Ein Schwabenstreich

Rezension zum Thema Intelligenz

von  Quoth

Ein Dichter, der das Y im Namen seiner geliebten Lydia so besingt:

Lydia, Wort, das beglückt, wonnig tränkst du mein Ohr!
Wie das Juwel verschönt die golden schimmernde Fassung,
gibt das Ypsilon dir, Lydia, tieferen Reiz –,

ist nicht weit vom “Delta der Venus“ entfernt, das Anais Nin zum Titel ihres berühmtesten Buches machte. War es Horaz, der das Y rühmte? Nein, es war ein schrulliger schwäbischer Privatdozent für Indologie und alte Sprachen im Jahr 1937, und er erfand einen für seine Zeit sensationellen Alptraum: Ein Führer namens A hetzt den Rest des lebendig gewordenen Alphabets, das in Bürgerkrieg zu verfallen droht, auf gegen das fremdvölkische Y, das auf den höchsten Wipfel eines Baums flieht, um nicht massakriert zu werden – der Dichter ihm nach, er beschwört es, zu bleiben, weil es so herrliche Worte wie Mythos, Mystik, Lyrik und Physik (und natürlich Lydia) ermögliche. Es bleibt offen, ob die Hetzrede des A Erfolg hat oder nicht, da der betrunkene Träumer aus dem Bett fällt und aufwacht. Kurz nach der Veröffentlichung dieses Gedichts mit dem Titel „Y“ – es gewinnt auf einem angesehenen Wettbewerb sogar die Goldmedaille! - wird der schrullige Privatdozent von den Nazis zum außerordentlichen Professor befördert. Wie kann das sein? Der Dichter Hermann Weller, genannt der "Horaz des 20. Jahrhunderts" - hat das Gedicht in Latein verfasst …


Anmerkung von Quoth:

http://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/GermLat/Acta/Dubielzig.htm
http://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost20/Weller/wel_cyps.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Weller

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Kommentare zu diesem Text


 Willibald (08.11.21)
Hier die Brandrede von A gegen Y:

Sermonem studet hic sensim vitiare Latinum:
Publica res agitur vitaque nostra, viri!
Nec, quia sacra lues nondum pervenit ad ima
Viscera, securi spernite tale malum. …
Ne moror exemplis, memoro pro pluribus unum:
Te quoque turbari, tu Tiberine, doles.
Qui Tiberis Latio celebrari nomine gaudes,
Thybridis impura voce notatus oles.
Haec si pernicies vel sancta vocabula tangit,
Verborum plebem qualia fata manent?
Nec parat insidias tantum: nos despicit omnes;
Iactat enim patriam conspicuumque genus.
Graeculus est sane: ψιλός, calvusque levisque,
Vox vero querulum vixque virile sonat.

Die lateinische Sprache will der da schleichend vergiften:
Um den Staat und um unser Leben geht es, Männer!
Wiegt euch nicht in Sicherheit und seht über eine solche Gefahr hinweg, nur weil die verfluchte Seuche noch nicht die innersten Organe angegriffen hat.  … Um euch nicht mit Beispielen aufzuhalten, nenne ich nur eines anstelle vieler: Auch du, Tiberfluss, fühlst dich schmerzlich aufgewühlt: Der du dich freust, als Tiber bekannt zu sein, stinkst nun zum Himmel, da dich das unreine Wort «Thybris» brandmarkt. Wenn solches Verderben selbst heilige Ausdrücke angreift, welches Schicksal erwartet dann das gemeine Volk der Worte?  – Er lauert uns auch nicht nur hinterhältig auf, sondern zeigt uns allen offen seine Verachtung: Er prahlt ja mit seinem Vaterland und seinem berühmten Geschlecht. Ein Griechlein ist er offensichtlich: dünn, kahl und mager. Seine Stimme aber klingt weinerlich und unmännlich!

Man vergleiche dazu Martin Korenjak: Geschichte der neulateinischen Literatur: Vom Humanismus bis zur Gegenwart C.H.Beck. München 2016.

 Quoth meinte dazu am 08.11.21:
Vielen Dank für diese Kostprobe, Willibald! Gruß Quoth

 Quoth antwortete darauf am 08.11.21:
Und Dank für die Empfehlung, LotharAtzert!
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