Onanie und Homosexualität

Text

von  plausibel

Es hat mich, seit ich mit dreizehn Jahren in die Pubertät eingetreten bin, der Beginn der körperlichen Geschlechtsreife bei Mädchen müsste korrekterweise Menstrualität genannt werden, interessiert, warum Onanie (der Begriff stammt aus dem Alten Testament), medizinisch gesprochen Masturbation, mit einem Tabu, das heißt, mit einem kultischen Verbot belegt worden ist, zumal die gegenwärtig herrschende Auffassung über jugendliche Selbstbefriedigung geradezu von einer extrem liberalen Anschauung dieses Sachverhaltes geprägt ist, so weit gehend, dass von aufklärerischen Kreisen eine Pflicht zur sich ständig repetierenden Selbstbefriedigung bei Knaben und bei Mädchen propagiert wird. Von den Zwängen einer pornographischen Industrie, die erst die visuellen Voraussetzungen zum massenhysterischen Phänomen einer gesamtmasturbatorischen Lebenspraxis, die dem Ideal stoischer Gelehrtheit zuwiderläuft, ganz zu schweigen.

 

In meinen Recherchen fand ich zwei schöne Bücher, die mir überhaupt erst den Horizont für dieses bis dato unaufgeklärte Phänomen eröffneten. Der Begriff des Horizontes spielt in der philosophischen Hermeneutik eine entscheidende Rolle. Die beiden Bücher lauten:

 

a) Petrus Hermanus Schrijvers: Eine medizinische Erklärung der männlichen Homosexualität aus der Antike (Caelius Aurelianus De morbis chronicis IV 9). Amsterdam 1985. VI, 76 S.

 

und

 

b) Wilhelm Stekel: Onanie und Homosexualität. Die homosexuelle Neurose. 2., verb. u. verm. Aufl. Berlin 1921. XII, 528 S.

 

Petrus Hermanus Schrijvers (geb. 1939 in Amsterdam) war Professor der lateinischen Philologie an der Universität Leiden, und Caelius Aurelianus war ein in Afrika (Numidien, heutiges Algerien und Tunesien) geborener Römer, der Mitte des 5. Jahrhunderts wirkte. Seine beiden medizinischen Handbücher »De morbis acutis libri III« und »De morbis chronicis libri V« stellen lateinische Übersetzungen der in griechischer Sprache geschriebenen Werke des Arztes Soranos aus Ephesus (Soranus Ephesius), der zu der Zeit der Kaiser Trajan und Hadrian ungefähr von 100 bis 140 n. Chr. in Rom seinen Beruf ausübte, dar. Soranos war Anhänger der Schule der Methodiker. Das griechische Werk des Soranos »De arte obstetricia morbisque mulierum quae supersunt« (Ex apographo Friderici Reinholdi Dietz primum edita curis Justi Floriani Lobeck. Cum Praefatione Christiani Augusti Lobeck. Regiomonti 1838), »De mulieribus affectionibus« (Sorani Ephesii liber De mulieribus affectionibus recensuit et latine interpretatus est Franciscus Zacharias Ermerins. Traiecti ad Rhenum 1859) und »Περὶ γυναικείων« (Sorani Gynaeciorum vetus translatio Latina. Primum edita cum additis graeci textus reliquiis a Dietzio repertis atque ad ipsum Codicum Parisiensem recognitis a Valentino Rose. Lipsiae 1882; Die Gynäkologie des Soranus von Ephesus. Übers. v. Heinrich Lüneburg. Commentirt v. Johann Christoph Huber. München 1894) ist nur fragmentarisch erhalten geblieben, so dass die die Originalität des Soranos wahrende Übersetzung des Caelius Aurelianus nicht überprüfbar ist.  

 

Das Bedeutsame an Schrijvers’ Schrift ist der Hinweis, dass Caelius Aurelianus in seinem Werk De morbis chronicis, bei der Frage, „ob Homosexualitöt eine körperliche oder eine geistige Abweichung ist“, die „doxographische Übersicht des Soranos grösstenteils gestrichen“ (S. 2)  habe. Schrijvers weist zudem auf einen kaum zu unterschätzenden Umstand hin, dass bei Ausdrücken wie „maioribus se peccatis involvunt“ und „tanta peccatorum labe“ ein christlicher Unterton vorwalte. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass Schrijvers der Meinung ist, dass der stoische und christliche Ausdruck „divina providentia“ innerhalb des Lehrgebäudes des Methodikers Soranos zum mindesten problematisch sei. Die Stoa (Epiktet) und der Apostel Paulus haben bekanntlich eine ganze Reihe von inhaltlichen Übereinstimmungen in ihren jeweiligen Lehren, wäre mein Kommentar dazu.

 

Aber wie dem auch sei, man muss festhalten, dass die Antike, grundlegend bei Pseudo-Aristoteles Parva naturalia, der männlichen Homosexualität eine von der Norm abweichende oder sogar pathologische Natur zuwies. Das steht natürlich in einem äußersten Gegensatz zu unserer Auffassung von weiblicher und männlicher Homosexualität.

 

In der Tradition der abendländischen Medizingeschichte stehend, begegnet uns bei dem österreichischen Arzt und Psychoanalytiker Wilhelm Stekel (1868–1940) eine Auffassung, die durch die Forschungen Richard von Krafft-Ebings bedingt wurden. Wilhelm Stekel kann als ein Vorläufer oder Begleiter  Sigmund Freuds bezeichnet werden, der die infantile Sexualität zur Grundlage seiner Sexualtheorie erhob. So handelt das erste Kapitel von Stekels angegebenem Buch von „der sozialen Funktion der Onanie“ (S. 2–29). Es beginnt mit „der Sexualität des Kindes“. Schon hier werden wir hellhörig. Wir müssen einen fundamentalen Bedeutungswandel zwischen der antiken, pathologischen Auffassung menschlicher Sexualität und ihrer bei Stekel angegebenen sozialverträglichen Funktion konstatieren. Stekel zufolge liegt die gesamtärztliche Verkennung infantiler Sexualität in dem Umstand begründet, dass die Eltern ihre Kinder vergöttlichen. Das kann ich nur bestätigen. Man muss sich nur die Fernsehsendung ansehen, in denen Säuglingen und Kindern ein nahezu kultischer, unantastbarer Status zugesprochen wird. Auch der Umstand, dass Eltern ihre Kinder bitten, etwas zu tun, sie sagen, bitte, iss deinen Spinat, ist mit der antiken Auffassung völlig unvereinbar, nach der der pater familias über Tod oder Leben eines frisch geborenen Säuglings entschied. Damit will ich natürlich nicht die Pädophilie gutheißen, die meines Erachtens schon aus ästhetischen Gründen unannehmbar ist.

 

Man könnte zu dem, meines Erachtens grundlegenden sexualtheoretischen Werk Stekels (das digital einsehbar ist) unzählige Anmerkungen, die äußerst sinnvoll erscheinen, anbringen, es sei aber hier nur eine einzige noch erwähnt, Stekel zitiert Krafft-Ebings These (S. 143), dass Onanie in Wirklichkeit die Ursache der Homosexualität darstelle. Das halte ich für entscheidend. Ich glaube, man könnte sich die ganze verquere Debatte über den moribunden Status der Homosexualität ersparen, wenn man Stekels Buch aufmerksam liest. Ihm kann nur zugestimmt werden.            



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (26.02.23, 17:46)
20/21 Jahre alt oder doch ein alter und altbekannter Kamerad auf kV?
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