flirt

Erzählung

von  minze

Bei der Zugfahrt habe ich keinen Hunger, das ist neu. Ich will mehrmals aufs Klo gehen und pissen, eigentlich kommt kaum etwas, ich wasche mir die Hände und rieche die Umgebung. Ich könnte mich auf dem Klo anfassen, aber will am Platz die Hand unter mich tun, eine halbe Faust, mache es dann nicht. Ich halt kurz die Luft an und denk an die sich auftürmenden Dinge in mir, die jetzt passieren könnten, mit mir, weil ich offen dafür wäre. Ich schaue den anderen Menschen im Zug ins Gesicht und denke an eine nach der anderen Sache, auf der Bank zu knien, etwas warmes in den Arsch zu kriegen, eine aufgeknöpfte Bluse zu haben und einige schauen drauf, ich halt meine Augen geschlossen, will das. Es zieht an mir, die sich ablaufende Zeit, bis ich ankomme. Ich muss mich nicht beruhigen, lasse es, ich kann mich auf dem Level bewegen, auf meine Aufregung zurückgreifen, auch wenn ich zwischen durch doch Zeitung lese und mir die Bahnhöfe merke, an denen ich vorbei fahre.



Als ich in deiner Stadt bin, sehe ich dich bald am Bahnsteig, wir sind sofort im Auto und du erzählst von deiner Arbeit, ich von meiner, über die Kinder reden wir kaum. In diesem Moment bin ich mir unsicher, wer noch alles bei dir zu Hause wohnt. Auf deinem Auto ist ein Aufkleber, ich kann nicht gleich zuordnen, worum es geht, muss dich fragen. Ich höre nicht so genau hin, was wir uns sagen, weil ich darüber nachdenke, wie sehr ich die Geilheit halten kann, auch wenn jetzt eigentlich wenn, dann eine Annäherung passieren müsste, vielleicht erst ein Runterkommen von meiner Wachheit in ein kurzes Anhalten und dann ein erst mal fremdes sich Ansehen. So wild ich mich fühle, braucht es einen mittelbaren Weg.

Ich kann's nicht sofort auf dich übertragen oder bei dir ankommen. Aber die Art und Weise wie ich nur mh und hm mache bei dem, was du erzählst, auch, dass ich etwas stocke, wenn ich was erwidern will, macht mir schon deutlich, dass ich nicht in dieses Kennenlernen will, eigentlich spring ich nur hin und her, bis ich auf einer anderen Ebene an dich ran komme. Es ist auch scheiße, nebeneinander im Auto zu sitzen, auch du wirst stummer in deinem Gespräch, bis jetzt kam nur von dir richtige Information. Du hast mir gesagt, welche Spielräume, Abhängigkeiten und Verantwortungen du wem gegenüber siehst, ablehnst, in deiner neuer Position, ich kann es ganz gut auf meine Stelle übertragen, es sind auch keine sehr überraschenden Einordnungen, beschreibt vielleicht dein aktuelles Standing, so etwas in der Art. Tatsächlich bringst du zuletzt auch ein paar politische Aussagen, zu denen ich doch kurz sage, ob ich's bestätige oder nicht. Es geht immer um die soziale Ungerechtigkeit, darüber können wir gerne sprechen.



Wir haben uns für ein Konzert verabredet und wollten nachmittags quatschen. Vor zwölf Jahren haben wir uns kennengelernt und uns gut unterhalten, in deiner Erinnerung hab ich gut zugehört an diesem Abend. Vielleicht ist das eine besondere Konstellation zwischen uns oder immer dem jeweiligen Tag mit seinen besonderen Bedingungen geschuldet. Ich spreche viel, nicht per se, es gibt schon viele Gründe, für mich auch, den anderen reden zu lassen. Den andern reden lassen zu wollen oder selbst still zu sein. Wir waren mit andern unterwegs und haben am Tresen Bier getrunken, manches im Leben damals war für dich abgefuckt, das sagst du jetzt. Oder du hast auf mich einen müden Eindruck gemacht. Du warst schön, aber ich in zwei anderen Sachen drin, nichts richtig, nur voll im Gefühl. Wenn etwas richtig anzufassen ging, dann war ich dafür noch jung und du älter. Das habe ich mit 18 gedacht, später hat mich mein Mut überholt.







Wir sind bei dir in der Küche und trinken einen Kaffee, du willst einen Espresso anbieten, aber ich sage einfach nein, lieber trinke ich Mandelmilch im Filterkaffee, ist egal, was du da hast an Pflanzenmilch. Es dauert eine Weile, bis du alles parat hast und Tassen ausgesucht, du stehst mit Vieren da, ich wähle mit aus. Dann sitzen wir uns gegenüber und schauen uns es an und grinsen. Die zwei Entscheidungen für Kaffee und Tassen haben uns geholfen, ich bin nicht mehr so verunsichert, darüber, dass all meine Vorstellungen bald verschwinden müssten, für uns, oder dass ich ganz in was anderes switchen müsste, in einen korrigierten Modus. Wenn wir den Kaffee trinken, du hast dir das Gleiche wie ich gemacht, dann empfinden wir die Bitterkeit des Getränks anders, du bist die Milch gewöhnt. Ich trinke langsamer, das ist gut.



Als ich auf dein Klo gehe, mache ich mir etwas Seife unter die Achseln, ich glaube, eine gute Idee, auch wenn ich bedauere, dass du mich so nicht schmecken kannst, aber du merkst dann den Versuch, gewaschen zu sein. Ich komme zurück und merke, dass du auch auf irgendeiner Art von Level bist, schon allein, weil du nicht mehr so viele Sachen erzählst, sondern wir nur lustig auf bestimmte Gesten und Dinge reagieren, die um ums herum passieren. Der Wasserfleck an meinem Shirt, die verschiedenen Pflanzenmilche, die super unaufgeräumte Spüle.



Ich weiß nicht, ob du zustimmst, aber ich lege meine Hand auf dein Bein und ich sage dir, dass ich jetzt flirten kann. Du klappst gleich auf, ich komme her, du riechst nicht so gut, aber, wenn ich weiter rieche, kann ich es trotzdem riechen, ich finde, es ist oft so mit einem fremden Geruch: dass man sich einfach reintrauen muss. Das geht mir jetzt mit allen Berührungen so, sie sind fahrig und seltsam, aber sie sollen weiter sein. Ich hab in meinem Kopf wirre Sachen gedacht, doch eines klar, die Vorstellung, dass du gut knutschen wirst; das fordere ich heraus.



Es ist so und es könnte nur dabei bleiben, nur will ich's gern in allen Haltungen, auf und neben dir, liegend, stehend, mit dem Gewicht gegeneinander, aneinander, mit einer Reibung, einem Griff um den Oberkörper, einem Tasten unterm Shirt, einem Fassen vom Po und anderem, suchend, am machen.



Wir sind noch nicht weiter, da spule ich in mir kurz ab, ob wir's regelmäßig machen können, schon beim ersten Küssen denke ich, dass ich dich einmal im Monat oder öfter wollte. Ich sehe mich im Auto hinfahren, ich sehe dich, bei mir klingelnd an der Türe, aber eigentlich auch nicht, weil ich die Türe nicht unbedingt aufmachen könnte. Du würdest mich dann abholen, ich seh' eigentlich uns mehr in einer Bar wieder, zurück an den Anfang, nach einem schnellen Getränk irgendwo hinten bei den Klos, ich habe immer etwas an, was ziemlich offen ist. Oder wir sind länger in so einem Moment mit den Händen an den Beinen und mit den Optionen, auch ohne gleich wohin zu drängen.



Ich glaube, alle zwei Monate und manchmal mehr. Ich spul's ab oder lass mich fallen und nicke zu allem, was passiert und nicht passieren wird. Ich nicke so heftig mit meinem Kinn in deine Schulter, ich würde auch beißen vom Gefühl, aber das ist etwas, was ich nicht gleich machen kann, etwas, was erst mit den Jahren kommt oder nur einmalig; danach oder kurz danach wird es vorbei sein.



So wenig wir etwas beredet haben, so sorglos gehen die Momente, die wir heraus nehmen aus den Linien, die ich ziehen könnte; irgendwelche Möglichkeiten. Ganz ohne Gewicht sind sie nicht. Jeder Moment, den wir ficken werden, soll das Offensichtliche unterwandern, mich mitnehmen, dich mitnehmen, kurz untertauchen und das große Ganze nebensächlich machen.



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Kommentare zu diesem Text

Thal (44)
(19.04.22, 12:35)
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 minze meinte dazu am 19.04.22 um 12:45:
Mit dem Ausschnitt meinte ich, dass die Protagonistin zwei Liebesgeschichten innerlich am Laufen hatte, da gefühlsmäßig involviert war, auch, wenn es nicht so wirklich lief. Was auch immer man darunter verstehen mag. Und das, als sie das "du" als schön wahrgenommen hat.
Thal (44) antwortete darauf am 19.04.22 um 15:49:
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Thal (44) schrieb daraufhin am 20.04.22 um 14:19:
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 minze äußerte darauf am 20.04.22 um 16:53:
Es reicht mir aus, wenn du dich verstehst.
Thal (44) ergänzte dazu am 20.04.22 um 17:04:
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 Dieter_Rotmund (19.04.22, 13:42)
Ich finde promiskuitive Protagonist:innen nicht soooo spannend, und in der Geschichte fehlt auch ein wenig der/ein Konflikt, der sie interessant machen könnte, aber handwerklich ist das gut und flüssig geschrieben, ohne Affektivitäten und sonstige Prahlereien, wie in so vielen kV-Texten.

 minze meinte dazu am 19.04.22 um 14:19:
finde auch, dass inhaltlich noch nicht genug passiert. sozusagen bin ich nicht richtig ran an den/einen konflikt.
aber deine charakterisierung der protagonistin wirft ja schon einmal eine reibung an sich auf :D

 Judas (19.04.22, 16:52)
Guter Flow, der irgendwie ein, zwei mal etwas in's Stocken gerät, wo ich dann doch mal überlegt habe, eine Zeile oder zwei mit den Augen zu überspringen.
Finde interessant, dass man der Prot und der/die Lieberhaber(in) des Ports mMn geschlechtsneutral daher kommt. Ich lese, dass du Protagonistin sagst aber ich finde, es könnten auch männlicher Prot und weiblicher Flirt oder männlicher Prot und männlicher Flirt sein oder weiblicher Prot und weiblicher Flirt.
Find das gut.

 minze meinte dazu am 19.04.22 um 17:20:
Stimmt. Das war auch unklug, dass im Komm vorwegzunehmen. Freut mich sehr. Ich hab Lust, evtl nochmal dran zu gehen, wo bist du gestockt?

 Judas meinte dazu am 19.04.22 um 19:32:
Nun, die Kommentare hab ich erst nach dem Text gelesen, also hat es zumindest mir nichts vorweg genommen. Und ab hier:
"Wir haben uns für ein Konzert verabredet" bis "Wir sind noch nicht weiter," denn ab da wird es mMn wieder sehr dicht und interessant, der Blickwinkel, allein vom Küssen darauf schließen zu können, wie oft man den/die wieder "treffen" will.

 minze meinte dazu am 19.04.22 um 20:11:
Okay also die ganze konkrete Szene, wie das Kennenlernen Thematik wird und dann die Zwischensteps bis zum tatsächlichen Nahekommen. Das ist spannend, denn genau das ging mir beim Schreiben auch so, dass ich da gestockt bin, ehrlich gesagt hab ich auch einiges rein und rausgenommen und ..es ist mir auch klar, dass diese Zeit dazwischen die Herausforderung ist, also die zu erzählen. Dass es lebendig, authentisch ist und spürbar, was da passieren kann. Hm da bin ich gespannt, was da noch geht, wenn ich nochmal dran geh.

Ich finde es wirklich cool, wenn es offen ist, was man an Geschlechtern verknüpfen wollte oder nicht, das macht mir nämlich auch Freude in Erzählungen, v.a. auch (also schon mitunter, aber auch explizit), wenn's um Liebe und Sex geht, weil ich da die Rollenklischees eh besonders störend empfinden würde. Daher hat mich dein Kommentar gefreut.
Thal (44) meinte dazu am 20.04.22 um 14:06:
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