11.2014 – 8.2015

Episches Theaterstück zum Thema Gegensätze

von  Terminator

Der Verlust von zwangsbeziehungsbedingt nahestehenden Menschen (kurz: Verwandten) hat etwas unfreiwillig Komisches. Ja, du hast durchaus die Oma geliebt, aber freilich nicht wie eine romantische Geliebte. Ja, sie war alt, über 80, und doch wird von dir etwartet, so zu tun, als wäre ihr Tod eine unerwartete Katastrophe. Ja, sie war katholisch und sehr gläubig, und doch klammerte sie sich in einer Situation ans Leben, in der selbst die Resigniertesten unter den Atheisten sich mit dem normalen Gang der Dinge längst abgefunden hätten.


Für mich war die Situation unfreiwillig komisch auf gedoppelte Weise: zum sozialen Zwang, die tatsächlich empfundene Trauer maßlos zu übertreiben, kam hinzu, dass ich, zu dem Zeitpunkt längst Philosoph und weisheitlich weit entwickelter asketischer Mann, mich mit meiner eigenen Sterblichkeit bereits versöhnt hatte, und sei es, dass mein Leben zum Todeszeitpunkt nur aus Leid und Entbehrung bestanden hätte. Ich war schon über mich selbst hinweg und dachte: "So, welche Pflichten habe ich noch in diesem Leben zu erfüllen?" Ansprüche zu stellen, kam mir nie in den Sinn. "Aber Onkel P aus Q wurde doch 90!" hätte ich auch mit 33 Gott nicht entgegengeklagt, hätte er mich mit einer Krebsdiagnose gesegnet.


Und so hatten meine Eltern im Unrecht recht: meine Mutter verlor ihre Mutter, mein Vater verlor seine Schwiegermutter. Und von mir, der offenbar keinen Verlust zu verarbeiten hatte, wurde emotionaler Beistand und Verständnis für Launen erwartet. Rein höflichkeitlich gesehen, war das ein wenig ungezogen: Oma, das ist schleißlich eine andere Bezeichnung für meine Großmutter. Aber den persönlichkeitsreifetechnischen Tatsachen entsprechend war ich der Reifere, Weisere, Ältere, an den man sich wendet, wenn man Rat und Trost sucht.


Ich verbrachte viel Zeit mit der Oma in ihren letzten Wochen und Tagen. Die Zeit des Sterbens und der Trauer um sie war auch die Zeit, in der ich aus Berlin wieder nach Niedersachsen zog; zehn Monate waren das insgesamt. Und Berlin begann mir zu fehlen: ich hatte die positiven Seiten der Großstadt zu selbstverständlich genommen und war in meinen ersten 5 Berliner Jahren eher auf die negativen Seiten des Großstadtlebens fokussiert.



Am 30.4. öffne ich eine Email mit einem Link zu einem Video der kanadischen Youtuberin Diana Davison. Am 1.5. schaue ich mir ein zweites Video von ihr an, in welchem sie den kanadischen Youtuber Sandman erwähnt. Unter ihrem Video ist eines seiner Videos verlinkt. Ich lerne MGTOW kennen.


"MGTOW. Was ist MGTOW?" fragt der deutsche Youtuber Niccolò süffisant. Und er erklärt es, fast so gut wie der Philosoph der MGTOW-Bewegung Marcus. Dieser gibt sogar Logik-Unterricht mit dem Beispielsatz "All women are whores". Bis Jahresende lerne ich, dass Stardusk und Barbarossa die Youtube-Pioniere des Movements waren, schon 2015 Legenden.


Dass man so offen und ehrlich über Frauen sprechen kann, wie diese Herrschaften, war mir neu. Klar, kannte ich Weininger. Aber das ist Philosophie vor 100 Jahren und nicht der öffentliche Raum im current year. Und es war mir ein Genuss, zuzuhören. Auch der Blog Genderama des linken Maskulisten Arne Hoffmann war mir schon seit Jahren bekannt. Doch lesen ist nicht hören: auf Youtube sprachen sie zu mir, ihre Sprache war emotional gefärbt, voller Empathie und gerechten Zorns.


Aber MGTOW war auch ein dead end. Darüber sprach ich mit Niccolò unter einem seiner Videos. Unser Konsens war: die meisten Männer verfallen, nachdem sie von MGTOW redpilled werden, in Passivität und Depression, anstatt die Konsequenzen zu ziehen, und tatsächlich Men going their own way zu werden. Und so schießen neue MGTOW-Kanäle wie Pilze aus dem Boden, und die Loser hören sich täglich stundenlang an, was Frauen für Schlampen, was die Gesellschaft für ein Schweinesystem und was das Leben für eine sinnlose Veranstaltung ist.


Das im im Dienste des radikalen Feminismus stehenden liberalen Bildungssystem vermittelte Lügenkonstrukt (zusammengefasst: Frau gut, Mann böse) bedarf natürlich eines notwendigen Komplements, der red pill knowledge der sogenannten Manospere. Aber dem Männerhass der ultradekadenten westlichen Gesellschaft mit Frauenhass zu begegnen, ist falsch. Da war ich von Anfang an bei Arne Hoffmann: ein solidarisches Miteinander der Geschlechter ist anzustreben, kein asoziales Gegeneinander.


Doch der Mensch wäre nicht Mensch, wenn Ideen direkt zur Lebensverbesserung führen könnten. Und so wurde MGTOW für über 90% seiner Anhänger zum Feminismus für Männer: einer Frauenhass-Bewegung, die auf Trotz- und Anspruchshaltung beruht.



Anmerkung von Terminator:

Oma sprach einen deutschen Dialekt, in dem "Fegefeuer" wie "Fickfeier" klang.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram