Glauben oder nicht?

Text

von  Fridolin


Es stimmt ja, es gibt diese drei Gesichter: allwissend, allmächtig, (all)-gütig. Drei „Narrative“ sozusagen. Das alles hat man mir über Gott erzählt.

Ach das könnte schön sein, sang einst Wolfgang Neuss:
Wenn es da einen gäbe, der garantiert stärker ist als alle anderen, und der wäre mein Freund, und auch noch so eine Art Super-Wikipedia. Er könnte diese ganzen Mordwerkzeuge einsammeln und unbrauchbar machen und hätte Tipps für jede Lebenslage.

Dass ich so etwas glaubte, das wollte man aber damals offenbar nicht. So etwas galt als „kindisch“, wurde dem Ernst der Sache nicht gerecht. Es schien fast so, als könnte der hohe Herr einem das übel nehmen, wenn man so über ihn dachte. Besonders gütig konnte er dann aber auch nicht sein.

Ich könnte übrigens nicht sagen, ob die Erzähler ihre Geschichten wirklich glaubten. Wenn ja, dann die meisten vermutlich in rosinenpickerischer Form. Es war allerdings klar, dass man vorsichtig sein musste mit der Äußerung von Zweifeln, denn es steckte eine mächtige Organisation dahinter. Die Inquisition war für mich durchaus lebendig, auch wenn man niemanden mehr verbrennen oder foltern durfte. Man hatte aber äußerst eindrucksvolle Gebäude errichtet, und da hatte am Sonntag jeder, der dazugehören wollte, für mindestens eine knappe Stunde zu erscheinen. Vielleicht noch imposanter waren die Prozessionen, vor allem die an Fronleichnam, wo nahezu die ganze Stadt fromme Lieder singend und Weihrauchfässer schwenkend in aufwendigst geschmückten Straßen unterwegs war. Welch ein Sakrileg war es, zum ersten Mal dies schwänzend ins Schwimmbad zu gehen. Kein reiner Genuss, das unterschwellige mulmige Gefühl ließ sich nicht recht vertreiben.

Die erwähnten Gebäude waren übrigens auch der Ort, den man regelmäßig für die Beichte aufzusuchen hatte; auch eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Wieso einem, der sowieso alles weiß, von Sünden erzählen? Und alles, was da infrage kam, war im sogenannten Beichtspiegel auch noch mit vielen Einzelheiten schon aufgelistet.

Himmel und Hölle? Mehr Eindruck machte in jedem Fall letztere. Der Himmel wurde überhaupt selten beschrieben, und das, was man da zu hören bekam, war reichlich blass. Warum sollte man sich das wünschen, Engel zur Rechten Gottes sein, Posaunenklänge oder Hallelujas hören, himmlische Heerscharen bewundern? Besonders kindgerecht war das alles nicht. (Damals fiel mir das zwar nicht auf, aber wie vereinbaren sich eigentlich „Heerscharen“ mit himmlischem Frieden?)

Aber dass man die Hölle fürchten sollte, das war schon ziemlich einleuchtend. Den Schmerz von Verbrennungen kannte ich, gezwickt werden mit tausend Zangen? Nein, danke. Da musste man mir nichts weiter ausmalen. Und auch bei der Verortung war die Hölle klar im Vorteil. Während der Himmel irgendwo da oben ungreifbar verschwamm, hätte man für die Hölle nur in den Keller gehen und dort mit dem Spaten ein wenig tiefer graben müssen. Vielleicht auch viel tiefer, aber jedenfalls war es konkret. Zuerst wäre das Fegefeuer gekommen, und noch etwas tiefer dann …

Ich erinnere mich auch an ein schwarz eingebundenes, relativ dickes Buch, das für jeden Tag des Jahres eine Heiligen vorstellte. Die meisten davon waren Märtyrer, und die grausamen Prozeduren, denen sie ausgesetzt waren, wurden ziemlich detailliert beschrieben. Besonders verstörend war die Beschreibung einer Foltermaschine mit Dornen, die auf die Brüste und die Geschlechtsteile zielten. Dass so etwas auch Lustgefühle erzeugen konnte, irritierte mich schon sehr.

Und weil wir jetzt schon im Keller sind: Dort fanden meine Brüder eines Tages ein seltsames Wattebündel, das sich bei näherer Betrachtung als künstlicher Bart entpuppte. Und als dann noch ein roter Umhang gefunden wurde, war klar: Schön verscheißert haben sie uns da. Blieb nur noch die Frage, welcher von den Nachbarn sich dafür wohl hergegeben hatte?

Eine deutliche Mahnung, nicht alles zu glauben, was einem so erzählt wurde. Was aber doch eigentlich nicht im Interesse des Erfinders gewesen sein konnte? Es machte die Religion immer rätselhafter. Ein Versteckspiel.

Es gab auch positive Seiten. Messdiener zu sein machte Spaß. Und auch der „Katholischen Jugend“ habe ich viel zu verdanken. Aber das rechnete ich dem Religionslehrer als Mensch zu, und denen, die mit mir in dieser Gruppe waren, nicht der Kirche.

Wenn ich jemals so etwas wie ein Erweckungserlebnis hatte, dann war das kurz vor dem Abitur. Es gab da sogenannte Exercitien, das hieß eine Woche im Gebäude des Priesterseminars in Würzburg, die von einem Jesuiten geleitet wurde, dem der Ruf vorausging, er könne Dich nach einem Händedruck komplett durchschauen. Er gönnte auch mir fünf Minuten Einzelgespräch, attestierte mir ohne Umstände „ein großes Herz“ und meinte, Gott habe noch viel mit mir vor. Zwei Tage lang habe ich ihm geglaubt, da aber nichts mehr nach kam, wuchs das Misstrauen und war danach stärker denn je. Hätte es aber in diesem Moment jemand gegeben, der das Eisen zu schmieden verstanden hätte, wer weiß? 



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