LP

Erzählung

von  minze

Dieser Text ist Teil der Serie  Along


Irgendwann ist es so dunkel, dass wir nicht mehr so trennscharf uns ansehen oder nicht ansehen müssen. Ich liege jetzt auf einer Isomatte neben dem Sofa, du liegst auf dem Sofa. Es hat etwas Hündisches, könnte man denken, aber ich hab auch das Gefühl, dass es auf dem Boden ruhiger ist, dort freie Luft zirkuliert. Vielleicht, als wäre es ratsam, nicht die gleiche Luft zu atmen in der Vorstellung von sich auseinander weichenden Luftströmen.


Ich nehme es mir heraus, als mein Rücken schmerzt, mich aufzusetzen, die Schultern zu kreisen. Ich glaube, ich bin jetzt auch in meinem Körper angekommen, nachdem ich eine Weile zu deinen Füßen abgetaucht bin. Ich sitze ungefähr auf der Höhe deiner Beine, die du anziehst, die wieder ein bisschen Raum machen. Dann setzte ich mich mit dem Rücken gegen das Sofa und schaue in den restlichen Raum, den wir uns nun teilen, wir sind ein bisschen auf einer ähnlichen Ebene. Ich blicke mich um, einen halben Schulterblick entfernt erkenne ich dich, du bist schon müde, wir sind beide müde, so unentschlossen zwischen Schlafen und wach bleiben müssen. Unentschlossen zwischen diesen beiden Möglichkeiten und unentschlossen, ob wir warten oder die Zeit an uns nur so, straflos, vorbeigeht. Ich finde mich schüchtern.



Du bleibst so, wie du bist. Die Beine angezogen, sie lehnen an der Sofalehne, lose, sie haben sich eingeknickt in einer guten Position, dein Kopf liegt auf dem Seitenteil, ein bisschen höher als ich schon mit meinem Kopf, ein bisschen so, als wäre er eingebettet, in Sicherheit, aber jetzt so hingelegt, dass er in einer wohligen Situation ist. Er kann nichts machen in dem okayen Zustand, als zu schauen, er wird von sich aus sich nicht wehren.


Er nimmt es hin und kann es hinnehmen, was sich ihm annähert, also schaue ich nur, aber sofort nehme ich diesen ganz offenen Zustand wahr, er ist so, wie er nicht sein konnte, den ganzen zögerlichen Tag hinweg. Bestimmt ist viel die Müdigkeit. Mich zieht es hin jetzt. Ich bewege mich immer etwas, die Schultern gehen noch zurück und vor, ich merke auch genau, dass ich sie gegen das Sofa drücke und deine Beine entspannt bleiben.


Ich lass etwas nach, jetzt hast du mich eingefangen, es wird mir warm, immer mehr. Ich lasse so ab, dass ich schaue, was auf dem Boden liegt oder mal gelegen haben kann, ich sehe Krümel, ich sehe einen rollenden Coladeckel, nur in Gedanken, geh ich kurz hinterher, sehe ein bisschen lebendiger wieder auf deine Stirn, wir sind noch müde, aber interessiert. Es mischt sich eine zwischenzeitliche Wachheit in die frühen Stunden, es hat sich gelohnt, zu warten, weißt du. Und wenn ich an deiner Stirn bin, siehst du mich ernsthaft an und ich drück meine Schultern in die Sofagarnitur, ich drück mich gegen dich, ich drück mich gegen deine Rast und deine Beine öffnen sich.



Es ist nicht auszumachen, ob jemand lächelt, aber ich fange an zu erzählen, ich lege mich jetzt so hin, dass mein Kopf unter deinem liegt und spreche nach oben, eine deiner Hände liegt quer über deinem Kopf, baumelt fast über mir, deine Blicke gehen ein und aus, jetzt ist es konkreter, zwischen mir, dem Straßenlicht aus dem Fenster und der Luft im Raum.


Ich sage dir, wie der Sex mit Ben war, auf einmal kann ich das alles machen, es ist jetzt normal, wieder über Sex zu sprechen.


Ich erzähle alles nacheinander, dass ich an dem Abend noch nicht wusste, dass Portwein kein normaler Wein ist, wie gut das Rollenspiel geklappt hat, auch betrunken, auch, ohne zu wissen, wie die Regeln genau gehen, ich habe das Rollenspiel an dem Abend gelernt. Simone und ihre Freunde spielen Paper-Pen-Spiele regelmäßig. Es war der letzte Abend bei ihr und die eine Gelegenheit, Freunde kennenlernen. Ich war neugierig auf ihr Hobby. Darin konnte man leicht einander begegnen. Vielleicht eher probeweise als ganz direkt. Ben kam dazu, Sarah auch, Ben spielte neben mir, wir saßen auf dem Teppichboden, manchmal lehnten wir an großen, roten Kissen. Ben und ich waren bald touchy, eher im Spiel drin, eher in den Rollen, aber das süße Trinken legte schon eine so sich aufgebende Schwere in alle Widersprüche: Widerspruch, dass er vergeben ist, Widerspruch, dass ich eigentlich aufgeregt war, dich zu besuchen, Widerspruch, dass ich nicht in der Lage war zu wissen, ob ich mit jemanden schlafe, wenn ich nicht verliebt bin oder wenn ich nicht sicher verliebt bin. Also, wie sich allgemein die Süße und Schwere über alles legte, wir nur durch die Tatsache, dass wir zusammen in einer Klappcouch schliefen, schon sofort beieinander landeten.



Ich sage alles und es macht mich weich und ich glaube, du wirst auch weich. Nicht, weil du das mit Ben wissen willst, aber weil ich von mir erzähle. Und mir kommt, dass wir heute nichts getrunken haben. Ich vermute mit einem Einfall, dass du gar nichts trinkst. Wir sehen uns das erste Mal, sind unsicher und trinken keinen Alkohol. Kein Wort davon, ob ich was trinken will, ich habe auch nichts dabei, wir haben nur Cola getrunken und Wasser. Ich werde nachsichtig und ruhig.




Hätten wir getrunken, dann wäre es so vor sich hingegangen, eventuell. Ich werde nachsichtig und sage dir, leise, dass ich nicht weiß, ob ich das mit Ben richtig finde, deine Stimme sagt okay. Ich fühle mich trotzdem noch verwegen. Von dir aus legst du dich seitlich und siehst mich an, fragst, ob ich hoch komme, ich komme auch, du rückst nur etwas zurück und ich setzte mich gegenüber, ich muss auch zurück rutschen. Ich finde deinen Mund offen, ich find' dich weiter sprachlos, aber du fängst an, zu reden, du erzählst mir, was du von mir weißt, du erzählst mir, was du an mir krass findest, auf einmal fängst du an bei der Begegnung vor sechs Monaten, welche Postkarten ich dir von woher geschrieben habe und alles andere. Wenn du meinen Namen sagst, haut's mich weg. Es ist gar nicht so oft. Du sagst es, als würdest du mir versichern, dass du mich meinst. Und ich sag ja, ja, ja, weil es alles wirklich so war.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (18.04.22, 15:28)
Minze pflegt weiterhin einen Judith-Hermann-Stil.

 minze meinte dazu am 19.04.22 um 11:31:
ich werde mir jetzt ein Buch von ihr ausleihen.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 19.04.22 um 13:30:
Es ist immer gut, was Vernünftiges zu lesen.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 19.04.22 um 13:31:
Und was hat der Text mit einer sog. Langspielplatte (LP) zu tun?

 minze äußerte darauf am 19.04.22 um 14:20:
das spiel geht weiter. länger. (abgesehen von der passung hör ich die musikerin lp in schleife)

Antwort geändert am 19.04.2022 um 14:21 Uhr

 Detektivin (22.04.22, 10:35)
Hab geklickt, weil ich die Musikerin LP toll finde und wurde auch vom Text nicht enttäuscht.
Ich finds sehr eingängig und authentisch und sah mich irgendwo auch auf dem Sofa (oder der Isomatte) sitzen. (:

 minze ergänzte dazu am 22.04.22 um 12:24:
Hey, cool, noch ein Fan!! Sie ist the hammer! 
Schön, dass der Text dich so catchen könnte, danke für dein Feedback.
LG
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