Halluzinationen zum Thema

Gedicht

von  Tula

Jemand schleppt mich über die siebente Brücke
und glaubt, ich hätte endlich begriffen, während
man unter den Pfeilern bereits ihren Einsturz plant.
Sorgfältig und in unwiderruflichem Schnabel-Dialekt.

Schwachsinnige bewundern verfaulte Landschaften.
Heute fliegen nicht nur Heilige, eigentlich jeder kleine
Fisch, so er nicht vorher vom größeren gefressen wird.
Selbst die Krähen verschlingen jetzt ihre Kinder.

Ein Heer von Besessenen entzündet die Städte, Dämonen
und Narren sind schon lange nicht mehr zu unterscheiden.
Auch das Schwein wird zur Feier geladen, der vornehme
Schlächter kaufte seine Braut im Wachsfigurenkabinett.

Ein Ewig-Heutiger studiert die Prognosen des Königs,
der sich vor Trunkenheit kaum noch halten kann. Im Palast
verrauscht eine Orgie. Im Hinterzimmer wird geschmiedet.
Auf der Kloake davor treiben stolz die Erfolgreichen.

Bäuche quellen auf. Die Schönheit ist einfach überwältigend.
Irgendjemand bildet sich ein, man könne alldem entkommen.


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Kommentare zu diesem Text


 Létranger (10.02.22, 08:13)
Barocke Bilder . Lust im  und am UnLustigen.

LG Lé.
Browiak (67) meinte dazu am 10.02.22 um 09:23:
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 Tula antwortete darauf am 10.02.22 um 21:35:
Hallo Browiak
Über die Erfolgreichen in der Kloake hatte ich mich besonders gefreut  8-)
In der Tat, der Versuch einer zeitlos modernen Deutung eines Klassikers. Wer wäre vom alten Bosch denn nicht beeindruckt?

Dankend lieben Gruß
Tula

 Tula schrieb daraufhin am 10.02.22 um 21:37:
Hallo Lé
Die Dekadenz der Lust ist bei Bosch allgegenwärtig. Auch das macht ihn so faszinierend.

LG
Tula

 EkkehartMittelberg (10.02.22, 12:15)
Hallo Tula, dieser Hieronymus Boschist unglaublich modern und dein Gedicht kongenial gelungen.
Herzliche Grüße
Ekki

 Tula äußerte darauf am 10.02.22 um 21:39:
Danke Ekki
Ja, so war es gedacht. Und auch das muss man in der heutigen Zeit vermerken: Dämonen und Narren sind nur schwer zu unterscheiden.

LG
Tula

 AchterZwerg (10.02.22, 17:58)
Bosch gehört zu meinen absoluten Lieblingen. Er war seiner Zeit weit voraus - weiter gehts nimmer!
Und dein Gedicht interpretiert eines seiner Gemälde absolut ein- und aufleuchtend.

Respekt!

 Tula ergänzte dazu am 10.02.22 um 21:46:
Hallo 8er
Er war zwar nicht der einzige dieser Schule, aber die muss ein künstlerisch rebellischer Klub gewesen, wo andere drum herum sich damit ihr Geld verdienten, fettsüchtige Herrschaften in selbstdarstellerischen Posen (natürlich ohne Pickel und faule Zähne) zu malen. Oder die Kirchen von innen.
Ich habe es mir angeschaut hier im Museum und stand eine ganze Weile davor. Jeder Zentimeter im Quadrat hat ein Detail. Wirklich beeindruckend.

LG
Tula

 harzgebirgler (12.02.22, 18:05)
ein altes gemälde, eindrucksvoll wiederbelebt – gerne gelesen!

das versuchhafte des lebens allgemein
bei nietzsche fällt mir dazu ad hoc ein
der das leben ansieht als „experiment
des erkennenden“ wie er es „fröhlich“ nennt* .
lg
harzgebirgler
* “In media vita! – Nein! Das Leben hat mich nicht enttäuscht! Von Jahr zu Jahr finde ich es vielmehr wahrer, begehrenswerter und geheimnisvoller – von jenem Tage an, wo der große Befreier über mich kam, jener Gedanke, daß das Leben ein Experiment des Erkennenden sein dürfe – und nicht eine Pflicht, nicht ein Verhängnis, nicht eine Betrügerei! – Und die Erkenntnis selber: mag sie für andere etwas anderes sein, zum Beispiel ein Ruhebett oder der Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung, oder ein Müßiggang – für mich ist sie eine Welt der Gefahren und Siege, in der auch die heroischen Gefühle ihre Tanz- und Tummelplätze haben.“
(Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft)



 Tula meinte dazu am 13.02.22 um 14:29:
Hallo harzgebirgler
Da stimme ich dem Nietzsche gern zu. Wer gar nichts mehr lernen will, ist längst dahin.

LG
Tula
corso (64)
(06.04.22, 15:04)
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 Tula meinte dazu am 07.04.22 um 18:07:
Hallo corso
Die Gemälde vom alten Bosch sind in der Tat beeindruckend. Nicht zuletzt hat sich an den durch den Menschen verursachten Schrecken nicht viel zum Besseren hin verändert.

Dieses ist übrigens in Lissabon zu besichtigen. 

Dankend lieben Gruß
Tula
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