Plagegott

Kurzgeschichte zum Thema Tiere

von  RainerMScholz

Jeden Sommer dasselbe Theater: Nachdem die Bauern die Felder abgemäht und zu Tode geerntet haben, kommen diese Kreaturen auf meine Terrasse. Sie flüchten vor der Hitze, den Schneidewerkzeugen der Maschinen und den hungrigen Krähen und Ratten. Abertausende Getreidewanzen, die mit ihren sensorischen, wippenden Fühlern und ihren sechs kleinen huschenden Beinchen meine Liege, den Tisch, die Stühle, die Decke und den Sonnenschirm belagern, übervölkern, sich mit ihren harten Chitinpanzern ausbreiten und mir das Leben vermiesen. Ich kann sie nicht alle erwischen, so sehr ich es auch versuche. Sie sind schnell. Jedenfalls wenn die Temperaturen noch stimmen. Im Sommer.

Doch im Herbst, da werden sie langsamer, und darauf warte ich. Die Stiefel sind geputzt, die große Klatsche steht bereit, und zu Anfang der kühlen Nächte nehme ich mir extra einen Tag frei.

Dann metzele ich sie alle hin. Morgens schon stürme ich auf die Terrakottafliesen und zerbretzele, zerstampfe, erschlage Hunderte, Tausende, Myriaden – ein einziges Massaker. Ich rücke alle Stühle, Kisten, Gerätschaften fort, keiner, der im Schatten lebte, soll mir entkommen. Und ich zermatsche sie in einem göttlichen Derwischtanz zu plasmotischem Brei, reiße ihre Fühler und ihre Beine aus und singe und tanze und bin der Dinge froh.

Dann hole ich den Kärcher aus dem Keller, schließe ihn an den außenliegenden Wasserhahn an, starte das gelbe brummende Gerät und fege die Leichen, Berge von Leichen, in den schäumenden Abfluss.

Mein Herbstwerk ist hiermit getan. Ich lösche das Licht und schließe die Tür zu dieser Terrasse.

Aus.

Denn der Winter kommt.



© Rainer M. Scholz



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