivem Angler-Top, unterfüttert von zwei prallen Quallen. Wahrlich! Zwei Kerle von Statur => eine Perle der Natur!
....Hirschkuh fragt Deutscher, ob er ihr ein Stück Butter (halbfett) und zwei Sack Eier (braun, Größe XL, wenn möglich Doppeldotter) ausborgen könne. Deutscher willigt ein. Steckt ihr ein fettes Stück Deutscher Markenbutter unters Röckchen. Dann besteigt er sie.


Und wenn sie nicht …
dann rammeln sie …
Darauf einen Dujardin!


Anmerkung von Oreste:

2017

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Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (07.11.19)
Was mir als erstes auffällt, ist der Nachname, der natürlich Assoziationen auslöst. So ganz kann ich mich beim Lesen nicht davon befreien. Versuche ich es mit einem anderen Namen, bekommt der Text eine völlig andere Deutungsmöglichkeit. Du spielst hier mit Zuordnungen durch den Leser und das ist es, was mir grundsätzlich gefällt!
Clever geschrieben, durchdacht und ausgeführt!
Ich bin begeistert!

Lotta

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 08.11.19:
Ich habe keine Ahnung, um was es geht.
Cora (29) antwortete darauf am 08.11.19:
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 LottaManguetti schrieb daraufhin am 08.11.19:
@Dieter, das ist auch nicht schlimm. Schlimm wirds erst, wenn du mit Gewalt verstehen willst und anfängst dich zu ärgern, weil es dir nicht gelingt.
Kleiner Tipp: versuchs mal anders zu lesen, nicht wie ein Fibeltext.

Lotta

Antwort geändert am 08.11.2019 um 08:10 Uhr

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 08.11.19:
Ich denke, da ist nicht viel (keine?) Substanz unter der Oberfläche.
Oreste wollte vielleicht einfach nur sich verbal auskotzen ...?

Die treffende Bezeichnung ist: Der Text ist bramabasierend.

 LottaManguetti ergänzte dazu am 08.11.19:
Du meinst bramarbasierend?
(bramar=span. brüllen)
Ach, die lieben schönen fremden Wörter!

Aber wenn es dir hilft!

Antwort geändert am 08.11.2019 um 16:00 Uhr

 Oreste meinte dazu am 08.11.19:
"Ich habe keine Ahnung, um was es geht."

Willst du damit andeuten, du erkennst dich in dem Text nicht wieder, Dieter?

 Oreste meinte dazu am 08.11.19:
@Lotta & Cora

Ich danke euch.
Agneta (62)
(07.11.19)
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 Oreste meinte dazu am 08.11.19:
Danke, Agneta!
Fisch (55)
(07.11.19)
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 Oreste meinte dazu am 12.11.19:
(Ich suche immer noch nach dem passenden Emoji als Antwort auf deinen Kommentar.)
Paulila (55)
(08.11.19)
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 Oreste meinte dazu am 12.11.19:
Danke, P. Danke für die Deeskalation, ja mehr noch Auflösung meiner Befürchtung, ich hätte dieses streng deutsche Manifest versehentlich auf kabardinisch verfasst. Danke!

O.
Sätzer (77)
(10.11.19)
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 Oreste meinte dazu am 10.11.19:
Der Titel ist eine Metapher, Uwe, und insofern metaphorisch zu verstehen.

O.
Sätzer (77) meinte dazu am 10.11.19:
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 Oreste meinte dazu am 10.11.19:
Ob Metapher oder nicht spielt hierbei die einzig relevante Rolle.

Wie gefällt dir der Text, Uwe?

Antwort geändert am 10.11.2019 um 17:31 Uhr
Sätzer (77) meinte dazu am 10.11.19:
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 Oreste meinte dazu am 10.11.19:
Danke!

Ich glaube, wir haben einen unterschiedlichen Humor.

 LottaManguetti meinte dazu am 10.11.19:
Gestatten, ich muss mal laut auflachen.
Schuldigung!



O., du solltest vielleicht mal darüber nachdenken, in deinen Texten wahllos über ein Weibchen herzufallen. Dann klappt das auch mit Uwi!


 Oreste meinte dazu am 11.11.19:
Lustig, tue ich hier doch genau das. Stichwort Hirschkuh. Leider hat Sä - wie er schreibt - es bis dorthin nicht geschafft.

*seufz
Sätzer (77)
(10.11.19)
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Paulila (55) meinte dazu am 11.11.19:
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 Oreste meinte dazu am 11.11.19:
Würde mich auch interessieren.
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