Der hellblaue, klare, azurne Himmel in den Ardennen, umkränzt von den Wipfeln der schwarzen Tannen; die Sonne strahlt, weiße Wölkchen zaubern Puderzucker; das Gras webt einen jungen grünen Teppich; meine kleine Tochter springt und tanzt durch das weidige Helle und jauchzt; meine Gattin lächelt sanft. Für den Mittag ist die Frau meines verstorbenen Vaters angekündigt; wir haben Kuchen in der Confiserie des Ortes eingeholt, Kaffee und Zuckerwerk.
Sie fährt mit ihrem langen, grauen Kombi vor, wir begrüßen uns mit Küsschen und Händeschütteln, die Tochter springt herum und wir schauen uns an. Sie öffnet die Heckklappe und hebt Willi heraus, den Hund, er ist krank, sagt sie, sie sei bei seinem Tierarzt gewesen und guckt betreten, er mache es wohl nicht mehr lange. Der Hund, Willi, steht unsicher mit eingeklemmtem Schwanz und hängenden Ohren. Wir gehen hinein, der Hund trottet hinterher. Kaffee ist gekocht, wir setzen uns an den langen eichenen Tisch. Die Frau meines Vaters bewundert die pittoreske Einrichtung, sagt etwas zur Lage des Hauses, zur schönen Gegend. Willi liegt unter dem Tisch und jault leise von Zeit zu Zeit. Wir sprechen über ihn, sie erzählt, wie schlecht es ihm gehe, wahrscheinlich ein Tumor, der Arzt habe der Frau meines Vaters Spritzen mitgegeben, falls es zu schlimm werde. Meine Tochter streichelt ihm flüchtig über den Kopf.
Als mein Vater starb, war er nur noch ein jämmerliches Zerrbild seiner selbst. Einmal fuhren ich und die Frau meines Vater mit ihm im Aufzug hinunter in den Garten des Krankenhauses, da saß er schon im Rollstuhl, weil er nicht mehr konnte, und sie deutete mir an, ihn nicht in den Spiegel des Aufzuges blicken zu lassen, in dem wir abwärts fuhren. Draußen wartete der gesellschaftliche Freundeskreis. Alle wandten die Gesichter, und wenn mein Vater gebrochen und vernuschelt zu sprechen versuchte, schauten alle nur indirekt, als spräche er durch einen knarzenden Lautsprecher und wäre gar nicht da. Meine Tochter war gerade geboren worden, die Zeit war begrenzt für mich. Die Frau meines Vaters war bei ihm, als er auf der Palliativstation verstarb.
Jetzt winselte der Hund. Die Frau meines Vaters streichelte sein glanzloses Fell. Sie tätschelte seine Schnauze und sah ihm tief in die Augen. Sie glaube, sagte sie, sie müsse ihm noch Medizin geben. Sie öffnete ihre breite schwarzepaillierte Handtasche und nahm eine in Plastik eingeschweißte Spritze heraus, riss das Zelluloid ab und stach die Nadel in Willis Hüfte. Der Hund heulte kraftlos auf. Bestürzt sah sie uns an, meine Tochter hatte die Hände vor dem Gesicht, meine Frau biss in ein Stück Kuchen. Dann bekam Willi diesen gebrochenen Blick, der nichts mehr zu sehen vermag, er torkelte und plumpste gegen das Tischbein. Da blieb er liegen und rührte sich nicht mehr. Meine Frau schenkte Kaffee nach. Ich glaubte feststellen zu müssen, dass der Hund nicht mehr atmet. Alle sahen mich an, dann sahen alle Willi an. Wir fühlten an dem Hund herum. Und es stimmte. Willi atmete nicht mehr, seine Zähne gebleckt, er war steif und tot. Die Frau meines Vaters weinte stoßartig in ihr Taschentuch, meine Frau sah mich mit großen Augen an und meine Tochter war in den Garten hinaus gerannt.
Schließlich wickelten wir das Tier in eine braune Decke und luden es in den Kofferraum. Die Frau meines Vaters drückte ihr Bedauern aus, dass das hier, an diesem Ort und zu dieser Zeit, geschehen sei; wir weinten alle ein wenig, schauten uns an; und dann fuhr sie mit Willi wieder davon, den steilen, gekiesten Zufahrtsweg hinauf.
Der Himmel war immer noch blau und hell und klar. Die Wipfel der Tannen ragten in ihn.
Es war Sommer.
© Rainer M. Scholz