John

Innerer Monolog zum Thema Alles und Nichts...

von  Lluviagata

John

 

Getreu nach Art seiner nubischen Vorfahren saß er kerzengerade, den Schwanz um die Vorderpfoten geringelt, am Fenster und schaute so blicklos, wie das eben nur Katzen können, durch die Welt da draußen hindurch.

 

Er weiß nichts von Tempelkatzen, von Göttern und Verehrung, von den Sagen, die sich bis heute um seine Augen ranken, und dass seine Menschen im Winter allzu gern von seinem knisternd warmen Fell  Gebrauch machen würden, um sich zu wärmen - wenn er es denn zuließe. So einer ist er wahrhaftig nicht, er pflegt seinen angeborenen Stolz.  Er lässt sich niemals hoch heben, und wenn, dann nur unter Zwang und schweren Verletzungen auf menschlicher Seite, so sie nicht mit metallverstärkten Handschuhen ausgestattet ist. Nein, er springt auf meinen Schoß, wenn ihm danach ist, gekrault zu werden und seine äußerst langen Krallen in meine Oberschenkel zu bohren zu müssen. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, dreht er den Kopf, wenn er Hunger verspürt, in Richtung Futternapf und zwinkert. Oder er setzt sich vor mich hin und schaut mich mit einem so flehentlichen Blick an, dass ich versucht bin sofort aufzuspringen und dem armen Kerl zu Willen zu sein. Eigentlich nur versucht bin. Denn wir kennen uns. 12 Jahre schon.

 

Nun aber saß er am Fenster und starrte in den mit harschen Schnee bedeckten Garten, ungerührt vom Geflatter der Piepser, die das im kahlen Nussbaum hängende Futterhaus belagerten, ungerührt von meinem Tun, das er sonst, wenn er nicht gerade mit Betteln oder Schlafen beschäftigt ist, von erhöhter Stelle aus zu beobachten pflegt. Im Garten rührte sich sonst nichts, John auch nicht.

 

Ob er in weiter  Ferne etwas sah, das meinen Augen verborgen blieb? Oder meditierte er etwa auf Katzenart? Plötzlich zuckte sein linkes Ohr. Er duckte sich ein wenig und war mit einem Mal gespannte Aufmerksamkeit. Ich trat hinter ihn, doch nur seine Lauscher drehten sich kurz zu mir und sogleich wieder in Richtung Fenster.  Seine Augen starrten immer noch in die eine Richtung, ohne dass er sich bewegte. Nun war ich aber auch gespannt, was er denn da im Blick hat. Doch er stand gähnend auf, streckte sich und sprang mit einem eleganten Satz vom Fensterbrett, um zur Tür zu laufen, sich kurz umzudrehen und zu zwinkern.

 

In  diesem Winter ist er selten draußen gewesen. Auch geht er nur, wenn ich ihn dränge,  und dann nur, um eine wirklich dringende Runde zu absolvieren, die je nach Wetterlage eine oder auch drei Minuten dauern kann. 

 

Ich ließ ihn hinaus und ging weiter meiner Arbeit nach, wissend, dass er über die Katzenleiter und dann über das Dach vor das Küchenfenster kommen kann.  

 

Eine halbe Stunde später ungefähr kam mein Kind von einer einwöchigen Dienstreise nach Hause. Sie zog ihre Schuhe aus und erwähnte beiläufig, dass John inmitten der Einfahrt saß.

 

Johnny starb mit 14 Jahren an gebrochenem Herzen, seiner Heimat, seiner weiten Felder entrissen. Ich bin ein Stück mit ihm gestorben. 

2016



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (27.09.22, 22:08)
Ja, Katzen können an gebrochenem Herzen sterben; aber Du deutest an, daß es in diesem Fall um eine lange vermißte Heimat ging, nicht um einen kurz zuvor stattgefundenen Umzug. Das überrascht mich, das spricht für die große Sensibilität dieser Tiere.

 Lluviagata meinte dazu am 28.09.22 um 20:39:
Lieber Graeculus,
du hast schon richtig gedacht - er hat einfach gespürt, dass die Tochter heim kommt - und aber er ist gestorben, weil er nicht verstanden hat, warum die neue Umgebung/Wohnung seine Heimat sein soll, so schön sie ihm auch gemacht wurde.  
Liebe Grüße
Llu ♥

 Naja (23.12.22, 20:34)
Während des Lesens dachte ich wieder und wieder an meinen Hund, 19 Jahre ist er geworden. Und jetzt muss ich erstmal mein Herz wieder flicken, Llu. <3
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